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Die Ente

 
     
 
Der Westen im allgemeinen und die Bundesrepublik Deutschland im besonderen sehen sich in der Tradition der Französischen Revolution von 1789 sowie ihrer Ideen und Ideale. Folglich wird der enorme Blutzoll, den Frankreich im anschließenden Bürgerkrieg zu entrichten hatte, in der Öffentlichkeit ger- ne bagatellisiert, wenn nicht gar ignoriert. Dabei hatte der Aderlaß derartige Ausmaße, daß es die ernst zu nehmende These gibt, daß sich die Grande Nation
bis zum heutigen Tage nicht von ihm erholt habe und bis in die Gegenwart von ihm geprägt sei.

Unabhängig von der Richtigkeit dieser interessanten Begründung ist unbestreitbar, daß Frankreich gerade auch im Vergleich zu seinem großen Nachbarn im Nordosten relativ schwach besiedelt und in der Folge in hohem Maße agrarisch geprägt ist. Nicht von ungefähr wird in der traditionell französisch geprägten und dominierten EG/EU die Landwirtschaft mit milliardenschweren Subventionen sowie protektionistischen Exportförderungen und Importhemmnissen gehätschelt, während den Interessen des sekundären und tertiären Wirtschaftssektors vergleichsweise wenig Beachtung geschenkt und Bedeutung beigemessen wird. Der Agrarsektor genießt in Frankreich traditionell höchste Priorität, und so ist denn auch die „Ente“ im Gegensatz zu ihrem deutschen Pendant, dem „Käfer“, dezidiert für den Landwirt geschaffen und auf seine Bedürfnisse zugeschnitten worden.

„Entwerfen Sie ein Auto, das Platz für zwei Bauern in Stiefeln und einen Zentner Kartoffeln oder ein Faß Wein bietet, mindestens 60 Stundenkilometer schnell ist und dabei nicht mehr als drei Liter Benzin auf 100 Kilometer verbraucht! Außerdem soll das Fahrzeug schlechteste Wegstrecken bewältigen können und so einfach zu bedienen sein, daß selbst eine ungeübte Fahrerin problemlos mit ihm zurechtkommt. Es muß sehr gut gefedert sein, so daß ein Korb mit Eiern eine Fahrt über holprige Feldwege unbeschadet übersteht. Und schließlich muß das neue Auto wesentlich billiger sein als unser ,Traction Avant‘.“ Mitte der dreißiger Jahre erteilte der Generaldirektor des französischen Automobilunternehmens Citroën, Pierre Boulanger, seinem Chefkonstrukteur Maurice Broglie diesen Auftrag.

1936 war ein Holzmodell und 1937 ein erster Prototyp hergestellt. Letzterer wog knapp 300 Kilogramm und hatte unter der bereits gewölbten Motorhaube einen 24 PS leistenden 500-Kubikzentimeter-Motorradmotor von BMW, der wie beim „Traction Avant“, dem sogenannten „Gangsterwagen“, die Vorderräder antrieb. Der Motorradmotor gab jedoch nach 1000 Versuchskilome-

tern seinen Geist auf und wurde durch einen speziell für den Wagen entwickelten wassergekühlten Zweizylinder ersetzt, der aus 375 Kubikzentimetern acht PS holte. Im Mai 1939 ordnete Boulanger den Bau einer Vorserie von 250 Fahrzeugen an, denn zur Eröffnung des für den Herbst geplanten Pariser Autosalons sollte allen Citroën-Händlern mindestens ein Vorführwagen zur Verfügung stehen.

Der Zweite Weltkrieg vereitelte jedoch diese Pläne. Während der deutschen Besatzungszeit wurden die Arbeiten an dem Projekt „Toute Petite Voiture“ (TPV) weitgehend eingestellt. Allerdings kam es im Krieg zu bedeutenden Veränderungen am Antrieb des TVP. So wurde das Problem, daß der wassergekühlte Motor bei Temperaturen unter fünf Grad nicht ansprang, dadurch gelöst, daß er durch einen luftgekühlten ersetzt wurde, der mit neun PS noch eine Pferdestärke mehr besaß als sein Vorgänger. Sein Konstrukteur, Walter Becchia, der 1941 von Talbot kam, ersetzte bei der Gelegenheit auch das bisherige Drei-Gang- durch ein Vier-Gang-Getriebe. Nach dem Kriege wurde dem Wagen zusätzlich zum vierten Gang auch ein zweiter Scheinwerfer spendiert, so daß er nun bei Nacht von entgegenkommenden Fahrzeugen nicht mehr für ein Motorrad gehalten werden konnte. Außerdem erhielt das Fahrzeug statt des manuellen den Luxus eines elektrischen Starters.

Im Februar 1948 fiel Boulangers Entscheidung für die Massenproduktion des TPV und dessen offizielle Typenbezeichnung. Er sollte schlicht nach seiner Steuer-

klasse in seiner französischen Heimat heißen, also 2 CV. Am 6. Oktober jenes Jahres 1948 enthüllte Pierre Boulanger auf dem Pariser Automobilsalon vor den Augen des Präsidenten der Republik den „Regenschirm mit vier daran befestigten Rädern“, „die häßliche Ente“, die „Badewanne des Jahrhunderts“, die „Ju 52 auf Rädern“, den „Deux Cheveaux“. Knapp 42 Jahre später, am 27. Juli 1990 verließ im portugiesischen Mangualde das letzte der insgesamt über 5 Millionen produzierten Exemplare das Montageband.

 
     
     
 
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