A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z
     
 
     
 

Die Zeitschrift Osteuropa

 
     
 
Vor 75 Jahren konnte sich Otto Hoetzsch (1876-1946), de Mentor der deutschen Rußlandkunde, über den Start der von ihm herausgegebene Zeitschrift "Osteuropa" freuen. Mit ihr wollte er auf der Wogen eines dem Oste gegenüber aufgeschlossenen Zeitgeistes nicht nur seinen deutschen Wissenschaftskollegen sondern auch Politikern, Wirtschafts
vertretern, Journalisten und Militärs die intensiv Beschäftigung mit diesem Raum erleichtern.

Dabei schwebte dem seit 1913 an der Berliner Universität wirkenden Professor, zu dessen Leipziger Lehrern der Geograph und frühe Geopolitiker Friedrich Ratzel gehör hatte, eine Einbeziehung Rußlands in den gesamteuropäischen Erfahrungs- un Geschichtshorizont vor. Auf etlichen Reisen prägte sich ihm die Dynamik des späte Zarenreiches und mit Einschränkungen auch der frühen Sowjetunion ein, die eine groß politische und wirtschaftliche Zukunft verhießen.

Vor dem Hintergrund des Friedensdiktates von Versailles und seiner nach 1906 an de Königlichen Akademie in Posen herausgebildeten Polen-Feindschaft gehörte de DNVP-Reichstagsabgeordnete Hoetzsch zu den klaren Befürwortern de "Rapallo-Politik" der Weimarer Republik, die allein den schnelle machtpolitischen Wiederaufstieg Deutschlands zu ermöglichen schien.

Daß er den kleineren Völkern im Osten – Esten, Letten, Litauern, Tschechen Slowaken u. a. – im internationalen Kräftespiel und auch in seiner Zeitschrift kein größere Bedeutung beimaß bzw. diese wie die Polen zum Feind erklärte, war zeittypisch Die alte russophile preußische Aristokratie spielte dabei ebenso eine Rolle wie die Verzweiflung der von Repressionslasten fast erdrückten Kriegsverlierer, denen eine ander außenpolitische Orientierung kaum offenstand, zumal vor allem die Franzosen die Tschechoslowakei und Polen gegen das Deutsche Reich zu instrumentalisieren suchten.

Als jahrelanger Leiter der Deutschen Gesellschaft zum Studium Osteuropas und ständige Gast einflußreicher Gesprächszirkel gehörte er neben Max Delbrück, Ernst Troeltsch un Theodor Schiemann zu den bedeutenden politischen Publizisten des späten Kaiserreichs un der Weimarer Republik (siehe das lesenswerte Hoetzsch-Kapitel in Karl Schlögels 199 erschienenem Buch "Berlin Ostbahnhof Europas").

Während der NS-Zeit war für den als "Kulturbolschewisten" verleumdete Deutschnationalen bald kein Platz mehr im akademischen Leben. Die Herausgabe seiner in Osteuropa-Verlag in Königsberg gedruckten Zeitschrift mußte er 1934 abgeben und in folgenden Jahr auch den Universitätsdienst beenden. Bis dahin war "Osteuropa" außerhalb der Sowjetunion weltweit die einzige Zeitschrift, die gründlich un regelmäßig über Rußland berichtete und trotz ihrer geringen Auflage (1931: ca. 85 Exemplare) starke Beachtung fand.

Der "Weltbürgerkrieg der Ideologien" (Nolte) hatte das bewußt nicht auf de Elfenbeinturm der Wissenschaft beschränkte Lebenswerk von Otto Hoetzsch zerstört. Die Zeitschrift "Osteuropa" als Organ der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakund wurde nach ihrer Einstellung 1939 zwar zwölf Jahre später von Klaus Mehnert in Stuttgar wiedergegründet und begeht nun ihr stolzes Jubiläum, doch die alte Anziehungskraft blie ihr versagt.

Solange der Kalte Krieg andauerte, gab es immerhin ein treues akademische Lesepublikum, das die inhaltliche Konzeption nicht grundsätzlich in Frage stellte. Unte dem Titel "Osteuropa. Zeitschrift für Gegenwartsfragen des Ostens" konnte e sich Monat für Monat über all jene europäischen Länder informieren, die dem Ostbloc angehörten. An erster Stelle stand natürlich die Sowjetunion.

Für die erfrischenden Mitteleuropa-Debatten der 80er Jahre, die das Ende de Ideologie-Zeitalters und die Wiederentdeckung ethnokultureller Prägungen vorwegnahmen war in dieser erstarrten Publikation bezeichnenderweise kein Platz.

Anachronistisch mutet die Lektüre von "Osteuropa" schließlich ein Jahrzehn nach der Beseitigung des "Eisernen Vorhangs" an. Wie gehabt dominiert das Them Rußland, was als Traditionspflege noch akzeptiert werden könnte, auch wenn es vor de Hintergrund der nahenden EU-Osterweiterung der Interessenlage in Deutschland immer wenige entspricht. Sehr wundern muß man sich darüber, warum neben den gehäuften Polen- un Ukraine-Beiträgen und dem schon spärlicheren Themenbereich Tschechien, Ungarn un Rumänien auch Sibirien und Kasachstan oder das Balkanland Serbien auftauchen, währen von Estland, Lettland und Litauen, der Slowakei, Slowenien, Moldawien und Bulgarie relativ selten zu lesen ist. Und was noch schlimmer ist: Eine explizite Begriffsdiskussio findet nicht statt.

Daß die Terminologie der Zeitschrift, angefangen beim Namen, und auch die inhaltlich Zusammensetzung auf tönernen Füßen steht, dürfte spätestens dann klar werden, wen die in die EU strebenden Völker im östlichen Mitteleuropa darauf drängen, nicht meh unter "Osteuropa" rubrifiziert und mit Rußland in einen Topf geworfen zu werden.

Eine neuerliche Mitteleuropa-Debatte jenseits der Sprachnormen des Kalten Krieges un platten Unterscheidungen zwischen "dem Westen" und "dem Osten" lieg in der Luft. Sie wird zwangsläufig den deutschen Kultureinfluß als unverzichtbare Faktor der Begriffsbestimmung ins Blickfeld rücken.

Die ostdeutschen Vertriebenen sollten sich deshalb aktiv an allen Diskussione beteiligen, bei denen es um eine zusammenfassende Betrachtung Ost- und Westpreußens, de jenseits von Oder und Neiße gelegenen Pommerns, Brandenburgs und Schlesiens mit de anderen slawisch-deutschen und baltisch- bzw. madjarisch-deutschen Mischräumen geht.

Die Einführung der Bezeichnungen "Ostmitteleuropa" oder "östliche Mitteleuropa" in die breite Öffentlichkeit ist überfällig. Aus ihr muß, selbs wenn dies manchen Politikern vorschwebt, keineswegs eine Abkopplung Ostdeutschlands vo der deutschen Nationalgeschichte folgen. Schließlich gehören das Land Brandenburg Vorpommern und Teile des Freistaates Sachsen ebenso zu diesem Diskurs, und eine scharf Trennung von dem bis zur Linie Luxemburg – Bern reichenden westlichen Mitteleurop wäre grober Unfug.

Die Zeitschrift "Osteuropa" kann via Buchhandel oder die Deutsch Verlags-Anstalt GmbH, PF 10 60 12, 70049 Stuttgart bezogen werden.

 
     
     
 
Diese Seite als Bookmark speichern:
 
     
     
     

     
 

Weitere empfehlenswerte Seiten:

Realgymnasium

Aquitanier

Pfingsten - Stoppzeichen allen Ungeistes

 
 
Erhalten:
zeitschrift europa
 

 

   
 
 
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
WISSEN48 | ÜBERBLICK | THEMEN | DAS PROJEKT | SUCHE | RECHTLICHE HINWEISE | IMPRESSUM
Copyright © 2010 All rights reserved. Wissensarchiv