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Angst vor Europa

 
     
 
Noch gut vier Monate bis zum Anpfiff der Fußball-WM – da fällt manchem Peter Handkes „Angst des Torwarts beim Elfmeter“ wieder ein. Viel mehr als der einprägsame Titel ist von der 1970 erschienenen Erzählung freilich nicht in Erinnerung geblieben; nachhaltiger Erfolg blieb dem exzentrischen Literat
en auch in Fußballfan-Kreisen versagt. Immerhin aber ist das von dem Handke-Titel abgeleitete „geflügelte Wort“ in anderem Zusammenhang höchst aktuell: Die Menschen in Deutschland haben Angst, und sie machen diese Angst fest an Europa.

Diese Erkenntnis wird nicht von ausgemachten EU-Kritikern verbreitet, sondern von der EU-Kommission, die in ihrem jüngsten Eurobarometer sich selber gleich reihenweise schlechte Noten geben muß.

Die größte Sorge der Deutschen ist demnach die Angst vor der Verlagerung von Arbeitsplätzen in andere EU-Länder auf Billiglohn-Niveau (84 Prozent). Auch der zweite Rang auf der Skala der deutschen Ängste wird von Europa besetzt: 75 Prozent befürchten – als Folge einer erweiterten Europäischen Union – eine weitere Zunahme der internationalen Organisierten Kriminalität.

74 Prozent der Befragten empfinden die deutschen Beiträge in die EU-Kassen als entschieden zu hoch und befürchten dadurch Nachteile für das eigene Land. Ebenfalls 74 Prozent haben, übrigens generell, also unanhängig von Brüsseler Aspekten, Angst vor Arbeitslosigkeit.

Drohender Verlust sozialer Leistungen und Standards ängstigt 64 Prozent der Deutschen – Brüssel wird auch hier zumindest als Mitverursacher gesehen.

Dennoch halten 53 Prozent der Befragten es für eine gute Sache, daß Deutschland Mitglied der EU ist. So bestätigt auch diese Umfrage: Kritik an der EU, insbesondere an überzogenem Zentralismus und Bürokratismus, ist keineswegs gleichbedeutend mit Europafeindlichkeit. Im Gegenteil: Gerade einem guten, überzeugten Europäer darf es nicht gleichgültig sein, welche kapitalen Fehlentwicklungen er da mit seinen Steuergeldern finanzieren „darf“. Export von Arbeitsplätzen – bei fünf Millionen Arbeitslosen – und zugleich Import von Sozialmißbrauch und Kriminalität, das will man uns doch wohl nicht ernsthaft als europäische Errungenschaften verkaufen (und dies auch noch zu stark überhöhten Preisen)!

Nein, die Menschen in diesem Lande wissen offenbar sehr genau, daß „Europa“ mehr ist als diese EU. Wobei „mehr“ nicht im Sinne geographischer Größe zu verstehen ist. 59 Prozent lehnen eine fortgesetzte Erweiterung ab; nur klägliche drei Prozent halten derartiges für vorrangig. Die wohl nicht mehr zu vermeidenden Neumitglieder Bulgarien und Rumänien stoßen auf massive Ablehnung (gegen Sofia sprechen sich 54 Prozent aus, gegen Bukarest sogar 62 Prozent). Nach der Türkei wurde vorsichtshalber gar nicht erst gefragt.

Unsere Volksvertreter wissen also genau, warum sie das Volk in solchen Fragen lieber nicht mitentscheiden lassen. Sonst sähe diese EU nämlich anders aus: bürgernäher, aber wohl etwas weniger bequem für die Politiker.

Zu dieser auf allen Ebenen geschätzten Bequemlichkeit gehört auch die beliebte Methode, sich im Schatten der EU aus der eigenen Verantwortung zu stehlen. Ob Landrat oder Bürgermeister, ob Landes- oder Bundesminister – so mancher schiebt ganz gern mal Brüssel als Buhmann vor, um von eigenen Fehlern und Versäumnissen abzulenken.

Da sollten wir, die Bürger, uns nichts vormachen lassen: Brüssel ist nicht an allem Übel dieser Welt alleinschuldig; die Amts- und Mandatsträger in Kommunen, Ländern und Bund haben zunächst einmal selber ihre Hausarbeiten zu machen, statt jeden Mist, den sie produzieren, der EU in die Schuhe zu schieben.

Keine Sorge, dies soll nun nicht in eine EU-Lobhudelei umschlagen. Diese Union in ihrer heutigen Form ist ein Moloch, der die Menschen ängstigt. Sie ist das Werk von Politikern, geschaffen über die Köpfe der Bürger hinweg, ohne Rücksicht auf deren Wünsche, Sorgen und Ängste. Da gibt es mehr als genug zu kritisieren – hinzuerfinden braucht man gar nichts.
 
     
     
 
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