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Blumen für deutsche Barone

 
     
 
Wer nach Estland reist, macht die Erfahrung, daß dieses Land ein untrennbarer Bestandteil der eigenen deutschen Geschichte ist. Daß hier über ein dreiviertel Jahrtausend Deutsche gelebt, gewirkt und Verantwortung getragen haben.

Auch hört er, daß gut über die Deutschen geredet wird. Vor allem über jene, die bis zum Zweiten Weltkrieg hier ihre Heimat hatten. Denn viele dieser Deutsch-Balten
engagieren sich wieder in Estland, seit dieses freigeworden ist.

Da gibt es jene alte Dame aus einem Gutsherrengeschlecht auf Ösel (Saaremaa), die sich trotz begrenzter Mittel um die bitterarmen Alten ihres früheren Gesindes kümmert. Oder einen Pfarrer i. R. aus Hannover, der jeden Sommer einem Wanderprediger gleich durch Estland zieht, Gottesdienste auf estnisch hält und überlasteten Pastoren einige Tage Urlaub ermöglicht.

Auch jener Journalist ist zu nennen, der alljährlich „Reichsdeutsche“ nach Estland führt - meist Multiplikatoren aus Kirche, Bildung und Politik. Ebenso eine Kirchengemeinde im Rheinland, deren Pastor mit einer deutsch-baltischen Familie befreundet ist und die dabei hilft, daß in einer armen estnischen Gemeinde am Peipussee das Dach des verfallenen Pfarrhauses neu gedeckt werden kann.

All dies sind kleine Engagements, denen zahlreiche weitere an die Seite gestellt werden könnten. Sie finden in keiner Wirtschafts- oder Investitionsbilanz ihren Niederschlag. Es sind ja auch keine Millionenbeträge - doch ihre psychologische und echte Hilfswirkung hat oft viel größeres Gewicht als die sogenannten großen Investitionen.

Über eine deutsch-baltische Familie, die sich in besonderer Weise in Estland einsetzt, soll im Folgenden berichtet werden: nämlich über die Wrangells, ein deutsch-baltisches Uradelsgeschlecht, das in der schwedischen, der preußisch-deutschen und der baltisch-russischen Geschichte tiefe Spuren hinterlassen hat. Nur einige Namen und Jahreszahlen mögen die Bedeutung der Familie unterstreichen:

- Carl Gustav von Wrangell, Graf von Salmis, befehligte die schwedische Armee im 30jährigen Krieg

- Admiral Ferdinand Petrowitsch Baron von Wrangel, Weltumsegler und Geograph („Wrangelinsel“, „Wrangell Mountains“), erwarb sich große Verdienste als Erforscher Nordsibiriens. Er verwaltete von 1829 bis 1834 als Gouverneur Russisch-Amerika, sprich: Alaska

- Der preußische Generalfeldmarschall Friedrich Graf von Wrangel vertrieb 1848 im Deutsch-Dänischen Krieg die dänischen Interventionstruppen aus Schleswig

- Peter Nikolajewitsch Baron von Wrangell rettete 1920 die Reste der Weißen Armee Südrußlands nach Konstantinopel

- Wilhelm Baron von Wrangell, langjähriger Präsident der Estländischen (deutschen) Kulturverwaltung und Estländischer Staatsrat, Sprecher der deutschen Volksgruppe bis zur Umsiedlung 1939, setzte sich 1940 mit Erfolg bei Reichsregierung und SS für die Umsiedlung der restlichen Angehörigen der Volksgruppe ein, um sie vor dem Zugriff der Sowjets zu bewahren

- Die Familie von Wrangell stellte in der estländischen Geschichte von der Mitte des 17. bis Ende des 19. Jahrhunderts sechsmal den Ritterschaftshauptmann (also den Repräsentanten der deutsch-baltischen ritterschaftlichen Selbstverwaltung) und von Mitte des 14. bis Ende des 19. Jahrhunderts zwanzigmal einen Landrat (das Landratskolle-gium glich - mit wechselnden Befugnissen - einer ständischen Landesregierung Estlands)

Nach dem Zweiten Weltkrieg begingen die Wrangells ihre Familientage abwechselnd in Deutschland und Schweden. In der Folge der Wende entschieden sie sich zu einem Treffen in Estland.

Obwohl kein Este in Ruil, dem Sitz des einstigen Gutes, von dem Besuch im Vorfeld erfahren hatte, bekamen die Wrangells nicht nur das zu sehen, was sie erwartet hatten, nämlich Wildwuchs und zerfallene Häuser. Sie wurden darüber hinaus freudig überrascht vom Anblick der Gräber ihrer Vorfahren: Frische Blumen standen dort, und der Rasen war gemäht.

Esten aus der Gemeinde hatten schon länger die Gräber ihrer deutschen Barone gepflegt, ohne daß sie dazu jemand aufgefordert hatte, geschweige denn bezahlte.

Für die Ruiler Wrangells bedeutete dies ein Schlüsselerlebnis. Der Dienst, den Angehörige ihrer Familie über Jahrhunderte in und für Estland geleistet hatten, war offensichtlich nicht vergessen worden und bedurfte einer Fortsetzung. Dies auch deshalb, weil man - selbst zum Opfer geworden - Wiedergutmachung leisten wollte für das im deutschen Namen im Baltikum durch den Hitler-Stalin-Pakt mitverursachte Leid.

So gründeten 1992 einige Mitglieder der Familie den Förderverein „Pro Scola“, ein Hilfswerk von Schulpraktikern für Schulpraktiker. Der Vorsitzende Hermann von Wrangell kann eine eindrucksvolle Bilanz vorlegen: Ausstattung einzelner Schulen mit Mobiliar, Lieferung von schulspezifischen Lehr- und Lernmitteln, Beschaffung und Transport von Büchern für „Deutsch als Fremdsprache“, Durchführung von Hospitationen estnischer Lehrer, Betreuung von Schülern bei Schulbesuchen in Deutschland usw.

Das Rückgrat der pädagogischen Tätigkeit in Estland ist ein 1997 im Realgymnasium von Wesenberg (Rakvere) gegründetes Informationszentrum. Besonders erfolgreich sind die dort stattfindenden Fortbildungen für Lehrer, das heutige Hauptarbeitsfeld des Vereins.

Ebenfalls 1992 gründeten Mitglieder der Familie von Wrangell mit estnischen Freunden das „Forum Academicum“. Dessen Ziel ist es, Estland beim Aufbau einer freiheitlichen Demokratie zu helfen. Voraussetzung dafür - und auch für die Aufnahme Estlands in die Europäische Union - ist ein funktionierendes Rechtswesen. Daran mangelt es noch, denn die meisten Juristen sind - entschiedene Gegner des Kommunismus eingeschlossen - nach wie vor dem marxistischen Denksystem verhaftet. Das Forum Academicum hat bisher 50 Seminare veranstaltet, um den estnischen Juristen Hilfestellung für die erforderliche Neuorientierung zu geben.

Des weiteren wurde 1996 von Familienmitgliedern die „Fonda-tion von Wrangel“ gegründet. Diese will Leben, Werk und Forschung von Admiral Ferdinand v. Wrangel durch Veröffentlichungen und Tagungen bekannter machen.

Abschließend sollte noch die Mitwirkung im Johanniter-Orden erwähnt werden, der in Estland eine segensreiche Sozialarbeit leistet. In Ruil betreut eine estnische Johanniterhelferin das „Tantenhaus“, ein von den Wrangells wiederaufgebautes Nebengebäude des Gutshauses, in dessen Hauskapelle regelmäßig Kindergottesdienste gehalten werden. Auch dieses Projekt strahlt weit ins ganze Land aus und zeugt von der deutsch-baltischen Solidarität mit dem estnischen Volk.

Kontakt „Pro Scola“: Hermann von Wrangell, Graf-Bernadotte-Str. 6, 45478 Mülheim a. d. Ruhr, Tel./Fax: 0208-598989

 
     
     
 
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