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"Ich weiß, Schuld kann ge- tilgt werden. Vergebung ist ein Prozeß. Doch welche staatliche Instanz soll Vergebung fordern? Staatsmacht schafft Ordnung, aber nicht in den Seelen der Menschen." Joachim Gauck, ehemaliger Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der einstigen DDR.

Im Jahr 1999 fand eine Tagung der Gauck-Behörde statt, die verschiedene Aspekte des Widerstandes in der DDR thematisierte. Die hierbei gehaltenen Vorträge haben die Referenten ergänzt und in diesem Buch veröffentlicht. Viele der insgesamt 19 Autoren gehörten einst selbst zur DDR-Opposition und haben einschlägige Forschungsstudien ausgearbeitet.

Wegen der immensen Aktenbestände des MfS gilt die Quellenlage als "sehr gut". Der Band enthält vier Themenkomplexe - Klassifikation und Typologie des Widerstandes, das Verhältnis der SED-Gegner zur deutschen Teilung, Einzelfallstudien, gesellschaftliche Kontexte oppositionellen Handelns. Zunächst wird die Methoden
- und Begriffsvielfalt der Widerstandsforschung erläutert und mit "Kategorien" paralleler Studien zur NS-Zeit verglichen.

Martin Jander analysiert die Zäsuren der Oppositionsgeschichte, ebenso ihre Hauptströmungen in den 80er Jahren, während Ingrid Miethe die Beweggründe einer Frauenfriedensgruppe darlegt. Mehlhorn, Engelmann und Knabe betonen, daß die Wiedervereinigung stets auf der Tagesordnung fast aller SED-Widersacher stand. Bis zum 17. Juni 1953 glaubte man, die DDR quasi im Frontalangriff beseitigen zu können. Nach dem Mauerbau geriet die Einheitsfrage, ähnlich wie die fundamentale Systemopposition, vorläufig in den Hintergrund, kehrte aber seit etwa 1980 im Rahmen der Friedensbewegung zurück.

Zwei Beiträge sind dem Einfluß des Deutschlandfunks gewidmet. Die Einzelstudien von Bernd Eisenfeld und Tobias Wunschik bieten interessante Tatsachen über die kaum bekannte Opposition innerhalb des Militärs und der Strafanstalten. Erstaunlich oft wurde NVA-Soldaten "Staatsverleumdung" vorgeworfen. In Gefängnissen kam es zu politisch motivierten Arbeitsniederlegungen und Gewaltanwendungen gegen Aufseher. Im Schlußteil des Buches untersuchen Autoren die "Schizophrenie" vieler Ostdeutscher, die zwischen äußerer Anpassung und widerständigem Denken schwankten.

Der frühere Weimarer Theologe Ehrhart Neubert stellt die Dissidentenbewegung in einen kulturgeschichtlichen Zusammenhang und betont, sie habe eine demokratische "Zivilgesellschaft" als Gegenbild zum SED-Totalitarismus erstrebt. Lobenswert sei es, daß regimefeindliche Demonstranten im Herbst 89 Stasi-Quartiere nicht gewaltsam stürmten, sondern "Sicherheitspartnerschaften mit der Polizei" eingingen. Hier artikuliert sich luthe- risches Obrigkeitsdenken. Dennoch sind alle Beiträge des Buches fundiert und lesenswert. Sie geben, bereichert durch Fotos aus Stasi-Archiven, kein integrales Gesamtbild, wohl aber kaleidoskopartig Einblicke in wichtige Bereiche der DDR-Opposition.

Rolf Helfert

Ehrhart Neubert, Bernd Eisenfeld (Hrsg.) "Macht - Ohnmacht - Gegenmacht - Grundfragen zur politischen Gegnerschaft in der DDR", Edition Temmen, Analysen und Dokumente, Bd. 21, Bremen 2001, 457 Seiten, 24,90 Euro

 

Aktenberge: Auch heute noch sind die Stasiunterlagen immer noch ein "heißes" Thema, denn sie beinhalten Informationen darüber, wer Freund und wer Feind des Regimes war. Foto: Alexander v. Humboldt Stiftun
 
     
     
 
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