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Das Wissen um gemeinsame Wurzeln

 
     
 
Gibt es Zufälle? Ich glaube nicht. Alles was geschieht, hat seinen Sinn, seine Vorbestimmung, passiert, weil es passieren soll. Warum sonst löste ich den Scheck, der an jenem Morgen mit der Post gekommen war, in einer anderen als der mir vertrauten Sparkassenfiliale ein?

Gut und schön, ich hatte in der Innenstadt zu tun, da bot es sich an, den Verrechnungsscheck in der Hauptgeschäftsstelle abzugeben. Ungewöhnlich war dieses Verhalten jedoch schon, da ich Zahlungsanweisungen nur höchst ungern über längere Zeit mit mir herumschleppe und es auf mei
nem Weg in die Stadt ohnehin nur eines kleinen Schlenkers bedurft hätte, um in meiner Stammfiliale vorbeizuschauen.

Wie auch immer – nachdem ich meine Besorgungen erledigt hatte, steuerte ich die riesige, marmorkühle Schalterhalle der Sparkasse an. Es herrschte starker Publikumsverkehr an diesem Tag, so daß ich mich innerlich schon auf eine längere Wartezeit einstellte. Doch ich hatte Glück. Eine junge Angestellte kam auf mich zu, kaum daß ich mich der Theke genähert hatte.

Ich reichte ihr den Verrechnungsscheck und meine Kundenkarte; sie zückte den Kugelschreiber, um die Empfangsbestätigung auszufüllen, stockte dann aber mitten im Schreiben und sah lächelnd zu mir hoch: „Das ist ja mein Geburtsname.“

Wäre es ein in Deutschland recht geläufiger Nachname gewesen, so hätte sich die junge Dame wohl kaum zu einer solch persönlichen Bemerkung hinreißen lassen. Hier aber lagen die Dinge etwas anders. Auf einen Namensvetter zu treffen, war in unserem Fall ein eher seltenes Vergnügen.

Nachdem wir uns beide als Sprößlinge dieser Stadt „geoutet“ hatten, wagte ich den Vorstoß und brachte ein wenig Ahnenforschung ins Spiel. Zu meiner Überraschung stieß ich bei meinem Gegenüber jedoch auf völlige Ahnungslosigkeit. „Ostdeutschland? Darüber wurde zu Hause nie gesprochen. Ich glaube nicht, daß es da eine Verbindung gibt ...“

Ich blickte nachdenklich in diese doch so wachen hellen Augen, in denen jetzt aber nur Bedauern darüber zu lesen war, selbst nichts zur Klärung beitragen zu können. Da stand ich nun also jemandem gegenüber, der nichts von seinen Wurzeln wußte und selbst auch nie den Wunsch verspürt hatte, Fragen zu stellen!

Für ein längeres Gespräch war nicht die Zeit. Hinter mir räusperte sich bereits ein Kunde, der unserem Privatgeplänkel zu Recht jeden Moment ein Ende setzen konnte. Trotzdem verließ ich die Schalterhalle nicht, ohne die junge Angestellte auf die „Fährte“ gesetzt zu haben: „Fragen Sie Ihren Vater oder Großvater. Ich bin sicher, sie wissen um den ostdeutschen Zweig Ihrer Familie.“ Und rasch nannte ich den Namen des kleinen Dörfchens nahe der Johannisburger Heide – die Heimstätte unserer Vorväter.

Ein letztes Lächeln, das Versprechen meines Gegenübers, sich zu erkundigen – und schon war ich draußen.

Ein, zwei Wochen verstrichen, dann führte mich mein Weg erneut in die Stadt. Auf der Sparkasse hatte ich diesmal nichts zu tun; aber nachfragen, ob unser „Ostdeutschlandgespräch“ etwas gefruchtet hatte, das wollte ich schon!

Zum Glück hatte die junge Angestellte auch an diesem Tag Dienst. Sie erspähte mich im selben Moment wie ich sie. „Ich habe schon Ausschau nach Ihnen gehalten“, lachte sie mir zu. „Mein Großvater wußte über alles Bescheid, nur gesprochen hat er nie darüber.“ Ohne die Stimme abzusenken, strahlte sie mich an: „Sie hatten recht! Wir sind miteinander verwandt, wenn auch um ein paar Ecken!“

Ein älterer Kollege, der gerade an uns vorüberging und unser Lachen hörte, blickte fragend herüber: „Gibt’s was zu feiern, meine Damen?“ – „So ungefähr. Stellen Sie sich vor, in meinen Adern fließt doch tatsächlich ostdeutsches Blut!“ bekannte meine neue Verwandte vergnügt. „Da sind Sie nicht die einzige, liebe Kollegin!“ erwiderte der Mann lächelnd, aber mit einem ernsten Ausdruck in den Augen.

Freudig überrascht blickten wir ihn neugierig an. „Kreis Johannisburg?“ fragte ich lauernd. „Darf’s auch Rößel sein?“ lautete seine verschmitzte Antwort.

Ich mußte lachen: „Mein Großvater mütterlicherseits ist in Bischofsburg geboren. Der Kreis Rößel sagt mir also schon etwas!“

Für kurze Zeit dem Alltag mit seinem ewig gleichen Getriebe entrückt, standen wir drei uns gegenüber und fühlten, ob verwandt oder nicht, eine Verbundenheit, die nicht nur allein dem Wissen um die gemeinsamen Wurzeln entsprang.

 
     
     
 
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