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Die Leute wissen es doch längst

 
     
 
Der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) hat in seiner Regierungserklärung eine klarere, entschlossenere Politik angekündigt. Dann habe Brandenburg zusammen mit Berlin die Chance, zu den erfolgreichen, dynamischen Regionen in Europa aufzuschließen. Wieviel davon bis Ende der Legislaturperiode 2009 in Erfüllung geht, wird man sehen. Auf jeden Fall hat Platzeck in der öffentlichen Wahrnehmung eine wundersame Wandlung vom konfliktscheuen Gute-Laune-Chef zum energischen Macher vollzogen.

Noch im August hätte niemand auch nur einen Schuß Pulver auf die politische Zukunft des 50jährigen verwettet. Die Umfragewerte
waren im Keller, die Anti-Hartz-Proteste zausten die dünn gesäten Sozialdemokraten wie ein Orkan, Platzeck stand mit dem Rücken zur Wand. In dieser Situation entschloß er sich zu einem radikalen Kurswechsel. Statt auf der Protestwelle zu reiten, wie das sein sächsischer Kollege Mil-bradt (CDU) erfolglos versuchte, ging er in die Offensive und schenkte den Leuten reinen Wein ein.

Ja, Hartz-IV sei für viele der Betroffenen hart und bitter, aber er wisse nichts besseres. Keiner der Gegenvorschläge stelle eine Alternative dar. Das alte Gießkannenprinzip sei nicht länger bezahlbar und führe in die Katastrophe. Deutschland habe fünf, höchstens noch zehn Jahre Zeit, um sich auf den globalen Wettbewerb einzustellen. Seine Chance liege nicht darin, herkömmliche Maschinen zusammenzusetzen - das könnten die Polen inzwischen billiger -, sondern darin, intelligentere Produkte auf den Markt zu bringen. Das bißchen Geld, über das Brandenburg verfüge, müsse daher in die Forschung fließen. Ein guter Hochschullehrer sei wichtiger als eine Asphaltstraße auch noch im letzten Dorf.

Platzeck scheut sich nicht mehr, die unausweichlichen Konsequenzen zu benennen. In einem Zeitungsinterview mit dem Hinweis konfrontiert, man könne einem 55jährigen Arbeitslosen doch wohl kein Universitätsstudium mehr empfehlen, sagte er mit brutaler Offenheit: "Es gibt Fälle, wo man nichts empfehlen kann. Wir müssen mit Lebenslügen aufräumen: Zu lange wurde öffentlich finanzierte Beschäftigung als Brücke auf den ersten Arbeitsmarkt verstanden, geduldet, verkauft. Die Realität sieht längst so aus, daß das nicht funktioniert, daß am Ende meist nicht der Job in der Computerfirma wartet." Platzeck preist Hartz IV daher auch nicht als Wundermittel zur Vollbeschäftigung an. Es sei ein Provisorium, billiger als die Verwaltung der Arbeitslosigkeit, die man bisher gepflegt habe.

Ob er sich traue, das auch den Betroffenen zu sagen? "Ja, das tue ich. Die Leute wissen es doch längst. Aber sinnvolle öffentlich finanzierte Beschäftigung ist für sie eine Chance, überhaupt noch am arbeitsbestimmten sozialen Leben teilzunehmen, nicht ausgegrenzt zu werden, würdevoll das Rentenalter zu erreichen." Seine Änderungsvorschläge beschränken sich auf die Ost-West-Angleichung des Arbeitslosengeldes II.

Solche Äußerungen sind riskant. Sie haben ihm aber nicht geschadet, im Gegenteil. Die Leute sind froh, daß die Schönfärberei ein Ende hat. In dem Moment, als Platzeck die Dinge beim Namen nannte, verlor die Anti-Hartz-Propaganda der PDS schlagartig an Wirkung. Für Platzecks öffentliche Akzeptanz dürfte eine Rolle spielen, daß er - wie er gern betont - Vater von drei Kindern ist. Man glaubt ihm, daß ihn nicht nur Wahltaktik, sondern echte Zukunftssorge umtreibt. Bei der Wahl am 19. September verlor die brandenburgische SPD zwar sieben Prozent, doch weil die vorhergesagten Verluste doppelt so groß waren, stand Platzeck als Sieger da, der den negativen SPD-Trend gestoppt habe.

Inzwischen wird er gar als möglicher Anwärter auf den SPD-Bundesvorsitz und für das Kanzleramt gehandelt. Doch erst einmal muß er sein Brandenburger Gesellenstück abliefern.

 
     
     
 
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