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Die letzte Aust

 
     
 
Auch im vierten Kriegssommer reifte das Getreide zur Ernte heran. Seit Wochen blaute unser ostdeutscher Himmel unentwegt auf das Land. Ab und an warfen die bizarren Wolkenbilder wandernde Schatten auf die in der Sonnenglut flimmernden Kornfelder. Diese am Himmel dahinsegelnden weißen Ungetüme von Wolken beunruhigten die Bauern nicht. Im Gegenteil, sie verhießen eine witterungsbeständige Erntezeit.

Ebenfalls beunruhigte die meisten Menschen in Ostdeutschland in jener Zeit auch nicht das Kriegsgeschehen. Obwohl die Fronten im Osten, Westen und Süden sich stetig den Grenzen "Großdeutschlands" bedrohlich näherten. Siegesfanfaren erklangen schon lange nicht mehr aus dem Radio, und die Rückzüge unserer Truppen wurden in stereotyper Regelmäßigkeit als Frontbegradigungen gemeldet. Gleichzeitig fielen an der sogenannten Heimatfront mehr und mehr Städte in Schutt und Trümmer. Das erschreckte, doch es fand im fernen Reich statt und berührte uns nicht hautnah. Noch war Ostdeutschland eine friedliche Insel.

Die Landwirtschaft benötigte dringend Hilfe, um die Ernte rechtzeitig einzubringen. Arbeitskräft
e waren im Kriegsjahr 1944 rar, und so wurden wir Pimpfe zum Ernteeinsatz verpflichtet. Nichts mit Sommerferien, aber wir befolgten diesen Befehl nicht ungern. Er versprach gute Verpflegung, Abwechslung, vielleicht auch Abenteuer. Zusammen mit einer Jungenschaft von Vierzehnjährigen gelangte ich auf den Hof des Bauern K. Ein 240 Morgen großes Gut, gelegen nördlich meiner Heimatstadt Königsberg. Untergebracht wurden wir in einer Scheune und verpflegt aus der Gutsküche. Alles in allem nicht übel, wenn wir nicht von einer Mäuseplage geschockt worden wären. Die gesamte Mäuseschar des Dorfes – vielleicht auch der Umgebung – hatte sich ausgerechnet unsere Scheue als ihr Standquartier auserkoren. Überall huschten sie, fraßen unser Brot, knabberten unsere Sachen an. Dreist waren sie und ließen sich nicht verjagen. Zu unserem Leidwesen mußten wir gemeinsam mit ihnen vegetieren.

Die Erntearbeiten machten uns Jungen Spaß. Überall betätigten wir uns. Garben binden, Hocken aufsetzen, später diese auf Leiterwagen staken, kutschieren, dreschen, Pferde reitend zur Tränke führen und was mehr an Landarbeit anstand. Niemand der Beteiligten ahnte im entferntesten, daß es die letzte Ernte ostdeutscher Bauern sein würde. Nur ein halbes Jahr später, und es gab den beinahe 700 Jahre währenden ostdeutschen Bauernstand nicht mehr.

Natürlich erhielten wir auch immer wieder Freizeit. Sie verwandte ich vorwiegend zu einem Flirt. Paninka Viemka, Magd auf dem Hof, war jung, lustig, und ihre knappe Kleidung brachte ihre wohlproportionierte Figur für mich verwirrend zur Geltung. Ich schleppte ihre Milchkannen, wir pumpten gemeinsam Wasser, abends warf ich Steinchen an ihr Fenster. Gern ließ sie sich von mir den Hof machen. Mißbilligend beobachtete uns der Hofbauer, ein SA-Führer. Mich zur Rede stellend wies er darauf hin, daß ein Hitlerjunge nicht mit einer Polin poussieren darf, und verbot es. Mir verblieben fortan nur schmachtende Blicke auf die wohlgefällige Gestalt von Viemka.

"Liebe kaputt?" fragte mich anzüglich der französische Kriegsgefangene Francois, während der belgische Kriegsgefangene Emile mich grinsend betrachtete. Wütend zischte ich: "Der Bauer!" und tippte zur Bekräftigung an die Stirn. "Merde", meinte François und reichte mir ein Stückchen Schokolade (!) zum Trost. Diese Geste machte mich fortab zu ihrem Freund. Sie erhielten vom internationalen Roten Kreuz Päckchen mit allerlei für uns nicht erreichbaren leckeren Gaben. Nicht ohne Eigennutz schenkte ich ihnen meine Gunst. Gemeinsam gingen wir in den Fluß baden, spielten Fußball und trieben manchen Scherz. Der SA-Bonze nahm es schweigend hin. Schließlich wollte er es nicht mit bockigen Arbeitskräften zu tun haben.

Die Wochen vergingen wie im Fluge. Ende August war der Einsatz beendet. Von der Bäuerin erhielten wir zum Abschied ein Freßpaket, Viemka winkte ich wehmütig zu, und von François und Emile verabschiedete ich mich mit Handschlag. In meiner Hand verblieb eine Tafel Schokolade.

Rechtzeitig kamen wir heim, um zu erleben, wie auch Königsberg zur Heimatfront wurde. In zwei Augustnächten verwandelte sich unsere schöne Innenstadt in einen Trümmerhaufen. Für uns gab es jetzt andere, gar nicht mehr spaßige Einsätze. Der Krieg zeigte nun auch in Ostdeutschland seine erschreckende Fratz
 
     
     
 
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