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Die alte Dame und die Bank

 
     
 
Es war eine sehr kleine Bankfiliale, und Harry war überzeugt, daß es keine großen Schwierigkeiten geben würde. Der Kassierer sah eigentlich recht harmlos aus. Die alte Dame, die vor dem Kassenschalter stand und auf den Kassierer einsprach, würde gewiß in wenigen Augenblicken abgefertigt sein. Bis dahin kann ich warten, dachte Harry.

Die alte Dame hatte vor dem Kassierer ihre Geldbörse ausge-schüttet und sagte: „Es tut mir ja leid, aber ich habe meine Briefta-sche mit dem anderen Geld zu Hause gelassen. Ich habe sie ver-gessen ...“ Sie lächelte. „Man wird eben älter ...“

„Alles Cent-Münze
n“, sagte der Kassierer, „nur die kleinen Werte. Bis auf die vier Zehner alles nur die kleinen ...“

„Wir spielen immer einmal in der Woche Rommé“, erklärte die alte Dame. „Drei Freundinnen von mir und ich. Zwei Beamtenwitwen und eine Bibliothekarin. Wir spielen niemals sehr hoch, wissen Sie. Nur um ein paar Cents. Diese hier habe ich letztes Mal gewonnen. Insgesamt für zwei Euro.“

Der Kassierer war damit beschäftigt, die Münzen durchzuzählen. „Ich kann’s nicht ändern“, sagte er schließlich, „aber einer fehlt. Bitte überzeugen Sie sich selbst. Es ist ein Cent zu wenig. Es sind effektiv 199 statt 200 Cent.“

„Sollte ich mich so geirrt haben?“ meinte die alte Dame. Sie trat einen Schritt zurück und sah hinunter auf den Boden vor dem Schalter. Harry war ebenfalls einen Schritt zurückgetreten.

„Hier liegt er nicht“, sagte die alte Dame. „Oder sehen Sie etwas?“ wandte sie sich an Harry.

„Nee!“ brummte Harry. „Keine Spur!“

„Vielleicht haben Sie ihn draußen verloren, auf der Straße“, gab der Kassierer zu bedenken. Dann sagte er: „Ja, tut mir leid, aber wenn ich Ihnen diese Münzen hier in zwei Euro einwechsle, dann stimmt nachher meine Kasse nicht.“

„Ja“, sagte die alte Dame, „das sehe ich ein.“ Sie begann ihr Geld wieder einzusammeln. „Seien Sie mir nicht böse, daß ich ausgerechnet zu Ihnen gekommen bin und Sie aufgehalten habe. Meine Bekannte, die ich besuchen wollte, wohnt nämlich hier genau der Bank gegenüber. Es bleibt mir nun wohl nichts anderes übrig, als noch einmal nach Hause zurückzukehren.“

Die alte Schachtel vermasselt mir noch die ganze Tour! dachte Harry. Wie ich die Dinge sehe, sind die beiden in zehn Minuten noch nicht fertig mit ihrem Palaver. Seine rechte Hand glitt langsam hinunter in die Manteltasche zu seiner Pistole ...

„Warten Sie mal!“ sagte in diesem Augenblick der Kassierer zu der Frau. „Schütten Sie Ihre Münzen noch einmal wieder aus. Ich gebe Ihnen den fehlenden Cent aus meiner eigenen Tasche.“

„Das wollen Sie wirklich tun?“

„Natürlich. Man soll doch seinen Mitmenschen helfen, wenn irgend möglich ...“ Er stocherte in seinem Portemonnaie. „Ich habe überhaupt keinen Cent bei mir. Aber warten Sie mal ... Ich nehme ihn hier aus der Kasse und ersetze ihn später wieder.“

In diesem Augenblick schob Harry die alte Dame beiseite, zeigte dem Kassierer seine Pistole und sagte: „Dies ist ein Überfall! Geld raus! Aber nur die großen Euro-Scheine! Nicht diese winzigen Kupferlinge! Los jetzt – habe lange genug gewartet! Und keine falsche Bewegung!“

„Gilt das auch für mich?“ fragte der Polizist, der eben die Schalterhalle betrat. Er ging mit gezogener Waffe auf den verblüfften Harry zu und nahm ihm die Pistole ab.

Als die Beamten des herbeigerufenen Streifenwagens Harry in ihre Mitte genommen hatten, sagte der Polizist zu dem Kassie-rer: „Ich kam ja eigentlich nur herein, um nach dem Besitzer des draußen vor der Bank stehenden orangefarbenen Wagens zu fragen.“

„Wieso – der gehört mir!“ sagte die alte Dame.

„Nun“, meinte der Polizist, „als Autofahrerin sollten Sie wissen, daß Sie einen Parkplatz mit Park-uhr nur benutzen dürfen, wenn Sie die entsprechenden Geld-münzen in die Uhr hineinstek-ken.“

„Das wollte ich ja auch“, lächelte die alte Dame. „Nämlich zwei Euro. Aber ich mußte erst wechseln, denn ich hatte nur diese kleinen Dinger bei mir!“
 
     
     
 
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