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Alte Freunde

 
     
 
Mißmutig blickte Leo vom Hotelfenster in den Hof hinunter. Da unten standen sie - seine Frau und dieser graumelierte Charmeur ...! Die zwei schienen sich bestens zu unterhalten. Ganz vertieft waren sie in ihr Zwiegespräch. Wenn er, Leo, jetzt aus dem Fenster fiele, so würden sie es wahrscheinlich gar nicht bemerken.

Mit krauser Stirn und grimmig vorgeschobener Unterlippe schloß Leo das Fenster, zog die Gardine zu und setzte sich ächzend aufs Hotelbett. Daß ihn auf seine alten Tage noch einmal die Eifersucht plagen würde - das hatte er nun wirklich nicht gedacht!

Am liebsten wäre er auf der Stelle heimgefahren. Was hatte er hier überhaupt noch verloren? - Gut und schön, es war die Heimat seiner Frau, und er teilte durchaus Helgas Freude an der ihr so vertrauten, sanftgewellten Landschaft.

Ein halbes dutzendmal waren sie schon hiergewesen, immer in demselben Hotel, das dank seiner verkehrsgünstigen Lage besonders bei Bahnreisenden sehr beliebt war. Meist wimmelte es nur so von Gästen, die in dieser Gegend aufgewachsen waren und die nun allein, als Reisegruppe oder mit der ganzen Familie auf den Spuren der Vergangenheit wandelten.

Natürlich blieb es nicht aus, daß Helga im Hotel auf Menschen traf, die sie von früher her kannte. Mit den ehemaligen Nachbarn oder Mitschüler
n seiner Frau hatte er sich stets gut verstanden. Die meisten von ihnen waren ausgesprochen gesellige Leutchen, die mit großer Herzlichkeit auch ihn - den Nichtostpreußen - in ihren Kreis aufnahmen.

Der diesjährige Aufenthalt schien jedoch unter keinem guten Stern zu stehen. Schon der zweite Abend hielt eine unliebsame Überraschung für Leo bereit. Ein neuer Gast war angekommen, ein eleganter, schlanker Herr, dem es partout nicht anzusehen war, daß auch er die Siebzig längst überschritten haben mußte.

Sein Erscheinen rief einiges Interesse bei den Damen hervor. Bei Helga aber löste es helle Wiedersehensfreude aus: Horst, der vertraute Freund unvergeßlicher Jugendtage, stand vor ihr ...! - Und wie es aussah, schien er nicht wieder so schnell aus ihrem Leben verschwinden zu wollen ...

Draußen begann es nun langsam zu dämmern. Die Gegenstände im Hotelzimmer verloren ihre scharfen Konturen, ein diffuses Grau nahm von allem Besitz. Statt Licht zu machen, schob Leo einen Stuhl ans Fenster und schaute zu, wie nach und nach die Lampen im Innenhof aufflammten.

Zu dieser Zeit pflegten Helga und er für gewöhnlich noch einen kleinen Spaziergang zu unternehmen. Meist zog es sie hinunter zum Haussee, wo leiser Abendwind das Schilf bewegte und ein letztes müdes Quaken der Enten zu hören war. Dann erzählte Helga von früher, von sommerlichem Badevergnügen und stimmungsvollen Schlittschuhpartien im frostigen Abenddämmer ...

In seiner Kehle wurde es eng. Seit dem Auftauchen von Helgas Jugendfreund hatten sie keine einzige blaue Stunde mehr für sich allein gehabt. Irgendwie schaffte es dieser furchtbare Mensch, Helga so für seine Vorschläge zu begeistern, daß ihm, Leo, gar nichts mehr anderes übrigblieb als sich den beiden anzuschließen.

Tag für Tag waren sie nun zu dritt unterwegs, und das auf zugegebenermaßen sehr bequeme Art und Weise. Unter den Hotelgästen war Horst nämlich der einzige, der die Fahrt in die Heimat im eigenen Wagen angetreten hatte - einer richtigen Nobelkutsche, die es zu Leos Verdruß aber mit jedem holprigen Feldweg aufnahm. Und so genoß er denn einen Komfort, auf den er in Wahrheit liebend gern verzichtet hätte. Während Helga in Horsts Gesellschaft nur so aufblühte, wurde Leo von allerlei Komplexen heimgesucht. An seiner Glatze und der leicht "ausufernden" Figur hatte er sich eigentlich nie gestört - jetzt genügte ein Blick in den Spiegel, um jedem Anflug von Lebensfreude den Garaus zu machen.

Horst war Witwer, nicht unvermögend, und er sah blendend aus. Welcher Frau hätte es da nicht gefallen, von einem solchen Mann hofiert zu werden? Denn daß es Horst bei allem, was er tat, einzig und allein darum ging, seine Jugendfreundin wiederzugewinnen - davon war Leo felsenfest überzeugt.

Und Horst hatte zweifellos einen Trumpf in der Hand: er und Helga entstammten derselben Erde, seine Erinnerungen waren auch die ihren. Was hatte er, Leo, da noch groß in die Waagschale zu werfen?

Wenn sie nach einem Ausflug zur Bernsteinküste oder einer Rundfahrt durchs Oberland ins Hotel zurückkehrten, fühlte Leo sich denn auch dermaßen erschöpft und von Eifersucht ausgehöhlt, daß er sich gleich nach dem Abendessen aufs Zimmer schleppte.

An einen Spaziergang zum Haussee hinunter war gar nicht mehr zu denken. Helga plauderte meist noch ein wenig mit dem alten Freund, ließ sich wohl auch auf ein Gläschen Sekt an die Hotelbar entführen, um Leo beim Zubettgehen dann lang und breit vorzuschwärmen, was für ein herrlicher Tag das doch wieder gewesen sei!

Am Abendhimmel zeichnete sich jetzt die blasse Sichel des Mondes ab. Einsamkeit überkam ihn. Es war absurd - aber irgendwie hatte er das Gefühl, Helga könnte ihm entgleiten. Und dies in einem Alter, von dem er immer angenommen hatte, daß es keine Aufregungen, keine Veränderungen mehr bereithalte.

Er spürte nicht, wie seine Augen feucht wurden, schrak erst aus seinen Gedanken auf, als sich eine Hand zart auf seine Schulter legte. Hastig sah er auf, blickte in Helgas überraschte, teilnahmsvolle Augen.

"Hab ich dich lange warten lassen?"

Viel zu lange, wollte er ausrufen. Statt dessen schüttelte er den Kopf, der eigenen Stimme mißtrauend.

Seine Blicke hingen an ihr. Wie schön sie noch immer war! - Und sein Herz schlug hart bei dem Gedanken, sie womöglich zu verlieren.

Vielleicht sah Helga den Schimmer in seinen Augen und wußte ihn richtig zu deuten. Denn irgendwann legte sie ihre Hand auf die seine. Und er hörte sie etwas sagen, das alle Schatten vertrieb: "Laß uns den ganzen morgigen Tag am See verträumen. Gleich nach dem Frühstück ziehen wir los - nur wir beide, du und ich ..."
 
     
     
 
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