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Blicke hinter Buchdeckel

 
     
 
Was lesen die Polen im Jahr 2000? – Die Antwort ist einfach: weder das, worübe in Polen die Literaturkritiker streiten, noch das, was die deutschen Kenner zu wisse glauben.

Die Stimme der Kritiker ist im normalen Leben eines polnischen Lesers kaum vo Bedeutung, sie kommt aber um so stärker zum Tragen bei der Nominierung der Kandidate für die wichtigsten Literaturpreise des Landes: den "Nike"- und de "Koscielski"-Preis.

Nike (röm.: Viktoria) war die griechische Siegesgöttin. Ein in sozialistische
r Zei errichtetes, ihr gewidmetes Denkmal steht in Warschau, und so trägt der 1997 von de größten polnischen Tageszeitung "Gazeta Wyborcza" sowie der Firma Niko gestiftete Literaturpreis ihren Namen. Nike symbolisiert die neue – auch literarisch – Souveränität Polens. Der Preis ist mit 80 000 Zloty (etwa 40 000 Mark) fü polnische Verhältnisse gut dotiert und wurde sofort zum nationalen Nobelprei hochstilisiert.

Die bisherigen Preisträger waren Wieslaw Mysliwski, Czeslaw Milosz (der tatsächlich Nobelpreisträger von 1980) und Stanislaw Baranczak. Die Auszeichnung wird immer am 1 Oktober verliehen. Wer der diesjährige Laureatus sein wird, steht also noch offen; 2 Kandidaten warten in diesen Tagen auf die Entscheidung der Jury.

Schon die Nominierung zum Nike-Preis ist für den Autor und seinen Verlag ein begehrte Zeichen der Anerkennung. Als Favorit des 2000er "Rennens" gilt Marek Bienczy mit seinem Roman "Tworki", der Geschichte einer schwierigen und parado dargestellten deutsch-jüdisch-polnischen Beziehung zur Zeit des Zweiten Weltkrieges. Si spielt in einer Irrenanstalt namens "Tworki" bei Warschau, und man muß wissen daß "Tworki" in Polen ein feststehender Begriff ist.

Während der Nike-Preis ein neues Element der Literaturszene ist, blickt de Koscielski-Preis auf eine 40jährige Tradition zurück. Er wurde 1961 im Exil von de Witwe des Dichters und Übersetzers Wladyslaw Koscielski zur Ehrung ihres früh un tragisch verstorbenen Sohnes ins Leben gerufen. Der Preis ist als unabhängige Förderun der Jugendliteratur gedacht; die Geehrten müssen jünger als 40 Jahre sein.

Die Liste der Koscielski-Preisträger weist alle wichtigen Namen der polnische Literatur auf, Namen, die dann auch in Deutschland bekannt wurden. Beide Auszeichnunge bilden zusammen mit dem Trakl-Preis der Österreicher für polnische Literatur de strukturellen Rahmen des zeitgenössischen Literaturlebens in Polen und vermittel sozusagen in alle Welt ihre Laureaten, die dann im Westen übersetzt, verlegt, besproche und manchmal sogar gelesen werden.

Die Preisträger sind natürlich auch im eigenen Land bekannt, jedoch zeigen die vo den Buchhändlern zusammengestellten Bestsellerlisten andere vorrangige Interessen de Lesers. So war das vom wichtigsten polnischen Verlag Prószynski&Ska verlegt "Schwarzbuch des Kommunismus" der Kassenschlager 1999.

Dicht hinter dem epochalen Werk der Historikerriege um Stéphane Courtois und Nicola Werth rangierte die literarische Reportage "Heban" (Ebenholz) de Auslandskorrespondeten Ryszard Kapuscinski. Er ist der einzige Autor, der gleichermaße von den Kritikern in Polen, der westlichen Leserschaft und seinem treuen polnische Publikum anerkannt ist.

Das seit diesem Jahr auch in deutscher Sprache unter dem Titel "Afrikanische Fieber" verfügbare Buch ist eigentlich schon 1976 veröffentlicht worden und wurd nur um Überlegungen Kapuscinskis zum Wesen des modernen Krieges erweitert. Es handel sich um eine Reportage über den Unabhängigkeitskrieg in Angola 1975, bei dem Kapuscinsk als einziger ausländischer Korrespondent vor Ort war.

Den ersten Platz in den diesjährigen polnischen Bestsellerlisten nimmt mit große Abstand der brasilianische Schriftsteller Paulo Coelho ein, den seine als Romane getarnte philosophischen Trak-tate über den Weg des Menschen zu seinem höheren Ich bekann machten. Coelhos Werke vermitteln eine unmißverständliche ethische Botschaft: Suche nac dir selbst und nicht nach Rummel und Ruhm.

In den Popularitätslisten mit ihren jeweils fünf Positionen für literarische Werk sowie für Sachbücher landete Coelhos neuestes Buch "Veronika beschließt zu sterben" in ersterer Kategorie sofort auf Platz eins, während dort sein Dauerbrenne "Der Alchimist" seit fast drei Jahren ständig in der Spitzengruppe zu finde ist.

Ansonsten lesen die Polen – und das gilt für beide Sparten – vor alle polnische Autoren. Zwar verkaufen sich auch ausländische Neuerscheinungen wie die anmutige Kindergeschichte "Harry Potter und der Stein der Weisen" von Joanne K Rowling oder die Werke Stephen Kings, Terry Pratchetts und William Whartons, jedoch nimm solcherart "leichte" Literatur meistens keine oberen Plätze in de Verkaufsrangliste ein.

Der einzige derzeit sonst noch in der Spitzengruppe vertretene ausländische Autor is der Amerikaner George Weigel mit "Der Zeuge der Hoffnung. Die Biographie des Papste Johannes Paul II.", einem Buch mit einem ausgeprägt "polnischen" Charakte also. Alle anderen Autorennamen kennt trotz ihrer großen Popularität in Polen in Deutschland kaum jemand.

Waldemar Lysiak setzt sich in seinem Buch "Das Jahrhundert der Lügner" unte ethischen Aspekten kritisch mit den letzten hundert Jahren der europäischen und de polnischen Geschichte auseinander, und der äußerst beliebte Priester und Dichter Ja Twardowski sinnt ebenso kritisch über die conditio humana und das Bewahren des Humanen in Alltag nach ("Das Grundlehrbuch von Priester Twardowski für Kleine, Größere un ganz Große zum Nachdenken").

Kazimierz Z. Poznanski, Ökonom und Professor an der Washington University in Seattle nimmt in "Der große Schwindel" das "Polnische Wunder", also die Wirtschaftsreformen der letzten Dekade, unter die Lupe und zerpflückt sie als Ausverkau des polnischen Staates an den westlichen Kapitalismus.

Nicht zuletzt gehört Gustaw Herling-Grudzinski zu den häufig gelesenen Autoren. De unlängst verstorbene Altmeister aus dem Exil und jahrzehntelange Mitarbeiter de wichtigsten Exilverlags "Kultura" in Paris erzählt in "Der kürzest Leitfaden zu mir selbst" von seinem Leben und seinen Überzeugungen.

Die heutigen polnischen Verkaufsschlager bezeugen allesamt den markanten, im Weste längst vollzogenen Bruch der Leserschaft mit der "schönen Literatur", wie ma Dichtung, Romane und Theaterstücke in Polen nennt. Das Interesse gilt statt dessen de anspruchsvollen Sachbuch, vor allem dem, welches sich mit der Problematik der moderne Welt befaßt.

Auch in Deutschland hat schon manches derartige Buch den Durchbruch geschafft, wobe oft der erfolgreiche Weg eines Individuums "nach oben" im Mittelpunkt steht während in Polen speziell philosophisch-kritische Betrachtungen sehr gut ankommen.

Der Pole, der so plötzlich ein "Bürger der globalisierten Welt" geworde ist, braucht offensichtlich das Buch als Wegweiser, um sich an der Schwelle des neue Jahrtausends nicht gleich zu verlaufen.

Ewa Maria Slaska ist Schriftstellerin und Journalistin und lebt seit 1985 in Berlin 1994 gründete sie den "WIR" e.V. – "Verein zur Förderung de Deutsch-Polnischen Literatur" und ist Chefredakteurin der zweisprachige Literaturedition "WIR"
 
     
     
 
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