A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z
     
 
     
 

Demographie

 
     
 
(Bevölkerungswissenschaft, Bevölkerungslehra.) Die Bevölkerung als die Gesamtheit der in den Grenzen eines bestimmten Gebietes lebenden Menschen hat als wirtschaftlicher, politischer und militärischer Faktor von jeher für Staaten und Regierungen eine Rolle gespielt, jedoch zunächst überwiegend als Zustandsquantität. Daß die natürliche Dynamik der Reproduktion, nämlich die biologischen Elementarereignisse von Geburt und Tod in ihrer Häufigkeit und ihren Beziehungen zueinander eine gewisse Regelhaftigkeit und Konstanz besitzen, zeigten an Hand von Londoner Tauf- und Totenbüchern zuerst die politischen Arithmetiker G raunt (162o bis 1674) und P e t r y (1623-1687); wenig später erkannte auf der Grundlage noch größeren Materials der preußische Theologe Johann Peter SU ß ni i l c h (1707-1767) »die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts, aus der Geburt, dem Tode, und der Fortpflanzung desselben erwiesen«. Die merkantilistische Zeit sah auch die Beziehung zwischen Wirtschaft als N a h r u n g s s p i e l r a u m und Bevölkerungswachstum. Ihre Gedanken brachte Thomas Robert M a l t h u s (1760 bis 1834) in eine Form, die für mehr als ein Jahrhundert zur Grundlage aller bevölkerungswissenschaftlichen Diskussionen wurde. Nach ihm hat die Bevölkerung stets die Tendenz sich stärker zu vermehren als die Subsistenzmittel; positive und präventive Hemmnisse, nämlich Tod und Elend und die Furcht vor beiden, müssen daher dauernd die Vermehrung in Schranken halten. Darwin hat die Ideen von Manus in seine Evolutionstheorie eingebaut, indem er sie mit einem qualitativen Gesichtspunkt, dem Überleben der Geeignetsten, verband. Die Bevölkerungswissenschaft ist damit teils eine wichtige Grundlage, teils sogar ein Bestandteil der Humanbiologie.

QUELLEN UND METHODEN. Bei den demographischen Elementarereignissen von Geburt, Paarung, Tod und Ortswechsel handelt es sich um Massenerscheinungen, deren Gesamtheit und Gliederung nur statistisch erfaßt werden können. Die B e v ö 1 k er u n g s s t a t i s t i k ist daher die wichtigste Grundlage der Bevölkerungswissenschaft. Sie erfaßt den B e v ö l k e r u n g s-stand und die Bevölkerungsbewegung. Die zuverlässigsten Unterlagen geben Volkszählungen, die für einen bestimmten Zeitpunkt die Zahl der Menschen und je nach dem Umfang des Zählschemas auch Alter und Geschlecht, Beruf, Familienstand und Familiengröße, Ehedauer der Verheirateten u. a. feststellen. Veränderungen des Bevölkerungsstandes können durch Registrierung von Geburten und Sterbefällen, Eheschließungen und Ehescheidungen, Ab- und Zuwanderungen oder durch Vergleich verschiedener Volkszählungen erfaßt werden. Einen regelmäßigen statistischen Dienst gibt es aber nur in hoch-entwickelten Ländern und auch dort frühestens seit der zweiten Hälfte des 19. Jhs. Etwa 25 v. H. der Weltbevölkerung werden heute regelmäßig und umfassend statistisch registriert; von etwa 40 v. H. liegen nur Angaben und zum Teil sogar nur Schätzungen über die Bevölkerungszahl vor. Internationale Zusammenarbeit, vor allem im Rahmen der UNO, versucht den statistischen Dienst für die ganze Weltbevölkerung einheitlich zu organisieren, um aus allen Ländern voll vergleichbare detaillierte Angaben zu erhalten (Demographic Yearbook seit 1949/ 1950).

Für die Zeit vor Beginn eines regelmäßigen statistischen Dienstes erschließt die B e v ö l k e r u n g s g e s c h i c k t.e statistisch auswertbare Quellen, deren Zuverlässigkeit von Fall zu Fall kritisch abgewogen werden muß. Dazu gehören gelegentliche Zählungen für einen bestimmten Zweck, z. B. im Hinblick auf die Versorgung der Bevölkerung im Kriegsfalle, Steuer- und Totenbücher, Bürgerlisten, Heereszahlen und ähnliches. Wird nur ein Bevölkerungsteil, z. B. die Anzahl der Wehrdienstfähigen oder der Vollbürger erfaßt, so kann von dort aus auf der Grundlage anderweitig gewonnener Umrechnungsschlüssel die Gesamtbevölkerung geschätzt werden. Oft sind auch indirekte Angaben zu verwenden, wie die Zahl der Häuser oder Feuerstellen, die Größe des bebauten Areals einer Stadt, der Umfang des landwirtschaftlich genutzten Bodens, der Verbrauch von Getreide u. a.

Wo geschriebene Quellen aufhören, setzt die P a l ii o d e m o-g r a p h i e ein, deren Methoden von der Anthropologie in Zusammenarbeit mit der Vorgeschichtsforschung entwickelt wurden. Ihr wichtigstes Quellenmaterial sind menschliche Skelettüberreste aus vorgeschichtlichen Siedlungen, Friedhöfen und Einzelgräbern. Sie erlauben Alters- und Geschlechtsdiagnosen (Wachstum, Ossifikation) und damit Aussagen über das Sterbealter und seine Geschlechtsdifferenzierung, unter günstigen Umständen auch über Alters- und Geschlechtsaufbau der Bevölkerung, die Größe von Siedlungen und die Entwicklung der Bevölkerungszahl. Auch Leichenbrandreste gestatten in vielen Fällen Alters- und Geschlechtsdiagnosen (G Oval/ u. a.). Die Hauptschwierigkeiten für die Paläodemographie liegen in der geringen Zahl der erhaltenen Menschenreste im Verhältnis zur Kopfzahl der prähistorischen Bevölkerungen und in den ungleichen Erhaltungschancen: Kindliche und jugendliche Skelette werden rascher im Boden zerstört und finden sich daher seltener in den Sammlungen und Museen; das gleiche gilt für die zarteren weiblichen im Vergleich mit den robusteren männlichen Skeletten (k Konstitution, Geschlechter). Indirekte Quellen für Bevölkerungszahl und Bevölkerungsdichte sind Zahl und Dichte von Kulturfunden (N o u g i e r u. a.). Aus der Wirtschaftsform und der Größe des Lebensraumes können ferner auf Grund der Verhältnisse bei heutigen Völkern, insbesondere Naturvölkern, Bevölkerungszahlen geschätzt werden.

Die Bevölkerungsstatistik hat eine Reihe spezieller Maße und Methoden entwickelt. Die elementarste Aussage über eine Bevölkerung ist die Angabe ihrer Kopfzahl; von über 40 v. H. der Erdbevölkerung wissen wir nicht mehr und auch dieses zum Teil nicht genau, und auch die meisten historischen Angaben betreffen nur die Kopfzahl. Die Bevölkerungsdichte (Einwohnerzahl pro qkm) ist abhängig von der natürlichen Ausstattung des Raumes und der wirtschaftlichen Erschließung. Für Wildbeuter in tropischen Waldgebieten sind etwa 3 qkm auf den Kopf der Bevölkerung zu schätzen, in trockenen Arnntts- und Rückzugsgebieten noch mehr (Buschmänner 55, Australier rio qkm pro Kopf). Naturvölker mit primitivem Ackerbau und Viehzucht erreichen Bevölkerungsdichten bis zu :to pro qkm; Länder, deren wirtschaftliche Basis intensiver Ackerbau ist, dagegen das Vielfache dieses Wertes (China 6o, Indien 116, Korea 127), das aber von Ländern mit Industriewirtschaft noch erheblich übertroffen werden kann (Belgien 291; Großbritannien 210; Deutsche Bundesrepublik 204; Deutsche Demokratische Republik 156; Italien 159; Frankreich 79). Übervölkerung oder Untervölker u n g sind daher relative Begriffe. Sie beziehen sich auf die Tragfähigkeit eines Raumes bei gegebener Wirtschaftsform und Naturausstattung und den Lebensstandard der Bevölkerung.

Von den Merkmalen, nach denen die Bestandsmasse einer Bevölkerung gegliedert werden kann, sind Geschlecht und Alter die. biologisch wichtigsten. Ihre Verteilung wird graphisch als Häufigkeitspolygon, die sog. B ev ö 1 k e r u n g s p y r a m i d e wiedergegeben, die auch schon etwas über die Bevölkerungsdynamik aussagt: eine breite Basis von Kindern und Jugendlichen (eigentliche Pyramidenform) zeigt eine wachsende Bevölkerung, eine schmalere Basis eine stationäre und eine eingezogene Basis eine schrumpfende Bevölkerung an (Glocken- und Urnenform). Eine ausgewogene Geschlechtsproportion drückt sich in symmetrischem Bau des Polygons aus. Asymmetrien können z. B. durch die Übersterblichkeit der Männer in Kriegen oder durch Frauenmangel in Einwanderungsländern bedingt sein.

Hochentwickelt sind die Methoden zur Erfassung der B ev ö 1kerungsbewegung. Das einfachste Maß der Sterblichkeit sind die allgemeinen Sterbeziffern (Sterberaten). Sie geben die Zahl der Gestorbenen eines Jahres auf s000 Köpfe der Bevölkerung in der Mitte des Zählraumes an und erlauben rasche Vergleiche zwischen verschiedenen Bevölkerungen und Ländern. Die erheblichen Gruppenunterschiede der Sterblichkeit innerhalb der Bevölkerungen werden dabei jedoch nicht beriicicsichtigt. Das tun die speziellen, alters- und geschlechtsspezifischen Sterbeziffern, bei denen die Zahl der Todesfälle einer Altersgruppe auf b000. Lebende dieser Gruppe bezogen wird. Die Säuglingssterblichkeit, die in der Gesamtsterblichkeit eine große Rolle spielt, wird jedoch nicht auf 1000 Lebende des ersten Jahres,. sondern auf s000 Geborene des betreffenden Zeitraumes bezogen.

Eine andere Methode arbeitet nicht mit der Häufigkeit von Todesfällen, sondern berechnet für jede Altersklasse die S t e r b e w a h r s c h e i n 1 i c h k e i t; die Überlebenden der betreffenden Altersklasse unterliegen der Sterbewahrscheinlichkeit der nächsten usw. Die Sterbetafel stellt alle diese alters- und geschlechtsspezifischen Sterbewahrscheinlichkeiten tabellarisch zusammen. Die Zahlen sind immer auf eine Masse gleichzeitig Geborener bezogen, die die verschiedenen Sterbewahrscheinlichkeiten der Altersklassen durchlaufen, und müssen daher für jede Zählperiode neu berechnet werden. Sie klammern die Anderungen der Sterbeverhältnisse, die sich in der Zeit des Durchgangs der Ausgangsmasse durch die verschiedenen Sterbewahrscheinlichkeiten vollziehen, aus. Der. Vorzug dieser Methode liegt vor allem darin, daß die Sterbeverhältnisse als kontinuierlicher Vorgang, nämlich als A b s t e r b e o r d n u n g dargestellt werden können. Aus der Sterbetafel läßt sich ferner die mittlere Lebenserwartung errechnen. Sie gibt für jede Altersklasse die Gesamtheit der noch zu durchlebenden Jahre geteilt durch die Zahl der Überlebenden an.

Ähnlich wie bei den Sterbefällen ist das einfachste Maß für die Geburten (Natalität) die Geburtenziffer (Geburtenrat e), die die Zahl der Geburten eines Jahres auf 1000 Köpfe der Bevölkerung in der Mitte des Zählraumes bezieht. Dieses Maß berücksichtigt wiederum nicht die Alters- und Geschlechtsgliederung der Bevölkerung, von der nur die Frauen einer bestimmten Altersklasse für dieses demographische Elementarereignis in Frage kommen. Die allgemeine F r u c 12 t -b a r k e i t s z i f f e r bezieht daher die Zahl der Geburten eines Jahres auf die Zahl der gebärfähigen Frauen, die in der Regel mit der Zahl der 15-45Jährigen Frauen gleichgesetzt wird. Dieses Fruchtbarkeitsmaß kann noch weiter differenziert werden, insbesondere nach Alter, Ehedauer und Familienstand.

Ein anderes Maß der Fruchtbarkeit sind die sog. R e p r o d u k t i o n s r a t e n. Sie berücksichtigen nur die Mädchengeburten, aus denen sich die gebärfähigen Frauen der nächsten Generation rekrutieren, und sind ein Maß für die durchschnittliche Gebärleistung der Frauen einer Bevölkerung. Die Brut t o r e p r o-d u k t i o n s z i f f e r (BRZ, gross reproductive rate) gibt an, wieviel Mädchengeburten auf eine Frau während der Dauer ihrer Gebärfähigkeit bei den gegebenen Fruchtbarkeitsverhältnissen entfallen, d. h. wenn sie während ihrer Fruchtbarkeitsperiode die altersspezifischen Gebärwahrscheinlichkeiten des betreffenden Jahres durchlaufen würde. Die N e t t a r e p r o d u kt i o n s z i f f e r (NRR, net reproductive rate) berücksichtigt noch die Sterblichkeit an Hand der Sterbetafeln der Frauen. Sie ist im Gegensatz zur Bruttoreproduktionsziffer wirklich ein Maß der Reproduktion, da sie angibt, wieweit die Mädchengeburten eines Jahres bei den gegebenen Fruchtbarkeits- und Sterblichkeitsverhältnissen die Müttergeneration ersetzen. Der Wert i bedeutet, daß diese genau reproduziert wird. Werte über 1 weisen auf Wachstum, solche unter Y auf Rückgang der Bevölkerung hin. Die Nettoreproduktionsziffer ist heute das gebräuchlichste Maß für Fruchtbarkeit und Reproduktion einer Bevölkerung. Ihre Berechnung setzt allerdings eine hochentwikkelte Statistik, nämlich alters- und geschlechtsspezifische Fruchtbarkeits- und Sterbeziffern voraus. Ein sehr viel roheres Maß für die Bilanz aus Geburten und Sterbefällen ist die Geburten ü b e r s c h u ß z i f f e r, berechnet als Differenz aus Geburten-und Sterbeziffern.

Die Wanderungsstatistik ist noch nicht so hoch entwickelt, wie die der natürlichen Bevölkerungsbewegung. Unterschieden werden E i n - und Au s w an d er u n g über die Staatsgrenzen hinweg und Binnen w a n der u n g innerhalb der Grenzen eines Staates. Von der letzteren ist die L an d- S t a d t-W a n d e r u n g besonders wichtig. Die Erfassung der Binnenwanderung setzt ein gut organisiertes Meldewesen voraus, das es auch in einigen hochorganisierten Staaten nicht gibt (z. B. USA). BEVÖLKERUNGSSTAND. Die Weltbevölkerung wird 1955 auf 2691 Mill. geschätzt. Der Vergleich mit früheren Zählungen zeigt eine starke Zunahme. Bei gleichbleibenden Wachstumstendenzen sind für 198o etwa 3,7 Milliarden, für 2000 etwa 6,5 Milliarden und für 2050 rund 3o Milliarden zu erwarten.

Verteilung und Dichte der Weltbevölkerung sind sehr unterschiedlich. Große Bevölkerungsanhäufungen stellen Mittel- und Westeuropa dar, wo die Bevölkerungsdichte in keinem Land unter 8o sinkt, ferner Süd- und Ostasien (China trotz primitiver Landwirtschaft und geringer Industrialisierung 6o; Japan 241; Indien 116; Pakistan 87) und Nordamerika (USA 21; Oststaaten bis über 2oo); andere große Räume sind dagegen sehr dünn besiedelt, teils weil Klima und Bodenverhältnisse natürliche Schranken setzen (Polarzonen, Hochgebirge), teils weil die wirtschaftliche Erschließung erst in den Anfängen steht.

Die Bevölkerungsentwicklung bis zum Beginn der neuesten Zeit kann nur durch Vergleich geschätzter Bevölkerungsstandzahlen für verschiedene Zeitabschnitte erfaßt werden. Das gewaltige Bevölkerungswachstum während der Menschheitsgeschichte vollzog sich nicht gleichmäßig. Im älteren P a l ä o l i t h i k u m dürften jeweils nur wenige Tausend, im jüngeren Paläolithikum höchstens einige Hunderttausend Menschen gleichzeitig gelebt haben. Das ist auch eine der Ursachen für den zunächst sehr langsamen Zivilisationsfortschritt. Das Neolithikum brachte mit der Entwicklung des Ackerbaus und der Seßhaftwerdung eine erste demographische Revolution . Für das archäologisch gut durchforschte Frankreich wird die Bevölkerungszahl auf Grund der prähistorischen Funddichte für das ältere Paläolithikum auf einige Hundert geschätzt, für das Ende des Paläolithikums (um 10 000 v. Chr.) auf etwa 50 000; in den nächsten 6000 Jahren verzehnfacht sich etwa die Bevölkerung, eine weitere Verzehnfachung wird bereits in den folgenden i000 Jahren erreicht: am Ende des 3. vorchristlichen Jahrtausends werden 5 Millionen Einwohner geschätzt (N o u g i e r), doch dürfte diese Zahl eher zu hoch als zu niedrig liegen.

Aber auch noch die großen Reiche und die Kulturen des Alter-tu in s werden von erstaunlich kleinen Bevölkerungen entwikkelt und getragen. Sumer und ähnlich später in Amerika das Alte Reich der Maya hatte kaum mehr als eine halbe Million Einwohner. Altägypten erreichte unter den letzten Pharaonen 7 Millionen, das Alte Reich als die Zeit des schöpferischen Aufstieges dürfte danach nicht über mehr als eine Million Menschen verfügt haben. In der Blütezeit von Hellas gab es rund 3 Millionen Griechen, davon weniger als 1,5 Millionen in Peloponnes und Mittelgriechenland, dem Kern des griechischen Lebens- und Kulturraumes. Italien hatte zur Zeit des Augustus 6 Millionen Menschen, nach einer zweifellos schon großen Bevölkerungsvermehrung seit den Anfängen der Republik. in West- und Mitteleuropa hat sich die Bevölkerung seit der Zeit der Völkerwanderung stark vermehrt. Der Geburtenüberschuß wurde durch Landesausbau und Ostkolonisation untergebracht. Für das spätere Mittelalter zeigen u. a. zahlreiche Dorfwüstungen einen Bevölkerungsrückgang an (A b e l), an dem die großen Pestgänge stark beteiligt waren. Wirtschaftlicher Ausbau und Ansteigen der Preise lassen für das spätere Mittelalter und das 16. Jh. wiederum ein Bevölkerungswachstum annehmen. Für 165o wird die Bevölkerung Europas auf rund too Millionen, die Weltbevölkerung dagegen auf 515 Millionen geschätzt. In der Neuzeit hat sich bis 193o die Bevölkerung Europas trotz starker Überseeauswanderung verfünffacht, die Erdbevölkerung vervierfacht. Am geringsten hat die Bevölkerung in Afrika zugenommen; in Amerika und Australien brachte die europäische Kolonisation einen sprunghaften Bevölkerungsanstieg. Seit dem Beginn der Menschheitsgeschichte hat sich also das Bevölkerungswachstum in Abhängigkeit vom zivilisatorischen Fortschritt erheblich beschleunigt.

Phasen der Bevölkerungsbewegung als der Resultante aus Geburten und Sterbefällen ist bei allen Verschiedenheiten im einzelnen ein typischer Phasenablauf zu erkennen. Er ist am weitesten in Europa fortgeschritten und dort auch am besten statistisch belegt, mit zeitlichen Verschiebungen jedoch auch in allen anderen Ländern mit entsprechenden statistischen Unterlagen zu beobachten. Phase I ist gekennzeichnet durch hohe Geburten- und Sterberaten bei geringem Geburtenüberschuß, also langsamem Bevölkerungswachstum. Die Abstimmung der Bevölkerungszahl auf den Nahrungsraum erfolgt in erster Linie durch die Sterblichkeit. Es ist das diejenige Art der Bevölkerungsregulation, die auch im Tierreich überwiegt (L a c k) und die far den weitaus größten Teil der menschlichen Bevölkerungsgeschichte gilt. Hoch ist die Säuglingssterblichkeit; es sind Zahlen bis zu 8o v. H. bekannt. Die Sterblichkeit der Frauen liegt über der der Männer, wobei der Tod im Kindbett eine große Rolle spielt. Seuchen stehen noch nicht unter Kontrolle und fordern daher hohe Opfer; vor der Entwicklung eines Weltverkehrsnetzes stellen Hungersnöte im Gefolge von Mißernten oder anderen Naturkatastrophen das drastischste Mittel der Abstimmung der Bevölkerungszahl auf den Nahrungsraum dar. So wird der Rückgang der Bevölkerung Europas in den großen Pestjahren 1348149 auf ein Drittel geschätzt; die Kartoffelkatastrophe 1845-1847 in Irland forderte 800 000 bis 1 Million Tote, mindestens io v. H. der Bevölkerung; in Vorderindien wüteten 1918/19 gleichzeitig Hungersnot und Grippeepidemie, es starben 15 v. H. der. Bevölkerung.

Die mittlere Lebenserwartung ist in Phase I dementsprechend gering. Sie liegt in Indien bei der Geburt bei 27 Jahren (um 1940), im 11. Jh. in Ungarn bei 30,6 Jahren; die Bevölkerung gliedert sich in relativ geschlossene Heirats- und Fortpflanzungskreise (I s o l a t e), in denen Engzucht oder gar Inzucht herrscht. Als Eingriffe in die natürliche Fruchtbarkeit sind Abtreibung und Kindestötungen bekannt, während Methoden der E m p f ä n g n i s v e r h ü t u n g noch eine geringe Rolle spielen. Innerhalb der Bevölkerung sind Heiratshäufigkeit und Heiratsalter auf das sozialökonomische Niveau der Schichten eingestellt: die wirtschaftlich ungünstiger gestellten, abhängigen Sozialgruppen gelangen seltener oder später zur Familiengründung. Soweit eine sozial differenzierte Fortpflanzung vorliegt, besteht also Tendenz zur stärkeren Vermehrung der oberen Sozialschichten.

Phase II ist gekennzeichnet durch ein Absinken der Sterbeziffern als Folge der Entwicklung von Medizin und Hygiene, insbesondere der Ausschaltung der großen Seuchen (letzter großer Pestgang in Europa 1709-1711) und der Verbesserung der Säuglingshygiene. Die Geburtenziffern fallen dagegen weniger oder gar nicht oder steigen sogar infolge des Anwachsens der fortpflanzungsfähigen Altersklassen an. Es entsteht eine Bevölkerungsschere,: Geburten- und Sterbeziffern scheren auseinander, zwischen ihnen bleibt ein wachsender Geburten- überschuß, Diese Phase ist daher durch starkes Bevölkerungswachstum gekennzeichnet. Ihr Beginn ist in Westeuropa etwa an den Anfang des 19. jhs. zu setzen; eine sprunghafte Bevölkerungsentwicklung ist ihre Folge; mit der wachsenden Bevölkerungsdichte beginnen die Isolate aufzubrechen und die Teilbevölkerungen sich stärker zu vermischen. Dies ist u. a. an einem Rückgang der V e r zu a n d t e n e h e n und der räumlichen Vergrößerung der Heiratskreise zu beobachten.

Die Abstimmung der Bevölkerungszahl auf die Subsistenzmittel erfolgt durch Ausweitung des Nahrungsraumes - Intensivierung der Landwirtschaft, Verstädterung und Industrialisierung - und durch Auswanderung. So hatte 1801 Frankreich 253 Städte über 5000 Einwohner bei 3,7 Millionen =13,6 v. H. der Bevölkerung, 1901 schon 648 Städte bei 14,4 Millionen =

37 v. H. der Gesamtbevölkerung des Landes. In den USA betrug der Anteil der ländlichen Bevölkerung 1790 (in Gemeinden unter 2000 Einwohnern) 94 v. H., 1840 noch 88 v. H., 1910 dagegen 54 v. H. und 1940 nur 44 v. H. In Deutschland sinkt der Anteil der Bevölkerung in Gemeinden unter 2000 Einwohnern zwischen 1871 und 1939 von 63 auf 30 V. H. (1900

44 v. H.). Es wanderten ferner im 19. Jh. rund 40 Millionen Europäer nach überseeischen Ländern aus, darunter rund 20 Millionen nach den USA.

Soweit es soziale Differenzen des Bevölkerungswachstums gibt, ist weiterhin eher eine höhere natürliche Vermehrung der sozial höheren Schichten zu erwarten, die zu allen Zeiten geringere Sterblichkeitsziffern zeigen und von den medizinischen und hygienischen Fortschritten am ehesten profitieren. Diese Unterschiede werden aber zum Teil dadurch ausgeglichen, daß in der neuen Industriegesellschaft die Regulierung durch Heiratsalter und Heiratshäufigkeit verfällt; das Heiratsalter beginnt sich auf den Eintritt ins Berufsleben einzustellen, woraus sich eine umgekehrte Beziehung zwischen sozialem Rang und Heiratsalter ergibt: je ungelernter eine Sozialgruppe, desto niedriger liegt ihr durchschnittliches Heiratsalter. Durch raschere Generationenfolge werden damit die ungünstigeren Sterblichkeitsverhältnisse ausgeglichen. Mit dem Wachstum der Stadtbevölkerung spielen die Land-Stadt-Unterschiede der Reproduktion eine größere Rolle; Stadtbevölkerungen haben zu allen Zeiten eine geringere Vermehrung gehabt als Landbevölkerungen.

Die Entwicklung der Sterblichkeit zeigt nach paläodemographischen Untersuchungen eine absinkende Tendenz schon seit dem Beginn der Menschheitsgeschichte. Im P a l ä o l i t h i-k u m wurden nur wenige Menschen über 5o Jahre alt. In Ne o -1 i t h i k u m und Bronzezeit dagegen starben die Menschen erst in höherem Alter, und zwar lassen sich über 6ojährige nachweisen, deren Anteil in den jüngeren Epochen weiterhin, wenn auch keineswegs regelmäßig und überall in gleichem Grade, wächst. Wo die Säuglings- und Kindersterblichkeit erfaßt werden kann (jüngere Eisenzeit Schwedens, frühes Mittelalter in Ungarn), liegt sie bei seßhaften Bevölkerungen nicht wesentlich über der Phase I der europäischen Neuzeit. Die Sterblichkeit der Frauen ist in den meisten prähistorischen Bevölkerungen höher als die der Männer. Die spezifisch menschliche Erscheinung, daß die Lebensdauer weit über die sexuell und reproduktiv aktive Lebensperiode hinausgreift, spielt sich also erst im Laufe der Menschheitsgeschichte ein und stellt ein Ergebnis des zivilisatorischen Fortschritts dar.

In Phase III sinken nach den Sterbeziffern auch die Geburtenziffern ab. Die Bevölkerungsschere schließt sich wieder. Die Bevölkerungsvermehrung ist wie in Phase I gering bis zum B e v ö l k e r u n g s r ü c k g a n g , aber bei sehr viel geringerem Bevölkerungsumsatz. Nachdem in Phase H die Sterblichkeit unter Kontrolle gestellt wurde, geschieht dasselbe jetzt mit der Fruchtbarkeit: Familienplanung und Rationalisierung der Fortpflanzung setzen sich durch. Die Regulierung erfolgt dabei mehr durch die sich rasch verbreitenden Methoden der E m p f ä n g s n i s v e r h ii t u n g, als durch die primitiven und roheren Methoden von Abtreibung und Kindestötung. Die physiologischen Unterschiede der Fruchtbarkeit werden nunmehr völlig überdeckt von ihrer sozialen und kulturellen Überformung.

Geburten- und Sterbebewegung beeinflussen sich dabei gegenseitig in mannigfaltiger Weise. Die Rationalisierung der Fortpflanzung erhält einen ihrer Impulse aus der sinkenden Sterblichkeit und den wirtschaftlichen Problemen, denen eine rasch wachsende Bevölkerung gegenübersteht; geringere Säuglingssterblichkeit und höhere A u f w u c h s z i f fern lassen die erwünschte Familiengröße bei einer niedrigeren Geburtenzahl erreichen. Die fortschreitende Verlängerung der Lebenserwartung setzt die Geburtenziffer auch dadurch herab, daß der Anteil der höheren Altersklassen wächst, diese aber nur noch in geringem Umfang an der Reproduktion teilnehmen. Andererseits beeinflussen die geringere Geburtenzahl und der größere Geburtenabstand günstig die Sterblichkeit. Das gilt in erster Linie für die Säuglingssterblichkeit: sie sinkt in den höchst entwickelten Ländern bis unter 3 v. H. (Schweden 2,3; Neuseeland, Weiße 2,2; Australien 2,8; Niederlande 2,9 v. H:) und kommt damit nahe an die Grenze der endogenen Sterblichkeit auf Grund von erblichen und konstitutionellen Defekten, die auf 2 v. H. geschätzt wird. Während ferner die Sterblichkeit der Frauen insbesondere im gebärfähigen Alter früher über der der Männer lag, liegt sie jetzt in allen Altersklassen darunter. Durch die Verlängerung der Lebenserwartung erhöht sich der Anteil der höheren Altersklassen an der Gesamtbevölkerung, und aus dieser Überalterung ergehen sich neue wirtschaftliche und soziale Probleme, die zur Begründung eines neuen Zweiges der Humanbiologie, der Gerontologie, führen. Die Sterbewahrscheinlichkeit zeigt weiterhin einen ersten Gipfel im Säuglingsalter, dann ein starkes Absinken zu den sehr niedrigen Werten der 5- bis 35jährigen, danach ein langsames und nach dem 5o. Lebensjahr ein steileres Ansteigen.

In der sozialen Differenzierung der Fruchtbarkeit kehren sich in Phase III die Verhältnisse endgültig um: die gewollte Beschränkung der Kinderzahl setzt ebenso wie das Absinken der Sterblichkeit in den Oberschichten ein, die daher trotz weiterhin günstigerer Sterblichkeitsverhältnisse geringere Reproduktionsraten erreichen als die Grundschichten, die die Methoden der Familienplanung später adoptieren. Die Städte, insbesondere die Großstädte, gehen ferner in der Geburtenbeschränkung voran, so daß sich die Land-Stadt-Unterschiede der Reproduktion vergrößern. Der Geburtenrückgang ist eng verbunden mit der hohen sozialen M o b i l i t ä t in der hochindustrialisierten Gesellschaft und dem Streben nach sozialem Aufstieg, bei dem kleine Familien begünstigt sind. In dem Maße, wie sich die Geburtenbeschränkung auch in den breiten Grundschichten durchsetzt, gleichen sich jedoch die sozialen Fruchtbarkeitsunterschiede wieder aus. Die durch den allgemeinen sozialen Auftrieb unterbesetzte Schicht der ungelernten Arbeiter wird vielfach durch Einwanderung aus weniger entwickelten Ländern aufgefüllt.

17: Sozial differenzierte Fortpflanzung. Durchschnittliche • Kinderzahl auf ioo Einkommensteuerpflichtige nach Einkommensgruppen 1 zo und Gemeindegrößenklassen in Deutschland 1925. Auf dein Lande (unter 2000 Einwohner) noch überwiegend sinkende Kinderzahl mit steigendem Einkommen, aber Umkehr in den höchsten Einkommensgruppen; Steigen der Kinderzahl mit dem Einkommen in den Großstädten (Zahlen nach F. Burgdörfer 1935) In Westeuropa ist noch der Ansatz zu einer I V. Phase zu erkennen. Das Absinken der Sterblichkeit durch Verlängerung des Lebens hat zwar noch nicht völlig die natürliche Grenze erreicht, geht aber nunmehr erheblich langsamer vor sich. Durch die Zunahme der höheren Altersklassen im Aufbau der Bevölkerung wachsen daher wieder die Sterblichkeitsziffern. Nachdem die Fortpflanzung in allen Bevölkerungsschichten durchrationalisiert ist, stellt sich ferner vielfach wieder eine positive Beziehung zwischen sozialem Rang und Familiengröße ein; es bleiben jedoch die sozialen Unterschiede des Heiratsalters, durch die die Generationsdauer in den weniger gelernten Schichten kürzer ist. Nachdem die Industriewirtschaft vollständig aufgebaut ist, wird der soziale Auftrieb schwächer, der Lebensstandard liegt in allen Schichten hoch; ein erneutes Ansteigen der Geburtenziffern ist die Folge, die jedoch nirgends wieder die hohen Werte von Phase I und II erreichen.

PHASENUNTERSCHIEDE. Die verschiedenen Bevölkerungen und Länder der Erde stehen in der Gegenwart an verschiedenen Stellen des Phasenablaufs. Ihre Bevölkerungsweise ist dabei in hohem Grade eine Funktion des industriellen Reifegrades (H e -b e r 1 e) und der Europäisierung der Lebensformen (M a c k e n-r o t h). Zu dem Zeitpunkt, wo die Bevölkerungsstatistik einigermaßen zuverlässige Zahlen bietet, pflegt die zivilisatorische Entwicklung bereits so weit fortgeschritten zu sein, daß sie sich in einem Absinken der Sterbeziffern auswirkt. Relativ hohe Sterbeziffern bei hohen Geburtenziffern liegen heute vor allem in einer Reihe süd- und mittelamerikanischer Staaten vor (Guatemala, Honduras, Salvador, Bolivien, Columbien, Ecuador), Indien folgt ihnen den amtlichen Zahlen nach mit Abstand, die jedoch sowohl auf der Geburten- wie auf der Sterbeseite zu niedrig liegen dürften (D a v i e s).

In der Phase I geringes Bevölkerungswachstum bei hohen Sterbeziffern dürfte auch die Mehrzahl der Bevölkerungen stehen, von denen keine Zahlen über die natürliche Bevölkerungsbewegung vorliegen. Die Geburtenziffern liegen aber bei Naturvölkern keineswegs immer so hoch wie bei vorindustriellen europäischen Völkern. Abtreibung scheint überall gekannt und auch bei Primitiven oft in hohem Maße geübt zu werden. Auch die physiologische Fruchtbarkeit scheint bei zivilisierten Völkern höher zu liegen als bei Naturvölkern (C a r r -Saun -d e r s): Entbehrungen und schwere körperliche Belastungen wir- -ken sich nämlich nicht nur auf die Sterblichkeit, sondern auch auf die Fruchtbarkeit aus. So werden aus Neger-Afrika überwiegend niedrige Geburtenziffern berichtet, an denen Sterilität der Frauen durch Arbeitsüberlastung, Abtreibung und frühes Altern eine Rolle spielen. In geringem Grade sind Schwankungen der Fruchtbarkeit auch im Tierreich an der Abstimmung der Kopfzahl auf den Nahrungsraum beteiligt (L a c k). In den europäischen Kolonialgebieten repräsentieren die Eingeborenen durchweg länger die Phase I der Bevölkerungsbewegung als die Weißen (z. B. Südafrikanische Union, vgl. auch Neuseeland, USA). Der erste Kontakt mit den Europäern hat bei den meisten Naturvölkern zunächst zu einem starken Bevölkerungsrückgang geführt; an ihm wirken sowohl eine hohe Sterblichkeit durch eingeschleppte Krankheiten, durch gewaltsame Dezimierung oder durch Verdrängung in Armuts- und Rückzugsgebiete wie auch absinkende Geburtenzahlen mit; an der letzteren sind u. a. Geschlechtskrankheiten, die Anwerbung der Männer als Wanderarbeiter, aber auch seelische Depressionen infolge Auflösung von Stammesorganisationen und ethnisch geprägten Wertsystemen beteiligt. Eine Reihe kleinerer Primitivgruppen sind auf diese Weise ausgestorben (Tasmanier, indianische und melanesische Stämme), andere haben jedoch die Anpassungskrise überwunden und sind in die Gruppe der stationären Bevölkerungen zurückgekehrt oder sogar zu wachsenden Bevölkerungen geworden, indem sie von den zivilisatorischen Fortschritten der Europäer profitierten und damit ihre Sterbeziffern senkten. Dies gilt u. a. für zahlreiche melanesische Gruppen, für die Maori auf Neuseeland und die Indianer der Vereinigten Staaten.

Dabei handelt es sich jedoch um relativ kleine Gruppen. Die großen Bevölkerungsblöcke, die heute die rasch wachsenden Bevölkerungen der Phase II sinkende Sterbeziffern bei noch hohen Geburtenziffern repräsentieren, sind die lateinamerikanischen Länder mit starker indianischer Bevölkerung; die islamischen Länder Vorderasiens und Nordafrikas; Teile Südostasiens und China. In den lateinamerikanischen Ländern wird die Entwicklung durch die weiße Bevölkerung vorangetrieben, die ebenso wie in den eigentlichen Kolonialländern eine spätere Phase der Bevölkerungsentwicklung repräsentiert. An dem zivilisatorischen Fortschritt nahm jedoch auch die Eingeborenenbevölkerung teil, die damit in die Phase sinkender Sterbeziffern eintrat. In Südostasien hat die stark fluktuierende kolonialeuropäische Oberschicht gleichfalls die Lebensverhältnisse verbessert, die Seuchen erfolgreich bekämpft, Landbau und Gesundheitsdienst intensiviert und damit die Sterberaten gesenkt. Besonders das auf der Grundlage der Reiskultur dicht besiedelte Java mit seinen über 5o Millionen Einwohnern fällt als solche Wachstumszelle stark ins Gewicht, ähnlich die Philippinen. Besonders hohe Geburtenziffern werden aus den islamischen Ländern berichtet, allerdings nur zum Teil nach amtlichen Quellen. Wo innerhalb der Länder die demographischen Daten nach Religionsgemeinschaf ten aufgegliedert werden, weisen die Mohammedaner die höchsten Geburtenziffern auf (Ägypten 1934: 43, dagegen Christen 34, Juden 21). Viele dieser Länder sind in raschem wirtschaftlichem Aufbau begriffen, der den Trend der sinkenden Sterblichkeit unterstützt. Israel zeigt infolge der ständigen Zuwanderung junger vitaler Kolonisten besonders niedrige Sterbeziffern, aber sehr große Unterschiede der Fruchtbarkeit zwischen den einzelnen Herkunftsgruppen, die das demographische Gefälle der Herkunftsländer widerspiegeln. Den größten wachsenden Bevölkerungsblock stellt China dar. Die amtliche Sterbeziffer liegt aber unwahrscheinlich niedrig und dürfte wegen unvollständiger Registrierung ebenso wie die von Indien zu korrigieren sein. Sehr hohe Geburtenraten sind jedoch sicher, und ein starkes Bevölkerungswachstum ergibt sich auch aus dem Vergleich verschiedener Zahlungen. Die Volkszählung von 1953 registrierte 582 Millionen Festlandchinesen, während 195o die Kopfzahl noch auf 450-500 Millionen geschätzt wurde. Seit 1878 hat eine starke chinesische Auswanderung die Mandschurei kolonisiert, und ganz Südostasien ist Wanderraum chinesischer Arbeiter und Kaufleute.

Die meisten europäischen und europäisch besiedelten Länder einschließlich der UdSSR stehen in der Phase III mit sinkenden Geburtenziffern und niedrigen, wieder weitgehend stabilisierten Sterbeziffern. Es besteht jedoch in Europa ein Gefälle von Osten nach Westen und von Süden nach Norden. Die höchsten Geburten- und Geburtenüberschußziffern liegen in Polen und Rußland, die süd- und südosteuropäischen Länder weisen höhere Ziffern auf als Nord- und Nordwesteuropa. Die Beziehung zum industriellen Reifegrad und der Höhe des Lebensstandards der Bevölkerung ist auch hier sehr deutlich. In den europäisch besiedelten Überseeländern liegen Geburten- und Geburtenüberschußziffern überwiegend über dem Durchschnitt der Herkunftsländer, doch sind in den Zahlen jeweils auch die farbigen Bevölkerungsteile enthalten. Von den nichteuropäischen Ländern ist das hochindustrialisierte Japan schon relativ früh, nämlich zwischen den beiden Weltkriegen, in die Phase sinkender Geburtenziffern eingetreten und ordnet sich heute zwischen den europäischen Ländern ein.

Die nordwest- und mitteleuropäischen Länder sind die Repräsentanten der Phase IV mit wieder leicht angehobenen Sterbeziffern und daher besonders niedrigem Geburtenüberschuß. Die Nettoreproduktionsziffern sanken zeitweise unter 1, liegen aber seit dem erneuten Geburtenanstieg, der in den dreißiger Jahren beginnt, zum Teil wieder darüber.

Die regelhafte Abhängigkeit zwischen Bevölkerungsweise und wirtschaftlichem Niveau läßt für die sog. u n t e r e n t w i c k e l t e n L ii n d e r, die heute der Phase I und II angehören, früher oder später den Übergang in die Phase III erwarten. Mehr oder minder deutliche Anzeichen für ein Absinken der Geburtenzahlen sind bereits in der Mehrzahl der betreffenden Länder zu beobachten. Je später eine Bevölkerung in diese Phase eintritt, desto rascher pflegt das Tempo der Entwicklung, desto stärker also der Abfall der Geburtenkurve zu sein. Der Ausgleich der großen Unterschiede im zivilisatorischen und wirtschaftlich-technischen Niveau, der sich heute zwischen den Ländern der Erde anbahnt, läßt also auch eine Angleichung im natürlichen Bevölkerungswachstum und damit eine gewisse Stabilisierung der Bevölkerungsverhältnisse erwarten. BEVÖLKERUNGSPOLITIK. Zahlreiche politische Maßnahmen beeinflussen direkt oder indirekt die Bevölkerung: alle Maßnahmen zur Veränderung des Lebensstandards, der hygienischen Verhältnisse und der ärztlichen Betreuung haben einen Einfluß auf die Sterblichkeit; politischer Druck und wirtschaftliche Not fördern die Tendenzen zur Auswanderung, rascher wirtschaftlicher Ausbau kann als Einwanderungssog wirken; die Ehe-und Familiengesetzgebung ist ein mitbestimmender Faktor für Heiratsalter, Heirats- und Scheidungshäufigkeit und damit auch für die Fruchtbarkeit der Ehen. Bevölkerungspolitische Maßnahmen im engeren Sinne betreffen vor allem die Geburten-und die Wanderbewegung. Zahlreiche europäische und europäisch besiedelte Überseeländer betreiben eine positive Geburtenpolitik, seitdem die Reproduktionsraten nahe bei I oder sogar unter 1 liegen. Das geschieht in erster Linie durch wirtschaftliche Unterstützung der Familien mit Kindern, sei es durch direkte Zuwendungen (Kinderbeihilfen), sei es indirekt durch Staffelung der Steuersätze und andere Vergünstigungen. Am weitesten wurde dieses System in Frankreich mit dem Code de f a m i l l e 1939 ausgebaut. In Deutschland hatte die nationalsozialistische Regierung seit 1933 zahlreiche bevölkerungspolitische Bestimmungen erlassen, die kinderreiche Familien wirtschaftlich förderten, aber auch ihr Prestige zu heben versuchten (Mutterkreuze, Ehrenpatenschaften u. a.). Von 41 Verfassungen, die nach dem zweiten Weltkrieg gegeben oder verändert wurden, enthalten 35 Bestimmungen Tiber Schutz oder Förderung der Familie, Mutterschutz und dergleichen (Übersicht bei H. T. E l d r i d g e, 1954). Geburtenpolitische Maßnahmen sind jedoch auch schon aus dem Altertum bekannt. Kaiser Augustus (27 v. bis 14 n. Chr.) veranlaßte die 1 e x P a p i a Pop -p e a, die Junggesellen, Kinderlose und sogar Witwen steuerlich benachteiligte und ihre Erbfähigkeit beschränkte, er zahlte Kinderprämien an arme Bürger, belobte öffentlich kinderreiche Familien und führte Ehrenzeichen für Mütter ein; unter späteren Kaisern traten mit dem System der Alimentationen Kinderbeihilfen für unbemittelte Bürger hinzu. Die Erfolge solcher gezielter Maßnahmen sind nicht unbestritten. Die Gesetze des Augustus haben den Bevölkerungsrückgang in Italien offenbar nicht aufgehalten; die Geburtenraten sind in Frankreich und Deutschland nach Erlaß der betreffenden Gesetze erheblich angestiegen, das war jedoch, allerdings in geringerem Grade, auch in Ländern ohne direkte bevölkerungspolitische Gesetzgebung der Fall. Wirtschaftliche und soziale Sicherheit sind aber im System der Familienplanung zweifellos ein gewichtiger, wenn auch nicht der einzige Faktor, der die Familiengröße bestimmt.

Japan und Indien betreiben eine entgegengesetzte Geburtenpolitik: durch Propagierung der Familienplanung und Empfängnisverhütung soll das Bevölkerungswachstum gehemmt werden. In Japan, wo schon vor dem zweiten Weltkrieg die Geburtenraten abzusinken begannen und der Gedanke der Familienplanung an ältere Traditionen anknüpfen konnte, hat diese Politik bisher größere Erfolge als in dem noch weniger entwickelten Indien. In China und anderen unterentwickelten Ländern bestehen dieselben Probleme, ohne daß daraus bisher bevölkerungspolitische Folgerungen gezogen wurden: Jede Wirtschaftshilfe, die den Lebensstandard hebt und damit die Sterblichkeit senkt, bleibt illusorisch, solange nicht auch die Geburtenraten absinken und die Bevölkerung zu einem den wirtschaftlichen Möglichkeiten angepaßten Gleichgewichtszustand kommt (Ba-1 a n d i e r, T h o m p s o n). Rasch wachsende Bevölkerungen, für die nicht im gleichen Tempo zusätzliche Subsistenzmittel geschaffen werden können, sind katastrophengefährdet und stellen Unruheherde dar. Die Bevölkerungspolitik ist damit ein wesentlicher Bestandteil der allgemeinen Weltpolitik. Die United Nations haben daher von Anfang an sowohl in den Abteilungen fur soziale und wirtschaftliche Angelegenheiten wie im Statistischen Amt und der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, WHO) Bevölkerungsfragen ihre volle Aufmerksamkeit zugewandt.

Auch die W a n d e r p o l i t i k tendiert zunehmend zu internationalen Regulierungen. Die Auswanderung unterliegt in den meisten Ländern keinen oder nur geringen Beschränkungen; dagegen haben praktisch alle Länder Einwanderungsgesetze, die die Zahl der Einwanderer beschränken und bestimmte Personenkategorien, insbesondere Kranke, Kriminelle und Arbeitsunfähige, ausschließen. Die großen Wanderungen im Gefolge des zweiten Weltkrieges haben diese Regulierungstendenzen durchbrochen, doch hat nach dem Kriege die Internationale Fliichtlingsorganisatio13 (seit 1945) und der Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (Office of the United Nations, High Commissioner for Refugees, 1950) die vielfach mit neuen internationalen Wanderbewegungen verbundene Wiederansiedlung in die Hand genommen. Aus der Bevölkerungsgeschichte sind zahlreiche wanderpolitische Maßnahmen bekannt: Um- und Aussiedlungen dienten häufig der Befriedung eroberter Gebiete (babylonisches Exil der Juden; Umsiedlungspolitik von Assyrern, Inka, chinesischen Kaisern; Deportation der Wandalen nach. dem Siege Belisars 533 u. a.), Ansiedlungen von Zuwanderern der Hebung der wirtschaftlichen oder militärischen Potenz der Staaten (Germanen im Römischen Reich; P e up i i e r u n g s maßnahmen des merkantilistischen Zeitalters: Hugenotten in Brandenburg, Salzburger in Ostpreußen u. a.). Auch die Wanderpolitik ist mit der Seßhaftmachung entwurzelter Bevölkerungsteile und dem Ausgleich zwischen über- und untervölkerten Gebieten ein wichtiger Bestandteil der Weltpolitik.
 
     
     
 
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