A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z
     
 
     
 

Carl Schmitt Staat

 
     
 
Wohl kaum ein deutscher Staatsrechtler und politischer Theoretiker stößt auf widersprüchlichere Einschätzungen als der am 11. Juli 1888 in Plettenberg geborene Carl Schmitt. Schmitts heutige Kritiker werfen diesem nicht nur seine Rolle im Dritten Reich vor, als dessen "Kronjurist" er immer wieder gebrandmarkt wird. Es ist auch und gerade der dezidierte Antiliberalismus seiner politiktheoretischen Schriften, der heute weitgehend auf Verständnislosigkeit stößt. Dieser Antiliberalismus, der vielen heutigen Schmitt-Kritikern anstößig erscheint, liefert die Legitim
ation für nicht enden wollende Distanzierungsrituale. So wird Schmitt nur zu oft Mittel zum Zweck – dienen doch die moralischen Verdammungsurteile seiner heutigen akademischen Exegeten nur zu oft der Beförderung der eigenen Karriere.

Viele Deutungen der Schmitt-Interpreten leiden daran, daß sie die Schriften nicht im historischen Kontext erfassen, sondern diesen ausblenden. Wie anlaßbezogen Schmitt publizierte, zeigt z. B. seine 1940 in der ersten Auflage erschienene Aufsatzsammlung "Positionen und Begriffe im Kampf mit WeimarGenf – Versailles". Das Ausblenden des historischen Kontextes dieser Schriften führt zwingend zu jenen Fehlinterpretationen, an denen die deutsche Schmitt-Rezeption oft krankt.

Die Rolle, die Schmitt im Dritten Reich spielte, ist aus heutiger Sicht in der Tat zumindest fragwürdig. Schmitt trat in einer Phase in die NSDAP ein, als die Nationalsozialisten noch auf renommierte Persönlichkeiten aus der Weimarer Republik angewiesen waren. Schmitt, dem bereits 1921 eine Professur in Greifswald übertragen wurde, machte im Dritten Reich zunächst schnell Karriere. So übertrug ihm der Chef des NS-Rechtswahrerbundes, Hans Frank, die Leitung der "Reichsfachgruppe Hochschullehrer des Bundes na-tionalsozialistischer Juristen". Schmitt wurde Herausgeber der "Deutschen Juristen-Zeitung", und Göring ernannte ihn zum Preußischen Staatsrat. Belastet wurde der Name Carl Schmitt insbesondere durch zwei Ereignisse: durch seine 1934 erschienene Schrift "Der Führer schützt das Recht", die als Rechtfertigung der Morde an den SA-Führern gelesen wurde, und durch ein Referat, das Schmitt 1936 auf der von ihm einberufenen "Judentagung" hielt. 1936 war gleichzeitig das Jahr, an dem der Scheitelpunkt der Karriere Schmitts im Dritten Reich erreicht war. Schmitt wurde im selben Jahr von der Publikation "Das schwarze Korps" – Wochenzeitung der SS – als Vertreter des politischen Katholizismus und als "Judenfreund" angegriffen und mußte in der Folge alle politischen Ämter abgeben. Er blieb bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges auf den Universitätsbetrieb beschränkt.

In der Zeit von 1945 bis 1946 war Schmitt zunächst interniert. 1947 wurde er nach Nürnberg gebracht, wo ihn der US-amerikanische Hauptankläger Robert Kempner verhörte. Schmitt stand unter dem Verdacht der Beteiligung an Angriffskrieg, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Versuche, ihn als Kriegsverbrecher zu bestrafen, scheiterten aber. Schmitt wurde schließlich nach Plettenberg entlassen, wo er zunächst völlig mittellos mit seiner Familie über die Runden kommen mußte. Erst 1952 entspannte sich seine persönliche Lage, als ihm eine Pension zuerkannt wurde. Die Rückkehr in den Lehrbetrieb bzw. in die publizistische Öffentlichkeit blieb dem Staatsrechtler in der Bundesrepublik freilich versperrt. Er blieb darauf beschränkt, sein Werk neu herauszugeben bzw. fortzuschreiben. Erst mit seinem Tod am 7. April 1985 setzte wieder eine intensive Rezeption des Schmittschen Oeuvres ein, die nicht alleine auf Deutschland beschränkt ist, sondern internationale Ausmaße erreicht hat.

Der Schmitt-Interpret Helmut Quaritsch hat in seinem Buch "Positionen und Begriffe Carl Schmitts" drei Grundprägungen herausgearbeitet: Schmitt war Katholik, Etatist und Nationalist. Sein Katholizismus brachte ihn in eine scharfe Frontstellung zur Aufklärung, die seit dem 18. Jahrhundert in Europa die christliche Tradition angreift. Als Etatist sah er im Staat historisch und systematisch das Vorrangige, in dessen Verfassung und Form hingegen das Nachrangige. Das Herz des Staates bildete für Schmitt der staatliche Gesetzgeber, der das Monopol der Gewaltanwendung besitzt und die staatliche Macht nach öffentlichen und anerkannten Regeln ausübt. Bleibt noch der "Nationalist" Schmitt. Dieser Nationalismus hängt sich insbesondere an Versailles und dessen Folgen für Deutschland auf: Die deutsche Niederlage, so schreibt Quaritsch, "wurde als eigene empfunden" und "Versailles als persönliche Schmach". Von Schmitts intellektuellem Kampf für die politische Freiheit und Unabhängigkeit Deutschlands legt seine bereits genannte Aufsatzsammlung "Positionen und Begriffe" Zeugnis ab.

Die bekannteste Schrift ist zweifelsohne der "Begriff des Politischen", die in drei Versionen (1927, 1931, 1933) erschien. Im Mittelpunkt dieser Schrift steht die so häufig zitierte wie mißverstandene Unterscheidung zwischen "Freund und Feind". Schmitt geht in dieser Schrift von der Beobachtung aus, daß die Demokratie im 20. Jahrhundert den Dualismus von Staat und Gesellschaft aufgehoben hat. Staat und Gesellschaft sind im neuzeitlichen Demokratietypus nicht mehr getrennt, sondern identisch geworden. Damit sind quasi alle Bereiche der "Gesellschaft", die bisher staatsfrei bzw. unpolitisch waren, "wenigstens der Möglichkeit nach politisch geworden". Aus dieser Einsicht heraus entwickelt Schmitt den "Begriff des Politischen" nicht aus staatlichen, sondern aus "politischen Kategorien" heraus, "auf die alles im spezifischen Sinne politische Handeln zurückgeführt werden kann". In ähnlicher Weise nun, wie sich z. B. das Moralische auf elementare Gegensatzpaare reduzieren läßt (z. B. gut und böse), muß es auch für das Politische ein derartiges Gegensatzpaar geben, das Schmitt in der "Unterscheidung zwischen Freund und Feind" findet. Diese Unterscheidung versteht der Staatsrechtler keineswegs symbolisch, sondern als "reale Möglichkeit" politischer Vorgänge, die auch die Möglichkeit des bewaffneten Kampfes umfaßt. Wenn auch der "Krieg nicht Zweck oder gar Inhalt der Politik" sei, so Schmitt, so wird er doch die "als reale Möglichkeit immer vorhandene Voraussetzung der Politik" genannt. Ganz im Sinne seines Etatismus behauptet Schmitt nun, daß die Entscheidung über die "Feind-Erklärung", sei es nun außen- oder innenpolitisch, von derjenigen gesellschaftlichen Gruppe getroffen wird, "die sich am Ernstfall orientiert". Diese Gruppierung ist Schmitts Auffassung nach die maßgebende.

Von hier aus entwickelt Schmitt einen Staatsbegriff, der nichts mehr mit früheren Modellen zu tun hat, die sich auf normative Theorien stützten. Er begreift den Staat als ein einheitliches Gebilde, dessen Stabilität dadurch garantiert wird, daß die jeweils politisch relevante Gruppierung in der Lage ist, den "inneren Feind" auszuschalten. Geht diese Kraft verloren, tritt an die Stelle des inneren Friedens der Bürgerkrieg, der über Machtbesitz und über die innere Einheit entscheidet. Die politische Einheit kennzeichnet Schmitt als die "maßgebende Einheit". Sie sei "total und souverän". "Total" – weil jede Angelegenheit potentiell politisch sein kann und der Mensch existentiell erfaßt wird: "Die Politik ist daher Schicksal!"

Außenpolitisch hat die Unterscheidung zwischen "Freund" und "Feind" drei Funktionen: Im Frieden sind diejenigen Staaten Feinde, die mit den Mitteln des Völkerrechts (z. B. "Versailler Vertrag") und internationalen Organisationen ("Völkerbund") den unterlegenen Gegner niederhalten und jede Revision ungerechter Verhältnisse zu verhindern trachten. Weiter ist die Bestimmung des Feindes ein Kennzeichen der Souveränität. Wer sich den Feind von internationalen Organisationen vorschreiben läßt, ist nicht souverän. Schließlich darf Krieg nur gegen den Feind geführt werden, der dem eigenen Staat die Freiheit nehmen will oder ihm eine andere Verfassung aufzwingen will. Dies laufe auf die "Verneinung der eigenen Existenzform" hinaus und rechtfertige deshalb einen Krieg.

So erklärt sich das berühmte Diktum Schmitts, daß ein Volk, das aufhört, die Unterscheidung zwischen Freund und Feind zu treffen, aufhöre, politisch zu existieren. Läßt es sich – so Schmitt – von Fremden vorschreiben, wer sein Feind sei, so sei es kein politisch freies Volk mehr und habe sich einem anderen politischen System untergeordnet. Die Unterscheidung von Freund und Feind ist also nicht aus der Welt zu schaffen. Scheut ein Volk die Mühen dieser Unterscheidung, dann wird sich ein anderes Volk finden, das ihm diese Mühen abnimmt. Der Schutzherr bestimmt dann den Feind und übernimmt die politische Herrschaft. Die Folgen für das Volk, das nicht mehr die Kraft hat, sich in der Sphäre des Politischen zu halten, bringt Schmitt unmißverständlich auf den Punkt: Es verschwindet dann nicht das Politische aus der Welt, sondern nur ein schwaches Volk.

Schmitt negiert den Bezug auf ein Wertsystem, weil sich jede Entscheidung aus der "Behauptung der eigenen Existenzform" gegenüber "einer Verneinung dieser Form" ergibt.

Begrifflichkeiten wie "Menschenrechte", "Humanität" oder "Frieden" deutet Schmitt als bloße Täuschungsversuche, wird doch "im Namen" derartiger Begriffe "gegen konkrete andere Menschengruppen" vorgegangen.

Von hier aus wird auch Schmitts Antiliberalismus verständlich. So wirft er dem Liberalismus vor, jeden politischen Gegensatz in eine Kompromißformel zu verwandeln: "Der Liberalismus", so schreibt Schmitt, "hat aufgrund eines für ihn typischen Dilemmas von Geist und Ökonomik den Feind von der Geschäftsseite her im bloßen Konkurrenten, von der Geistseite her im bloßen Diskussionspartner gesucht". Liberales Denken bewegt sich also zwischen Ethik ("Geistigkeit") und Geschäft ("Ökonomik"). Zwischen diesen beiden Polen versucht der Liberalismus das Politische als Sphäre der zu erobernden Gewalt aufzuheben.

Schmitt spricht dem Liberalismus ab, eine echte politische Theorie zu sein. Diese Theorien seien von der Einsicht geprägt, daß der Mensch ein "gefährliches", ja "böses Wesen" sei. Es geht nicht zu weit, wenn man feststellt, daß hier der archimedische Punkt der Schmittschen Staatstheorie verortet werden kann. Schmitt verweist explizit auf die "Erbsünde" und stellt einen methodischen Zusammenhang zwischen theologischen und politischen Denkvoraussetzungen her. Unter anderem bezieht sich Schmitt auf eine Untersuchung des Religionssoziologen Ernst Troeltsch, der herausarbeitete, daß diejenigen christlichen Häretiker, die die Erbsünde leugneten, in der Konsequenz auch die soziale Ordnung zerstören. So kann Schmitt – auf die Sphäre des Politischen übertragen – analog schreiben: "Der staatsfeindli- che Radikalismus wächst im gleichen Grade wie der Glaube an das radikal Gute der menschlichen Natur."

Ergo muß der Liberalismus, der von der natürlichen Güte des Menschen ausgeht, nach Schmitt zwangsläufig zur Entthronung des Staates führen. Die Funktion des Staates im Liberalismus beschränkt sich letztlich darauf, die Bedingungen der Freiheit zu sichern und die Störungen der Freiheit zu beseitigen. Schmitts Auffassungen, die einmal als "Militarisierung" des Denkens" denunziert wurden, klingen heutigen Demokratietheoretikern schrill in den Ohren. Nichtsdestotrotz ist die Liberalismus-Kritik Schmitts von bleibender Bedeutung, zeigt sie doch, daß ein liberales Staatswesen nur dann dauerhaften Bestand haben kann, wenn dessen tendenzielle Staatsfeindlichkeit, die den Staat zum Spielball der Interventionsansprüche der Parteien und der pluralistischen Gruppen macht, zumindestens eingehegt wird.

Wie ein Menetekel für die heutige bundesrepublikanische Gesellschaft lesen sich die Ausführungen Schmitts zur Weimarer Republik, der diese Einhegung mißlang: "Der heutige deutsche Staat ist total aus Schwäche und Widerstandslosigkeit ... Er muß jedem nachgeben, jeden zufriedenstellen, jeden subventionieren ... Seine Expansion ist die Folge ... nicht seine Stärke, sondern seiner Schwäche.

 

 
     
     
 
Diese Seite als Bookmark speichern:
 
     
     
     

     
 

Weitere empfehlenswerte Seiten:

Unwirtliches Wetter

Eine bewegte Zeit

Die Rätsel von Bremen

 
 
Erhalten:
 

 

   
 
 
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
WISSEN48 | ÜBERBLICK | THEMEN | DAS PROJEKT | SUCHE | RECHTLICHE HINWEISE | IMPRESSUM
Copyright © 2010 All rights reserved. Wissensarchiv