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Stefan Zweig, der 1942 aus Verzweiflung über die immer pöpelhafter werdende Welt im fernen Rio de Janeiro aus dem Leben schied, befand in seinem Roman "Marie Antoinette", daß "Wahrhaftigkeit und Politik selten unter einem Dach wohnen". Nüchterne Skeptiker
haben daher das Hilfsmittel empfohlen, die Wahrhaftigkeit in der Politik an der Interessenlage von Politikern oder ihrer ausführenden Gehilfen erkennen zu wollen.

Als Gräfin Dönhoff dieser Tage ihre so denkwürdig verworren wirkenden Sätze über die Unvergleichbarkeit von deutscher und balkanischer Vertreibung veröffentlichte, stellte sich die Frage nach den Interessenlagen erneut. Warum will eine ansonsten eher kühl und analytisch operierende Publizistin einen Trennstrich zwischen einer Vertreibung aus politischer und aus ethnischer Absicht ziehen, wo es doch auf der Hand liegt, daß ethnische Motive doch immer auch politisch begründet liegen.

Warum aber möchte dies Gräfin Dönhoff geleugnet wissen? Warum führt sie ihren Satz nicht in sonst gewohnter Manier mit Begründung und finalem Sinn zu Ende, sondern fährt nebulös fort: "Da war dieser trostlose Zug von 12 Millionen Flüchtlingen ..." Schon der zuvor angeführte Satz ist insofern falsch, als er unterstellt, daß die deutschen Vertriebenen nicht "systematisch verfolgt und beschossen" wurden. Es gab lange vor Hitler, in der Zeit zwischen den beiden Großen Durchgängen, längst auch systematisch zu verortende polnische und tschechische Gelüste, die erkennen ließen, daß man, um es mit den Worten des politischen Katholizismus des heutigen Polens zu sagen, auf die "wiedergewonnenen Westgebiete" aus war. Dies war politisch, ethnisch und auch konfessionell gemeint (Wer hier immer noch unbelehrt erscheint, sei u. a. auf das Buch von Erna Ewert, Marga Pollmann und Hannelore Müller "Frauen in Königsberg, 1945–1948" verwiesen, das 1998 im Verlag Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen erschienen ist).

Gräfin Dönhoff aber läßt den Satz ausklingen mit der Feststellung: "... die Flüchtlinge hoffen natürlich, in ihre Heimat zurückkehren zu können". Dieser balkanische Wunsch wird in einen Gegensatz zu den Wünschen deutscher Vertriebener gebracht, als seien hier keine Aspirationen nach Rückkehr auch noch heutigentags vorhanden. Warum? Mit der deutschen Vertreibung sind wir nach über 50 Jahren noch nicht fertig, daran werden auch publizistische Klitterungsversuche selbst dann nichts ändern, wenn sie wider eigene Einsichten verfaßt worden sind. Der ostdeutsche Landsmann Immanuel Kant formulierte einsichtig: "Die Lüge ist der eigentliche faule Fleck in der menschlichen Natur".

 
     
     
 
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