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Auf ein Wiedersehen in Anklam

 
     
 
Es gibt Orte, mit denen sich besondere Erinnerungen verknüpfen. Auch dann, wenn man sie lange nicht genannt, geschweige denn besucht hat. Aber wenn plötzlich der Name auftaucht - bei einem Gespräch, beim Lesen, in einer Fernsehsendung - ist alles wieder lebendig, was damals geschah. Und das kann in einem sehr langen Vertriebenenleben schon mehr als ein halbes Jahrhundert zurückliegen.

So erging es mir jetzt mit Anklam: Als mein Gumbinner Landsmann Manfred Schukat - nicht nur 1. Vorsitzender des Landesverbandes für Mecklenburg-Vorpommern
- an mich herantrat und fragte, ob ich nicht beim Frühlingstreffen der Ostdeutschland in Anklam lesen wollte, war jener späte Januartag im Jahr 1945 wieder da, an dem ich in dieser pommerschen Stadt weilte. Wobei es nur bedingt richtig ist: Ich blieb lediglich auf dem Bahnhof unter Hunderten von Landsleuten, die nach der Flucht über See in Swinemünde gelandet waren und nun versuchten, sich in den Westen durchzuschlagen. Die Bahnhofshalle war übervoll von Erwachsenen und Kindern, die auf dem eiskalten Boden hockten und warteten, daß irgendwann ein Zug käme ...

Meine Mutter und ich, die ich in Swinemünde aus meiner Wehrmachtsdienststelle entlassen worden war, hatten mit einem Sanitätszug Anklam erreicht - hier mußten wir raus. Und standen bei der nächtlichen Eiseskälte eingepfercht im Menschenpulk. Wie und wo sollte ich für meine gallenkranke Mutter ein Plätzchen finden, wo sie wenigstens sitzen konnte?

Wir schoben uns in die Bahnhofshalle. Eine Fahrkartenkontrolle gab es ja nicht, das "Knipserhäuschen" war unbesetzt, wie ich feststellte, als ich das grüne Fenstergardinchen zur Seite schob. Schnell die Türe aufgemacht und hinein. Das war ein für die eisigen Temperaturen geradezu warmer Sitzplatz für meine Mutter. Am nächsten Tag ging es dann auf einem Munitionszug weiter nach Warren. Aber das ist schon eine andere Geschichte.

Ja, und nun sollte ich wieder nach Anklam kommen! Genau 58 Jahre später! Sollte vor über 500 Menschen sprechen und lesen, heitere Geschichten vor allem. Hätte ich mir das damals als Vertriebene, die nichts als ihr Leben gerettet hatte, träumen lassen?

So kam ich nach Anklam. Und feierte mit über 500 Landsleuten, die den Volkshaus-Saal bis auf den letzten Platz füllten, ein ostdeutsches Frühlingsfest. Mit Pillkaller und Königsberger Klopsen. Mit heimatlichen Liedern, mit denen der Ostdeutschland-Sänger BernStein die Zuhörer zum Mit- singen ani-mierte. Er, der Bernd Krutzinna aus dem Kreis Sensburg, hätte allein ein ganzes Programm bestreiten können. Zusammen mit den Liedern des Anklamer Gesangvereins und einer jungen Akkordeongruppe waren die Stunden musikalisch bestens ausgefüllt. Und eine besonders hübsche musikalische Erinnerung. Dr. med. Karl Nehls spielte Klavier. Dem aus Pillkallen stammenden Mediziner, Ehrenmitglied des BdV-Kreisverbandes Anklam, wurde musikalisch zu seinem 80. Geburtstag gratuliert.

Es fehlten auch nicht die ernsten Töne. Das geistliche Wort sprach Pfarrer Philip Graffam aus Lassan. Der aus Äthiopien stammende Geistliche sprach über die Heimatlosigkeit aus eigener Erfahrung - auch er kann nicht in sein Geburtsland zurück. Anklams Bürgermeister Michael Galander ging in seinem Grußwort vor allem auf die Mithilfe der Vertriebenen beim Wiederaufbau der zerstörten Stadt ein.

Aber die Fröhlichkeit siegte dann doch, die sich dann zweifellos immer lautstark meldet, wenn heimatliche Worte erklingen - wozu ich auch beitrug. Für einige Gäste, die vor allem aus Stralsund, Greifswald und Neubrandenburg - sogar aus Stuttgart - nach Anklam gekommen waren, wurde dieses Frühlingsfest zum ersten Heimattreffen, das sie erlebten. Und man merkte, wie glücklich sie waren, wieder ganz "tohuus" zu sein - wenigstens für Stunden, in denen es für manche Vertriebene ein - auch unverhofftes - Wiedersehen mit Landsleuten gab. Manfred Schukat, der nach der Wende den Kreisverband mitbegründete, freute sich über den randvollen Saal wie auch über das gute Gelingen des Frühlingstreffens. Auch der -Stand konnte ein reges Interesse verzeichnen. Manche hielten unsere Zeitung zum ersten Mal in der Hand!

Es war schön in Anklam, schön in dieser weiten, einsamen Landschaft, die an dem sonnigen Vorfrühlingstag so sehr an Ostdeutschland erinnerte. Nur zum Bahnhof bin ich nicht gekommen. Ich hätte gerne festgestellt, ob das Fahrkartenhäuschen noch steht. Aber vielleicht gibt es ein "Wiedersehen", das mir der ganze Saal singend zum Abschied wünschte. Danke, Anklam!

Fröhlichkeit und viel Musik: Den Besuchern der Veranstaltung wurde ein abwechslungsreiches Unterhaltungsprogramm geboten. Foto (2): EB

Im Mittelpunkt des Interesses: Werner Müllers Hände leisteten "Schwerstarbeit".
 
     
     
 
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