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Die Historische Phylogenetik

 
     
 
Das rekonstruierte Bild der formalen Phylogenie ist um so sicherer, je vollständiger das Urkundenmaterial ist, auf dem dieses Bild aufgebaut wurde. Vielfach ist dieses Material noch alles andere als ausreichend, häufig läßt es uns weithin im Stich, und es gibt Tiergruppen, über deren phylogenetische Ortung noch nichts bekannt ist. Aber die Paläontologie hat seit C u v i e r (1769-1832), seit Darwin in der zweiten Hälfte des 19. Jhs., besonders aber im 20. Jh. bis zur Gegenwart sehr große und zum Teil äußerst eindrucksvolle und weitreichende Fortschritte gemacht.

Das allgemeine Fazit aus diesen Ergebnissen ermöglicht einen Schluß, der sich auch in Zukunft nicht anders darstellen dürfte: Der Ablauf der Gesamtphylogenie der Organismen zeigt keine Erscheinungen, die im Prinzip von dem durch die gleich zu besprechende experimentelle Phylogenetik analysierten aktuellen Evolutionsmechanismus (Mechanismus hier als Ursachengefüge verstanden) so abwiche, daß man auf jeden Fall mit noch anderen, unbekannten Mechanismen zu rechnen hätte. Früher wurde häufig auf das Fehlen von Zwischenformen innerhalb der paläontologischen Überlieferung hingewiesen wer denkt da nicht an das missing link in der Stammesgeschichte der Hominiden? Man glaubte überhaupt keine zwischen Gruppen höherer systematischer •alenz brückenschlagende Formen gefunden zu haben. Man überwand dieses Fehlen der Brücken zunächst nicht etwa, indem man intensiv nach derartigen Brückenorganismen forschte, sondern Sprungmutationen postulierte, lierte, d. h. saltative makrophyletische Wandlungen, die übergangslos einen neuen Typus hervorgehen lassen sollten. Trat in der Formenabfolge ein solcher Sprung wie man meinte auf, so wurde versucht, seine Realität durch den Nachweis einer ununterbrochenen steigenden Schichtenfolge zu beweisen. Eine angenommene stratigraphische Kontinuität stützt zumindest die Vorstellung der Typensprunghypothese .

Es tritt nun aber in der gegenwärtigen stratigraphischen Forschung mehr und mehr zutage, daß diese Kontinuität nicht vorhanden ist und daß sich Schichtstöße finden lassen, welche die verbindenden Brückentiere der durch eine vermeintliche Saltation getrennten Formen enthalten. Weder das Fehlen von Brückenformen im Sinne eines Nichtexistierthabens, noch das Fehlen von stratigraphischen Schichten zwischen den Typen besitzt Realität. Die Realität der Brückentiere aber tritt mit der zunehmenden Komplettierung des Fossilmaterials immer deutlicher hervor (S i m p s o n 1952, Heberer 1943, 1959). Unsere Kenntnis wird weiter fortschreiten. Es wird immer klarer sichtbar werden, daß der Ablauf der Evolutionsgeschichte nicht durch abrupte Saltationsereignisse gekennzeichnet ist, sondern daß die Phylogenie ein mikromutativ bedingtes Geschehen ist. Julian H u x l e y hat dies treffend formuliert: die Entwicklung stelle sich nicht in Form einer aufwärts führenden Treppe, sondern einer schiefen Ebene dar. Die Annahme einer großstufigen, makroevolutiv ablaufenden Phylogenie erweist sich immer mehr als eine Fehlspekulation, der nach und nach die Stützen entzogen werden, ganz abgesehen von ihrer genetischen Fragwürdigkeit. Man hatte schon früher Zwischentypen, die allerdings aber äußerst selten einmal wirkliche genealogische Brücken zweier Formtypen sind, sondern nur als strukturelle Ahnen, als Modelle von Ahnen, gelten können (Ichthyostega, Archaeopteryx, Oligokyphus u.a.; fürdiePrimatenphylo-genie: Proconsulinae, Oreopithecinae, Australopithecinae). Bestimmte Regelmäßigkeiten im Verlauf der phylogenetischen Wandlungen treten inder paläontologischen Überlieferung deutlich hervor eben die zeitlich geordneten progressiven Formen-reihen, wie z. B. die Pferdereihe mit ihrer Richtung von kleiner zu großer Gestalt, von Vierzehigkeit zur Einzehigkeit, von niedrigen Zähnen zur Hypsodontie (Hochzähnigkeit) u. a.; beim Menschenstamm besonders die zunehmende Cerebralisation. Man hat in diesen Richtungen das Wirken besonderer autogenetischer Richtungsfaktoren, sehen wollen, die die Evolution auf ein vorgegebenes Ziel lenken (o r t h. o g e n e t i s c h e R i c ht u n g s f a k t o r e n). Doch auch hier hat die Evolutionsgenetik für Verein mit der paläontologischen Materialkomplettierung gezeigt, daß solche telisch-aktiven Orthogenesefaktoren nicht notwendig sind, um das Phänomen der Orthogenese (dieses jetzt nur deskriptiv genommen) zu erzeugen. Es erscheint zweckmäßig, das theoretisch belastete Wort Orthogenese nicht mehr zu verwenden und an seiner Stelle die Bezeichnung Trend , die theoretisch nicht vorbelastet ist, zu verwenden (lieberer 1956). Schon Darwin hat ja als eines seiner Hauptergebnisse die Eliminierung final zwecktätiger Faktoren zur Erzeugung von Zweckmäßigkeiten (Anpassungen) aus dem die Evolution bewirkenden Ursachengefüge angesehen, und es ist dies auch in der Tat eine der wesentlichen Aussagen, die die Selektionstheorie macht. Auch für die Abstammung des Menschen müssen wir Saltationen und telisch-aktive Orthogenesefaktoren ablehnen (Heberer 1958).
 
     
     
 
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