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Der Schmerz sitzt manchmal sehr tief

 
     
 
Eigentlich hatte sie ihre Mutter angerufen, um ihr von ihrer bestandenen Prüfung zu erzählen, aber irgendwie waren sie von ihrem Erfolg auf den Nicht-Erfolg der Mutter gekommen. "Nee, laß man, Schieter", hatte deren Mutter einst zu ihrem Mann gesagt, "die is ja man nur eine Deern. Die braucht keinen Nachhilfeunterricht in Mathe, die wird eh früh heiraten und dazu braucht sie kein Abitur."

Schon beim letzten Telefonat war man von einem Erlebnis der Gegenwart auf die Probleme der Mutter mit dem ständigen Streit zwischen ihrer eigenen Mutter und den jüngeren Schwestern gekommen. Alle drei Schwestern buhlten selbst im Erwachsenalter um die Gunst der Mutter, die in völliger Überforderung mit ihren teilweise nicht mehr miteinander sprechenden Töchtern als Alkoholikerin endete.

Drei Generationen in nervenaufreibenden Auseinandersetzungen mit ihren Müttern vereint. Katharina Ley versucht in "Versöhnung mit den Eltern - Wege zur inneren Freiheit" (patmos Verlag, Düsseldorf, 219 Seiten, Klappbroschur, 14,90 Euro), die Eltern-Kind-, aber auch Geschwister-Beziehungen unter dem Aspekt der charakterlichen Folgeschäden aufzuschlüsseln. Die Schweizer Psychoanalytikerin wechselt zwischen Erfahrungsberichten Betroffener und eigener Beurteilung, so daß während der Lektüre deutlich wird, wie tief der Schmerz in so manchem Erwachsen über erlittene Demütigung
en, Vernachlässigungen und Mißhandlungen sitzen kann.

"Das verletzte Kind in sich wahrzunehmen, hilft zu erkennen, daß auch die Eltern verletzte Kinder waren. Vieles von ihrem Fehlverhalten war ihr Selbstschutz vor ihren eigenen Verletzungen. Wenn ein Mensch dies mit dem Herzen und in Liebe erkennt, dann verwandelt sich Schmerz in Mitgefühl, Respekt und Nähe."

Einerlei, was man von dem sehr harmonisch stimmenden Versöhnungsratschlägen der Autorin halten mag, so macht sie doch deutlich, wie wichtig es ist, seine eigenen Schwächen unter Berücksichtigung der Kindheit zu hinterfragen. Viele Verhaltensweisen des Erwachsenen fußen in den Erfahrungen als Kind und da die Eltern maßgeblichen Einfluß auf das Leben eines Kindes haben, sind sie häufig die Mitverursacher. Wobei hier eindeutig darauf verwiesen sein soll, daß sich die Eltern selten dessen bewußt sind.

Die wenigsten hinterfragen ihr alltägliches Tun, manche meinen etwas sogar gut und erreichen unbewußt das Gegenteil. So spricht Katharina Ley beispielsweise den Fall einer Mutter an, die ihrer Tochter immer helfend zur Seite steht, bis die Situation eskaliert, als die Tochter selbständig etwas bakken möchte und die Mutter sich mit ihren Ratschlägen aufdrängt. Was die eine gut meint, ist für die andere ein Zeichen dafür, daß ihre Mutter ihr nichts zutraut. Bei dem geschilderten Beispiel spricht die Tochter die Mutter offen darauf an, doch wie oft geschieht so etwas in der Realität? Häufig werden Konflikte mit den Eltern aus Kindertagen laut der Berner Therapeutin erst durch Konflikte im Erwachsenenalter bewußt. Doch wie soll man nach Jahrzehnten die Eltern noch auf die "alten Kamellen" ansprechen, die für einen eben gar nicht so alt - im Sinne von vergangen - sind? Und was ist, wenn die Eltern gar nicht mehr leben?

"Es ist ein Glücksfall, wenn wir uns im vertraulichen Gespräch mit einer Freundin, einem Freund, mit dem etwas Belastendem aus unserer Vergangenheit auseinandersetzen und uns allmählich damit versöhnen können. Es kann auch in einer Therapie geschehen, in einer Selbsterfahrungsgruppe, möglicherweise auch allein, im Schreiben eines Tagebuches oder im Verfassen von Briefen an sich selbst und an früher wichtige Personen. Entscheidend ist in solchen Momenten, daß die Differenz zwischen früher und heute entdeckt und erkannt werden kann.

Damals fühlte und handelte man anders als heute möglich wäre. Heute haben wir mehr Möglichkeiten zur Verfügung. Das verändert den Blick auf das Frühere und ermöglicht einem heute, früher Verletzendes, Ärgerliches, Schmerzliches zu überwinden und es seinzulassen."

Bei Katharina Ley geht die Versöhnung immer vom Kind aus, da es das Opfer ist. Doch die Rollen können sich auch verschieben. In jedem Fall muß aber der jenige, der die Versöhnung anstrebt, ehrlich zu sich selbst sein. Er darf seine Aggressionen nicht gegenüber anderen oder gar sich selbst freien Lauf lassen.

Katharina Ley weist aber auch darauf hin, daß es viele Menschen gibt, die keine Versöhnung mit ihren Eltern anstreben, weil sie sie nicht für nötig halten. Wer sich selbst akzeptiert, hat auch die Kraft, seine Eltern realistisch zu sehen. "Es ist doch klar, daß meine Eltern auch Menschen sind, was denn sonst?", so ein Befragter. "Wir wollen einander nicht mehr verändern. So sind unsere Beziehungen heiter und locker geworden."
 
     
     
 
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