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Angesichts geschändeter Menschenwürde

 
     
 
Es ist nicht nur der Mammon, dem allzu viele verfallen sind. Nicht wenige haben offenbar das Gespür für Recht und Unrecht weitgehend verloren. Denken wir nur an die erschreckend hohen Abtreibungszahlen aus angeblich sozialer Notlage in einem der immerhin noch reichsten Länder der Welt.

Vor Jahren fällte das Landgericht Ulm ein aufsehenerregendes Urteil. Es erkannte dem inzwischen verstorbenen Arzt und ehemaligen Alterspräsidenten der Württembergischen Landessynode, Dr. Siegfried Ernst, das Recht zu, die in der Bundesrepublik bestehenden Abtreibungskliniken "Mordinstitute" zu nennen. "Wir leben in einem Staat, der Einrichtungen duldet, die auch nach Auffassung dieses Staates Mordinstitute sind", heißt es in einem Kommentar des Deutschen Instituts für Bildung und Wissen.

Am Karfreitag 1984 brachte das Dritte Programm des WDR die Sendung "Lasset uns den Menschen machen". Erzbischof Degenhardt von Paderborn nahm zum Komplex der geschäftsmäßig betriebe
nen künstlichen Befruchtung Stellung, "weil die Kirche und die Christen hier nicht schweigen dürfen. Hier geht es um eine sittliche Umweltgefährdung größten Ausmaßes, die noch viel schwerwiegendere Folgen haben wird als der saure Regen oder die Stickoxyde. Hier steht die Entmenschlichung akut in Frage. Hier geht es um Wert und Würde menschlichen Lebens."

Daß es sich hier nicht um ein spezifisch christliches Problem handelt, machen die Worte des jüdischen Philosophen Prof. Hans Jonas deutlich: "Wir müssen wissen, daß wir uns zu weit vorgewagt haben und wieder lernen, daß es ein Zuweit gibt. Das Zuweit beginnt bei der Integrität des Menschenbildes, das für uns unantastbar sein sollte."

Ein weiteres erschreckendes Phänomen, das uns zu denken geben sollte, ist der sogenannte Gnadentod auf Verlangen. Nach den Niederlanden hat jetzt auch Belgien die gesetzlichen Grundlagen hierfür geschaffen. Man muß nicht in die Rolle des Propheten schlüpfen, wenn man nüchtern feststellt, daß die "Entsorgungspille für Opa und Oma" nicht lange auf sich warten lassen wird, wenn die Abtreibungsmentalität und -praxis nicht überwunden werden. Wer soll angesichts der immer höheren Lebenserwartung die Kosten für die Versorgung der alten Menschen übernehmen? Dankenswerterweise hatte seinerzeit der Inspekteur des Sanitäts- und Gesundheitswesens der Bundeswehr, Generaloberstabsarzt Dr. Linde, unmißverständlich erklärt: "Weder ärztliche Berufsethik noch christliche Verantwortung vor Gott lassen eine aktive Sterbehilfe zu."

Wenn wir uns daran erinnern, daß zahllose Menschen für ein besseres Deutschland gestorben sind, wenn Graf Stauffenberg für ein "heiliges Deutschland" beziehungsweise "geheimes Deutschland" in den Tod ging, hatten sie dann ein Land vor Augen, das den Tierschutz im Grundgesetz verankert, aber alljährlich hunderttausende Ungeborene zur Abtreibung freigibt?

Helmut Graf von Moltke, eine der großartigsten Gestalten des Widerstandes, schrieb 1942 in einem Brief an einen Freund: "Wie kann das Bild des Menschen in den Herzen unserer Mitbürger aufgerichtet werden? Das ist eine Frage der Religion, der Erziehung, der Bindungen an Arbeit und Familie, des richtigen Verhältnisses zwischen Verantwortung und Rechten ..."

Die Präambel unseres Grundgesetzes betont, daß sich das deutsche Volk eine neue Ordnung gegeben habe "im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen". Damit wollte es die Bürger unsere Staates gewiß nicht auf ein konfessionelles, nicht einmal auf ein christliches Menschenbild festlegen. Aber auch eine pluralistische Gesellschaft braucht einen Minimalkonsens unaufgebbarer sittlicher Werte.

Aus unserem überlieferten Wertsystem wurde vielfach die Moral einer statistischen Mehrheit. Nicht wenige unserer Zeitgenossen halten für sittlich gerechtfertigt, was zweckmäßig ist, und für erlaubt, was "alle tun" und einen nicht vor Gericht bringt. Aber dies ist nicht die Wertvorstellung der Väter unseres Grundgesetzes, nicht die der Männer und Frauen des 20. Juli, die sich ihrer schweren Verantwortung vor Gott bewußt waren. Wenn wir der Opfer des Widerstandes gedenken, müssen wir uns fragen, ob wir lediglich einem seit Jahr und Tag festgelegten Ritual folgen oder ob wir Söhne und Töchter dieser Männer und Frauen uns ihrer würdig erweisen. Sind wir bereit, uns mit aller Kraft für die Werte einzusetzen, für die sie einst in den Tod gegangen sind? Denn "der sittliche Wert eines Menschen beginnt erst dort, wo er bereit ist, für seine Überzeugung sein Leben hinzugeben."

Mein Mitbruder Alfred Delp schrieb nach seiner Verurteilung zum Tode am 6. Januar 1945 in sein Tagebuch: "Es sollen einmal andere besser und glücklicher leben, weil wir gestorben sind." Dieses bessere und glücklichere Leben meint, daß in unserem Vaterland Recht und Menschenwürde wieder unantastbare Güter werden sollten, die weder den Alten noch den Behinderten, weder den Ungeborenen noch den Ausländern verweigert werden dürfen. Es meinte, daß wir einst wieder ein geachtetes Glied der Völkergemeinschaft werden sollten, daß von unserem Land niemals mehr eine Bedrohung anderer Völker ausgehen, daß der Welt ein dauerhafter Friede in Freiheit und Sicherheit geschenkt werden sollte.

Aber vergessen wir nicht die Mahnung, mit der Papst Johannes XXIII. seine Enzyklika "Pacem in terris" einleitete: "Der Friede auf Erden, nach dem alle Menschen aller Zeiten sehnlichst verlangten, kann nur dann begründet und gesichert werden, wenn die von Gott gesetzte Ordnung gewissenhaft beobachtet wird."

 
     
     
 
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