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Der Fall Stoiber oder: Das Spiel mit den Zahlen

 
     
 
Journalisten mögen keine Hängepartien, schon wegen der prinzipiellen Unvereinbarkeit von offenen Fragen und Redaktionsschluß. Solange jedenfalls die Sache mit Edmund Stoiber nicht ausgestanden war, nahm sich die wartende Presse der Angelegenheit an und drehte selbst ein wenig mit am "Rad der Geschichte". Manche der Überhitzungen in der Affäre Stoiber erklären sich daraus.

Von wegen "67 Prozent der wahlberechtigten Bayern sind der Ansicht, daß ohne Stoiber ..." - wenn Schlagzeilen (noch) fehlen, können sie bestellt werden, bei demoskopischen Instituten. Die Meinungsforscher streuen in ihre routinemäßigen Erhebungen Woche um Woche zusätzliche Fragen ein, zum Beispiel die nach Stoibers Rückhalt in der Wählerschaft. Die Demoskopen
machen zwar ein Geheimnis um ihre Preise, aber so teuer sind die aktuellen Fragen auch wieder nicht. Es lohnt sich, wenn ein Wochenende lang mangels wirklich neuer Nachrichten immer die gleiche Meldung durch die Radiosender geistert: "Nach einer Umfrage von ,forsa im Auftrag des ,Stern haben ..." - so viel Werbung in nachrichtenschwacher Zeit macht sich bezahlt. Nur, der "Stern" ist nicht allein und "forsa" auch nicht. Beim Wettlauf, um als Spitzenmeldung ausgewählt zu werden, steigen die Abfragewerte schon "von ganz allein".

In den Vereinigten Staaten, in denen eine vergleichbare Form der Medienpräsentation schon weit verbreitet ist, hat sich für diesen journalistischen Stil ein eigener Begriff eingebürgert - "horse-race journalism".

Was ein Pferderennen ist, weiß jeder, und daß es nicht immer fair zugehen muß, wenn alle um den Sieg streiten, das weiß man schließlich auch.

Die Demoskopen arbeiten für die Auftraggeber, und ob die Blitzumfragen die Forderungen nach Gültigkeit (Validität) und Zuverlässigkeit (Reliabilität) erfüllen, bleibt offen - es ist kaum möglich, solche Ergebnisse nach wissenschaftlichen Kriterien nachzuprüfen. Theoretisch müßten sich die Befragungsergebnisse unter gleichbleibenden Rahmenbedingungen wiederholen lassen, doch davon kann nicht die Rede sein. Also müßten wenigstens die Regeln der Statistik befolgt werden und sichergestellt sein, daß die Umfrage nicht im Unschärfebereich von Stichproben bleibt. Doch die marktwirtschaftlichen Einflüsse können leicht die wissenschaftlichen Anforderungen beeinflussen, wenn man es zuläßt. Demoskopische Institute jedenfalls, die ihr Renommee pflegen, beteiligen sich an solchen Schnellschüssen nie.

Ihre Spontanwirkung verfehlen die Umfragen dennoch nicht: Damit kann man Politik machen. In der Affäre Stoiber unterbrachen sogar die Feuilletonisten ihre Wochenend-Ruhe und räsonierten über "Die Kunst, Abschied zu nehmen" oder die "Chance des letzten Augenblicks", als sei alles schon entschieden. Das wiederum animiert Zeitgenossen, falls sie von Demoskopen befragt werden sollten. Spätestens jetzt sollten Meinungsforscher streng auf ihre Erhebungsmethoden achten, um nicht zu falschen Ergebnissen zu kommen.

In der letzten Stufe der Eskalation zitieren die Medien sich gewöhnlich gegenseitig und schaffen so eine neue Form von Wahrnehmung. Ob sich Sachstand und Schlagzeilenfassung noch vereinbaren lassen, steht dahin, aber die Medien beherrschen
 
     
     
 
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