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Stinkt zum Himmel

 
     
 
In Berlin-Mitte am Bahnhof Friedrichstraße befindet sich ein Relikt aus un- glückseliger Vergangenheit: der Tränenpalast. Das frühere Abfertigungsgebäude wurde so getauft, weil hier Tränen flossen. Für Ost-Berliner, die ihre West-Verwandten auf dem Nach-hauseweg begleiteten, war hier Schluß.

Kaum ein Gebäude in Berlin hat deswegen einen höheren Symbolcharakter für die unsägliche deutsche Teilung. Das Gebäude kennen Deutsche von beiden Seiten. Es ist das deutsch-deutsche Denkmal schlechthin und steht unter Denkmalschutz. Nun ist es in Bedrängnis. "Galgenf
rist für den Tränenpalast", betitelt die Presse eine Posse, die nicht dazu beiträgt, das Vertrauen der Bürger in das Finanzgebaren der Hauptstadt zu stärken.

Es begann unter Eberhard Diepgen, dessen schwarz-roter Senat wie heute der Wowereit-Senat alles verkaufte, was sich zu Geld machen ließ, um die desolate Haushaltslage mit den Erlösen zu kaschieren. Doch beim Verschachern landeseigener Immobilien haben Finanzbeamte nicht immer genau hingeschaut. So ist ihnen ein Fehler unterlaufen, der den Steuerzahler teuer zu stehen kommt.

Es geht um das dreieckige Areal zwischen dem alten Grenzbahnhof mitten in Berlin, der Friedrichstraße und der Spree. Das nördliche Drittel erwarb im Jahr 2000 eine Hamburger Investorengruppe um Harm Müller Spreer. Die neuen Besitzer wollten eigentlich bauen. Konnten sie aber nicht. Denn auf dem Grundstück befindet sich ein U- und S-Bahn-Ausgang, und der gehört der Bahn. Das Land hat also 200 Quadratmeter Grund verkauft, die ihm gar nicht gehören.

Zumindest, seit die Bahn 2001 ihren Antrag auf Rückgabe des Geländes durchbekam. Das hätten die Berliner Finanzbeamten einkalkulieren müssen. Haben sie aber nicht. Welche Alternative bestand nach dem Urteil? Das Land hätte den Investoren Ersatz bieten können - oder Nachverhandlungen und Rückerstattung eines Teils des Kaufpreises anbieten.

Doch die Verwaltung tat nichts. Sie wartete. Vielleicht hofften die Verantwortlichen, daß die Investoren nichts merken würden. Auch die Investoren blieben ruhig. Sie reichten nicht einmal einen Bauantrag ein. Alles Kalkül, denn je mehr Zeit verstrich, desto höher wuchsen ihre Schadenersatzansprüche aufgrund entgangener Mieteinkünfte.

Gerade mal 17 Millionen Euro hatten die Investoren für das Fleckchen Erde gezahlt. Jetzt machen die Mietausfälle und die anderen Folgekosten des Geschäfts angeblich 45 Millionen aus. Ohne die möglichen Prozeßkosten, falls es zu einer juristischen Auseinandersetzung kommt.

Die will das Land unter allen Umständen vermeiden. Deswegen ist es bereit, Harm Müller Spreer und seinen Geldgebern alle Wünsche zu erfüllen. Nur keine weitere Blamage vor Gericht! Und die Investoren wollen alles: das ganze Grundstück zwischen Bahnhof, Friedrichstraße und Spree - nicht nur ein Drittel.

Doch dort steht der denkmalgeschützte Tränenpalast. Seit 1991 wird hier eine Kneipe mit Bühne betrieben. 150.000 Besucher kommen im Jahr zu Kabarett, Popkonzert oder Lesung. Der Betreiber des Tränenpalasts, Markus Herold, hat sich 2001 sogar ein Vorkaufsrecht für die Immobilie gesichert. Davon will das Land jetzt nichts mehr wissen. Zumindest hat es einen Vertrag mit neuen Bedingungen ausarbeiten lassen, die für Herold unannehmbar sind. So will Berlin plötzlich die umliegenden schmalen Grundstücke allesamt der Hamburger Gruppe vermachen. Und obwohl Berlin dem Tränenpalast so nur noch die Hälfte der Fläche verkaufen will, bleibt der geforderte Kaufpreis gleich.

Der vom Senat ausgearbeitete Kaufvertrag hätte zur Folge, daß Herold die umliegenden Flurstücke von den Hamburgern zu deren Bedingungen anmieten müßte, nur um die Notausgänge freizuhalten. Auch das Terrain, das den Tränenpalast-Biergarten beherbergt, soll Harm Müller Spreer überlassen werden.

"Ich will ja sogar, daß Müller Spreer hier ein Gebäude errichtet!" empört sich Herold im Interview mit derVerlegerin Schließlich sei das jetzt leerstehende Grundstück "völlig heruntergekommen". Er vermutet jedoch, daß die Müller Spreer das Land Berlin mit seiner möglichen Schadenersatzforderung in der Hand hat: "Was in den Verträgen zwischen Müller Spreer und der Senatsverwaltung noch zum Himmel stinkt, weiß ich nicht." Den Vertrag, den ihm das Land angeboten hat, nennt er sittenwidrig. Am 18. August ging ihm der Entwurf zu. Mit einer Fristsetzung bis zum 10. September. Verhandlungen sind keine vorgesehen. Unterzeichnet er nicht bis zum gesetzten Termin und hinterlegt rund eine Million Euro, so wird der Tränenpalast an Müller Spreer verkauft. Ferner soll das geschichtsträchtige Gebäude auf Klagerecht gegenüber den Investoren von nebenan verzichten.

Wenn Baulärm und Bauschutt die Zugänge zum Tränenpalast versperren, muß der Betreiber das einfach hinnehmen. Das könnte das wirtschaftliche Ende bedeuten, denn "wir sind schon während der Sanierung des Bahnhofs Friedrichstraße beinahe ruiniert worden", so Markus Herold.

Im September könnte dem geschichts- trächtigen Ort die Totenglocke läuten: Im "Tränenpalast" am Bahnhof Friedrichstraße war bis 1989 der bekannteste Grenzübergang Berlins. Generationen von Deutschen erlebten hier wie kaum irgendwo sonst die Teilung in beklemmender Weise. Foto: O Sullivan

 
     
     
 
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