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Lena nahm mit einem leichten Seufzen die Kartoffelschüssel auf und machte sich auf ihre "Rennstrecke" - von der Küche durch das Wohnzimmer bis in das gemütliche Bauernstübchen. Der Familie schmeckte es und das war die Hauptsache. "Möchtest du noch Soße?" fragte sie ihren Mann nach einer Weile, und wieder stand sie auf, um zur Küche zu gehen, wo die Sauciere auf der Herdplatte warm stand. "Noch Gemüse, Roland?" Und so ging es weiter. Keinem der Kinder kam es in den Sinn, auch einmal aufzuspringen und etwas herbeizuholen, und wenn es ein fehlender Löffel war.

"Bring mir ein Glas Sprudel mit, wenn du schon mal unterwegs bist", rief Arno, ihr Mann, und wieder rannte die Hausfrau; ihr Essen war schon lange kalt. Anschließend trug sie in drei Gängen das schmutzige Geschirr in die Küche und machte sich gleich daran es zu spülen. Ihre Bitte um eine Spülmaschine war abgelehnt worden, sie war einfach zu teuer. Lena verstand das, ihr Arno litt ja auch unter der erzwungenen Kurzarbeit. Viel später machte sie sich ans Wäschesortieren. Roland, ihr Jüngster, kam ins Bad und stopfte seinen Pullover in den überfüllten Wäschekorb; er kam nicht auf den Gedanken, seiner Mutter den schweren Korb in den Keller zu tragen, wo die Waschmaschine stand.

Erst am späten Abend konnte Lena ihre schmerzenden Beine hochlegen, aber sie lächelte zufrieden; Mühen und Sorgen waren selbstverständlich, die Familie war doch ihr Leben. An ein gelegentliches Dankeschön dachten ihre Lieben zwar nicht, aber Lena war der festen Meinung, sie würden ihre Arbeit schon zu schätzen wissen. -

Der Wecker rasselte zur gewohnten Stunde. Während ihr Mann sich rasierte, setzte Lena den Kaffee
auf. "Wie wohl Ulrike mit dem Test fertig wird", sagte sie zu Arno und tat so, als spucke sie ihrer Tochter über die Schulter, bevor diese das Haus verließ. "Viel Glück, Rika!" Ulrike lächelte ein bißchen gequält. Sie mußte diese letzte Prüfung noch bestehen, um aufs Gymnasium wechseln zu können.

Mittags fiel die Tochter erschöpft in den Sessel. Lena gluck-te um sie herum. "Erzähl mal, wie war s denn?" - "Oooch", das Mädchen winkte ab, "das hab ich doch mit links geschafft." Sie warf eine Mappe auf den Tisch. "Das sind meine Zeichnungen, die hab ich mit nach Hause nehmen dürfen, weil sie der Psychologe schon ausgewertet hat." Und schon war sie aus dem Zimmer. "Ich geh zu Lisa", hörte Lena noch, dann war sie allein. Neugierig nahm sie die Blätter aus der Mappe. Ulrike hatte lauter Tiere gemalt. "Wir sollten die Personen unserer Umgebung mit Tieren vergleichen", hatte sie der Mutter erklärt.

Lena lachte auf. Unter dem Wort "Bruder" erkannte sie auf der obersten Zeichnung eine Schildkröte. ´Roland und seine Kröten, dachte sie, doch dann begann sie zu überlegen: ´Schildkröte - Schild - harter Panzer - aha. Offensichtlich war das Brüderlein ein harter Brocken für Ulrike. "Na ja", Lena tätschelte im Geiste ihre eigene Schulter, "ich, die geborene Amateurpsychologin!"

Sie war neugierig geworden. Ihren Herrn Papa hatte Ulrike als Pferd gesehen, unverkennbar ein Ackergaul, kompakt, solide gebaut, ein Vaterpferd eben, es vermittelte zuverlässige Kraft. Dann betrachtete Lena das nächste Bild. Es war mit "Schwester" überschrieben. Unter dieses Wort war eine brütende Henne gemalt. Aha, Maria, die Älteste, die satt in sich ruhende werdende Mutter. Ihre jüngere Schwester hatte Ulrike als Schnecke dargestellt. Lena nickte beifällig. Gitti war nie und nirgends die Schnellste.

Sie starrte das letzte der Bilder an. Ihre Hände zitterten. Die Skizze verschwamm vor ihren Augen. Auf Anhieb hatte sie erkannt, was die Zeichnung darstellen sollte, trotzdem fragte sie sich: "Was ist denn das?" Das Tier, ein Esel, war mit "Mama" überschrieben. "Aha", sagte sie noch einmal, und jetzt zitterten auch ihre Lippen.

Abends trat sie an das Bett ihrer Tochter und setzte dreimal an, ehe sie die Frage heraus bekam: "Siehst du mich wirklich als einen dummen Esel an, Ulrike?"

Das Mädchen setzte sich erschrocken auf. "Dumm? - Ach wo! Ich hab gelesen, der Esel sei ein sehr intelligentes Tier und trage geduldig viele Lasten." - "Ach so!" Lena wischte sich leicht über die Augen. Ulrike zwinkerte. "Aber so ein Esel ist manchmal auch ganz schön störrisch. Wie du neulich, als ich nicht mit auf die Party durfte."
 
     
     
 
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