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Das verschwundene Haus

 
     
 
In diesem Haus hatte er einmal gewohnt. Nein, doch nicht. Jenes Haus war längst verschwunden, gestorben, damals, als sie es verlassen hatten und das ihm als Kind wie eine Festung erschienen war. Zwar standen die Mauern noch, und auch nach fünfzig Jahren hatte es seine graue Farbe nicht verloren, und auch Menschen wohnten noch darin. Aber so ist es mit den Häusern, sie sterben für einen, wenn man sie verläßt. Man wird andere Häuser bewohnen, andere Gemeinschaften werden sich zusammenfinden in Viehwaggons und Baracken. Während er auf das Haus blickt, in dem sich vereinzelt Fenster erhellen, fällt ihm einer der letzten Abende
ein, die er als Kind in diesem Haus verlebte. Es gab da mehrere Höfe, und am Abend fanden sich dort bei beginnender Dunkelheit die Kinder aus den umliegenden Häusern ein. Er war erst elf Jahre alt, kämpfte aber tapfer, als es an diesem Abend zum Streit kam. Einer der größeren Jungen aus dem Jungvolk hatte zu ihnen gesagt, daß man darauf achten solle, worüber sich die Erwachsenen zu Hause unterhielten. Auf einmal hatte es sie überkommen, und jeder kämpfte gegen jeden. Es war anders als sonst, wo sie auch rumkalberten, sich nicht bremsen konnten und sich ringend so lange auf der Erde wälzten, bis einer aufgab und "Ich ergebe mich" sagte. Erst als "Baute", der eigentlich Joachim hieß, Nasenbluten bekam und zu weinen anfing, lösten sich alle voneinander. Plötzlich waren alle verschwunden bis auf ihn, Martin, der benommen mit einer Beule am Kopf und schmerzhaftem Arm dastand. Vom Hemd gar nicht zu reden! Auf der Treppe zur zweiten Etage, wo sie wohnten, fragte er sich, wieso sie eigentlich so erbittert gekämpft hatten und was ihn oben wohl erwartete.

Zu Hause war Besuch. Vaters Bruder war gekommen, Onkel Max. Er konnte die Stimmen der Erwachsenen durch die leicht angelehnte Wohnzimmertür vernehmen. Gerade sagte Mutter: "Wie soll das alles bloß noch enden?", und die Großmutter, die seit einiger Zeit bei ihnen wohnte, fügte hinzu: "Ob wir wegmachen sollen?" Die Antwort auf diese Fragen konnte er nicht mehr hören, weil er auf dem dunklen Flur gegen einen Schemel stieß, der dort im Wege stand. Die Tür öffnete sich ganz, Licht ergoß sich über ihn und eine Flut von Vorwürfen. Sogar Mutter schalt ihn, zog ihn am Arm und besah sich sein Hemd. Ihn so am Arm zu ziehen. Einen Verletzten! Anstatt Mitleid mit ihm zu haben, bekam man was zu hören! Hatte er nicht auch für sie gekämpft? Statt dessen: "Kannst du nicht was Sinnvolleres tun, als immer nur zu streiten? Setz dich doch mal auf deinen Hintern und lies ein Buch!"

Unverhoffterweise kam Hilfe von Vater. Der meinte zu Onkel Max, man könne noch gar nicht wissen, ob das Leben "des Jungen" leichter als das ihre werden würde. Ziemlich anständig fand Martin das von Vater, auch wenn er gleich nach dem Waschen ins Bett mußte. Dabei wäre er so gern noch im Wohnzimmer bei den Großen gewesen, hätte ihnen zugehört oder mit Großmutter "Stadt, Land, Fluß" gespielt. Manchmal wußte sie mehr Städte und Flüsse als er!

In der Wohnung roch es himmlisch nach Großmutters Gebäck. Es war immer das gleiche Rezept. Aus dem ausgerollten Teig schnitt sie mit einem gezackten Rädchen Rhomben, die im Ofen blieben, bis sie eine Farbe wie Zimt angenommen hatten. Köstlich! Wie gern hätte er welche davon gegessen! Er verging fast vor Gier darauf, während er in seinem Bett lag und auf die Stimmen der Erwachsenen hörte, die leise bis zu ihm drangen. Was die nur immer zu reden hatten! Das hatten Erwachsene überhaupt an sich: saßen bis in die Nacht, redeten und aßen zimtfarbene Rhomben!

Martin konnte und konnte nicht einschlafen. Spät öffnete sich noch die Tür und Mutter horchte ins Zimmer zu ihm hin. "Mama, ich bin wach." Mutter kam ins Zimmer, setzte sich zu ihm auf das Bett und legte ihre Hand auf seinen Kopf. "Was heißt wegmachen?" wollte er wissen. Mutter aber streichelte ihn nur. Heute wußte er sich die Antwort selbst zu geben. Rückblickend schien es ihm, als ob das Leben in diesem Haus, in dem jetzt fast alle Fenster erhellt waren - auch die in der zweiten Etage - lebendiger, dichter gewesen war als heute. Lag es an dem Haus, oder lag es daran, daß niemand mehr die zimtfarbenen Plätzchen so zu backen verstanden hatte wie seine Großmutter? Das alles ging ihm durch den Kopf, während er auf das Haus mit seinen erleuchteten Fenstern blickte, das wie ein Schiff in die Nacht fuhr.

 

Heimatgedanken
von Ulrich Jakubzik

An Heimatwassern

möcht ich wieder leben,

Am waldig-grünen Ufer

überm See,

Dort jeder Tag würd

Glück mir wieder geben

Im Frühling, Sommer, Herbst,

bei Eis und Schnee.

Frühmorgens möcht

mein Auge freudig schauen,

Wie sich die Sonne

aus dem Wasser hebt

In goldnen Strahlen

überm See, dem blauen,

Und in den Lüften

schon der Milan schwebt.

Am hohen Mittag

möcht ich spüren

Des Wassers Ruch

von Fisch und Tang und Teer.

Ließ in Gedanken

mich dann führen

Vom See den Fluß hinab

zum Heimatmeer.

Zur Abendstunde

möcht ich gleiten

Im Boot zu jener Insel hin,

Wo in der Jugend fernen Zeiten

Ich einst zum Mann

geworden bin.

Und nächstens,

wenn die Zeit der Geister,

Der Alben, Pans,

des Waldschrats, Topichs Zeit,

Möcht all n ich sagen:

"Euer Meister

Erwartet Gutes nur von Euch,

nie Leid."

Ich möchte,

wenn in Frühlingswehen

Das letzte Eis zerbirst im Nu,

Vom sonnig-flachen

Seerand sehen

Dem Liebesspiel der Hechte zu.

Ich möcht , wenn goldne Ähren reif sich wiegen

Und bunte Blumen

kränzen Haus und Feld,

Im Sommerwind hoch

mit den Vögeln fliegen,

Mich freu n

der farbenfrohen Heimatwelt.

Ich möcht ,

wenn des Gewitters Eilung

Aufwühlt den See,

schwarz wie die Nacht,

Im schwankend Kahne

ohn Verzweiflung

Ganz nah dir sein,

o Schöpfungsmacht.

Und möchte fühlen,

wenn umrauscht vom Regen,

Wenn blitzumzuckt ich bin,

umstürmt vom Wind,

Bei Himmels

urgewalt gen Donnerschlägen,

Wie sehr ich

meiner Väter Heimat Kind.

Ich möchte,

wenn die Nebelschwaden

Im Herbst verzaubern

Waldes Ort

Zum Pruzzen-Urwald,

ein mich laden

Und träf vielleicht

Perkunos dort.

Auch möcht ich,

wenn durch Winters Rufen

In Weiß erstrahlen

Wald und Feld und See,

Mich freu n auf Schlitten-, Schlittschuhkufen

An seinem Festgewand

aus Eis und Schnee.

Ich möchte nur

bei alledem hienieden

Im Kreis von Menschen leben,

die wie ich

Der Heimat Kinder sind.

Im Glück zufrieden

Dächt dann ich:

"Jenseits, nun erwart ich dich."

Möcht schließlich,

wenn mein Zeit zu Ende,

Hoch überm See begraben sein,

Und daß hinauf

durch Gottes Hände

Mein Seele geh

zum Himmel ein.

Und mein Unsterbliches

möcht hüten

Von dort dich, meine Erdenstatt

Vor jedem Unheil, Kriegeswüten.

Mein Dasein sich erfüllt

dann hat.
 
     
     
 
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