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          Der Hausherr hatte sein Feuerwerk im     Park abgebrannt unter dem Jubel der Dorfkinder, die auf der Mauer hockten. Auch das     Bleigießen war vorüber. Man rätselte noch ein wenig über die bizarren Figuren, die man     im Schein des Kaminfeuers gegen die Wand hielt, um das Schattenbild besser deuten zu     können.
       Der kräftige Arrakpunsch duftete aus den Gläsern. Die Hausfrau reichte eine große     Schüssel mit Pfannkuchen herum. Man aß und trank  die Stunde draußen im     verschneiten Park hatte alle hungrig gemacht.
       Plötzlich entstand auf der Diele Lärm. Kinderstimmen lachten, schwere Schritte     polterten die Treppe hinunter, dann fiel die Tür krachend ins Schloß. "Sind die     Lümmel denn noch nicht im Bett?" dröhnte der Baß des Hausherrn, in dem ein     nachsichtiges Lächeln mitschwang.
       Der blonde    Pagenkopf des Jüngsten zwängte sich durch den Türspalt. "Vatchen,     Mathes ist ganz naß!" Schon hatte sich die kleine Gestalt im Nachthemd durch     die Tür geschoben und hockte nun auf den Knien des Vaters.
       "Was habt ihr denn mit dem Mathes gemacht?" "Ach weißt, wir haben ihm     erzählt, daß die Tiere heute nacht reden können. Das stimmt doch, Vatchen, nich? Und     dann hat der Schorsch gesagt, oben auf der Lucht hocken die Spatzen im Schornstein, und     die reden ganz laut, er hats genau gehört. Dann hat der Schorsch sich aber     hinterm Schornstein versteckt, mit ner großen Kruk voll Wasser, und wie     der Mathes is raufgeklettert, hat er ihn beplaukscht, aber wie! Da is der Mathes ganz     boßig geworden und is weggerannt 
" Der Kleine schlug die Hände zusammen.
       "Das alte Spiel", nickte der Vater, so haben wir auch immer die Hirtsjungen     reingelegt, und so haben wir selber was auf den Kopf bekommen. Nun aber ins Bett,     Matzchen."
       Die Gäste lachten noch, als der Kleine verschwunden war. "Was ist das denn für     ein Aberglauben?" fragt der junge Assessor, der vor einigen Monaten an das     Amtsgericht der Kreisstadt versetzt worden war.
       "Was  daß Tiere in der Neujahrsnacht reden?" Der Hausherr nahm einen     kräftigen Zug aus dem Glas. "Ja, so heißt es, und Seltsames ist schon manchmal in     der Neujahrsnacht geschehen. Ich denk noch, als der Rappe sich losgerissen hatte und     in der Neujahrsnacht zittern im Hof stand und keine Menschenseele ihn in den Stall     zurückbekam. Und drei Nächte später brannte der Stall ab und mit ihm verbrannten vier     Pferde, die wir nicht mehr retten konnten."
       Dieser und jener begann nun zu erzählen, sonderbare Geschichten aus der Neujahrsnacht,     und der Arrakgrog mochte wohl die Phantasie beflügeln. Bis der Tierarzt sich erhob:     "Ich glaub, mein guter Fuchs sagt jetzt auch zu mir: Oler, spann an on driew     noah Hus, du hest jenoch jefiert!"
       Der Abschied erfolgte in dem allgemeinen Gelächter, das der lustige Doktor     heraufbeschworen hatte. Die Schlitten fuhren vom Hof, einer nach dem andern. Noch ein     Winken, ein letztes "Prost Neujahr!", dann verhallte das Läuten der     Schlittenglocken auf der Chaussee.
       Der Assessor saß neben dem Tierarzt, fröstelnd in seinen Mantel gehüllt, denn die     Kälte der ostdeutschen Neujahrsnacht machte sich trotz des kräftigen Punsches     bemerkbar.
       "Sie müssen sich auch nen Pelz anschaffen, Assessorchen", ratschlagte     der Tierarzt, aus dessen hochgeschlagenem Otterkragen nur die rote Nase hervorleuchtete,     "mag ja gutes Tuch sein, was Sie da haben, aber das wärmt doch nicht!" Er     schob ihm fürsorglich die dicke Schaffelldecke über die Knie.
       Kurz hinter dem Tor, schon im Windschatten der ersten, niedrigen Häuser, hielt der     Tierarzt den Schlitten an. Der Assessor stieg aus. Er hatte nur durch einige kleine     Straßen bis zu seiner Wohnung zu gehen. Der Abschied war wegen der späten Stunde nur     kurz.
       Die Schritte des jungen Mannes, der eilig nach Hause strebte, wurden bald unsicher,     denn die dünnen Sohlen seiner modischen Lackschuhe glitten auf den blanken Spuren aus,     die von Kinderschlitten gezogen waren. Verschlafen kauerten die dunklen Häuser in ihren     Gärten. Der Lärm der Jahreswende war verstummt.
       Plötzlich, einem unerklärlichen Zwang folgend, drehte der Assessor sich um. Er schrak     zusammen: ein schmaler Schatten war in diesem Augenblick in das Dunkel einer     vorspringenden Hauswand geschlüpft. Nun kam er scheu und witternd hervor. Es war ein     Hund, ein mageres, wolfsgroßes Tier.
       Der Assessor war kein Tierfreund, und Hunde waren ihm schon ganz zuwider. Er scheuchte     das Tier mit der erhobenen Hand zurück und versuchte, schneller auszuschreiten. Als er     sich an der nächsten Ecke umdrehte, sah er den Schatten wieder hinter sich.
       "Geh fort", keuchte er und hob einen harten Schneeklumpen auf, den er nach     dem Hund warf. Der Schatten glitt lautlos zur Seite, um sich dann, als der Mann     weiterging, wieder an dessen Fersen zu heften.
       Das Spiel wiederholte sich noch etliche Male. Der Hund blieb  ohne einen Laut von     sich zu geben  auf der Fährte des Mannes.
       Als der Assessor in eine schmale Gasse einbiegen wollte, um den Weg zu seiner nun schon     nahen Wohnung noch etwas abzukürzen, sprang der Hund mit einem drohenden Knurrlaut vor.     Er glitt an dem Mann vorbei und duckte sich, kaum drei Schritte von ihm entfernt, in den     Schnee, den er mit seiner Rute peitschte. Im Schein einer nahen Laterne sah der Assessor     das drohende Gebiß, das sich ihm wütend entgegenfletschte. Und als der Mann, verwirrt     und am ganzen Leibe zitternd, noch einen Schritt vorwärtsging, setzte der Hund zum Sprung     an.
       Abwehrend hob der Mann den Arm vor die Brust, während er langsam, Schritt für     Schritt, zurückging. Er ließ den Hund nicht aus den Augen. Keuchend blieb er auf der     Mitte der Straße stehen. Er sah den dunklen Fleck im Schnee der Gasse. Der Hund rührte     sich nicht.
       Gerade wollte der Mann sich umdrehen, als ein Dröhnen aus der Gasse kam, dann ein     Poltern und Klirren und schließlich ein dumpfer, erstickender Laut. Und er sah im hellen     Licht der Schneenacht, daß sich  wohl dreißig Schritte von ihm entfernt in der     schmalen Gasse  an einem baufälligen und schon lange geräumten Haus ein     vorspringendes Giebelstück unter der Last des Schnees gelöst hatte und mit der Wächte     herabgestürzt war.
       Der Mann stand reglos da und starrte auf den unheimlichen Schneeberg, aus dem dunkel     Mauerbrocken und Balken ragten. Er wäre wohl gerade an dieser Stelle gewesen, wenn er den     Weg durch die Gasse genommen hätte.
       In den anliegenden Häusern wurden die Fenster hell. Verschlafene, erschrockene     Gesichter preßten sich an die Scheiben. Der Assessor wandte sich um und ging davon. Er     blickte nach einer Weile noch einmal zurück. Im Schnee wanderte nur sein eigener Schatten     mit.
 
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