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Auftakt zur Globalisierung?

 
     
 
Von der deutschen Öffentlichkeit ist es offenbar bislang überhaupt noch nicht zur Kenntnis genommen worden: Es geht wirtschaftlich bergab. Während der Bürger immer noch meint, in Deutschland lebe man aus dem Vollen, während Zeitungen immer noch den Unsinn verbreiten, Deutschland gehöre zu den reichsten Ländern (und daran aberwitzige Forderungen knüpfen, alle möglichen zu alimentieren), rutscht die Bundesrepublik in der Wohlstandsrangliste der Nationen in dramatischer Weise ab. Lag sie noch 1990 mit einem Bruttosozialprodukt pro Einwohner von 23 800 US-$ an zweiter Stelle, ist das Land bis Ende des vergangenen Jahres auf den 14. Platz zurückgefallen. Während Kanzler Schröder
mit entschlossener Miene behauptete, er werde die Zahl der Arbeitslosen auf 3,5 Millionen senken, rührt sich auf diesem Gebiet überhaupt nichts.

Besonders übel ist die Lage in Mitteldeutschland. Hier betrug die durchschnittliche Arbeitslosigkeit im vergangenen Jahr 17,2 Prozent, das heißt, daß fast jeder fünfte Arbeitswillige ohne Arbeit war, und das obwohl die Zahl der Mitteldeutschen, die in den Westen abwandern, immer größer wird. Da wundern sich die abgehobenen Politikmanager aller Parteien darüber, daß die Stimmung der Mitteldeutschen immer bedrückter wird, ihre Hoffnungen immer mehr schwinden, ihre politischen Reaktionen zunehmend unberechenbarer werden!

Vor diesem Hintergrund ist es ein Skandal, daß die Deutsche Bahn AG, die dem Bund gehört, am 26. Juni kaltschnäuzig verkündete, sie werde bis zum Jahr 2003 fünf Ausbesserungswerke in den neuen Bundesländern und drei in der alten BRD schließen. Von den dadurch vernichteten 5900 Arbeitsplätzen liegen zwei Drittel in Mitteldeutschland. Das größte Werk, dessen Ende jetzt eingeläutet wurde, ist das in Chemnitz mit fast 1000 Beschäftigten, alles hoch qualifizierte Fachleute, die spezialisiert sind auf die Unterhaltung und Reparatur von Diesellokomotiven. Diese Arbeit soll in Zukunft in Bremen konzentriert werden.

Nun ist die wirtschaftliche Begründung der Bahn AG nachvollziehbar, wenn auch Außenstehende ihre Berechtigung nicht kontrollieren können. Die DB AG stellt fest, moderne Lokomotiven und Waggons brauchten weniger Instandsetzungsaufwand, so daß jetzt schon die vorhandenen Instandsetzungswerke – früher Reichsbahn-Ausbesserungswerke, heute "DB-Cargowerke" (!) genannt – nicht ausgelastet seien.

Das sind lediglich wirtschaftliche Überlegungen, doch wo sind die bei einem bundeseigenen Werk umso zwingender zu erwartenden politischen Überlegungen? Immerhin hat Kanzler Schröder verkündet, der Aufbau Ost sei für ihn "Chefsache". Der Abbau etwa nicht? Verkehrsminister Bodeweg hat in einem internen Schreiben an die SPD-Bundestagskollegen ebenfalls keine anderen als wirtschaftliche Gründe vorzubringen gewußt: die Kosten der DB AG müßten reduziert werden, um das Unternehmen zu sanieren. Seine Stellungnahme zur sozialen Komponente ist flau wie gewohnt: Er habe mit dem Vorstandsvorsitzenden der DB gesprochen "und deutlich gemacht, daß der Sanierungsprozeß sozialverträglich gestaltet" werde. Angeblich soll Mehdorn zugesichert haben, "daß keiner der betroffenen Beschäftigten in die Arbeitslosigkeit entlassen wird." Das ist ebenso eine Worthülse wie Bodewigs hehre Aussage: "Darüber hinaus habe ich mit der Bahn besprochen, daß sie ihrer strukturpolitischen Verantwortung in den betroffenen Regionen nachkommt".

Es ist empörend, wenn ein bundeseigenes Unternehmen lediglich wirtschaftliche Überlegungen in seine Geschäftspolitik einbezieht, seine sozialen Verpflichtungen mit leeren Formeln abtut und nationale Verantwortung offensichtlich überhaupt nicht mehr kennt. Das kommt dabei heraus, wenn man systematisch den Grundgedanken nationaler Solidarität zerstört, so daß es auch kein gesamtdeutsches Verantwortungsbewußtsein der Wirtschaftsmanager gibt. Es geht nur noch um Wirtschaft, und das global. Das Schicksal der Nation ist offenkundig vielen gleichgültig. Wenn der Kanzler seine Sommerreise durch die neuen Bundesländer antritt, wird er vermutlich sein blaues Wunder erleben. Michaela Weiser

 
     
     
 
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