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Die missglückte Ausladung

 
     
 
Am späten Nachmittag erinnerte Berta ihren Mann erschrocken, daß sich für den Abend die Müllers angekündigt hatten. Anton Meier setzte ein Gesicht auf, als hätte er den Saft von zehn Zitronen im Mund.

"Das gefällt mir nicht!" grummelte er, ohne aufzublicken. Dabei dachte er daran, daß Herr Müller ununterbrochen mit seiner Prokuristenstelle prahlen würde und seine Gattin stundenlang nur über die neueste Mode reden würde. "Sag ihnen ab!"

"Das geht nicht. Dafür ist die Zeit zu knapp!"

"Laß dir w
as einfallen! Sag einfach - wir wären krank. Hätten Masern, Mumps oder Gelbfieber!"

Berta schüttelte nur den Kopf. Darauf zog Anton seine Frau zärtlich zu sich. "Sieh mal, Schatz, ausgerechnet heute wollte ich mit dir allein bleiben und ein Gläschen Wein mit dir trinken! Mit dir nur ganz allein!"

"Wirklich?" tat Berta ungläubig.

"Ja doch! Nun hör mir mal zu. Wenn die Müllers kommen, bleiben wir ganz ruhig und still, machen keinen Lärm, damit sie glauben müssen, niemand sei zu Hause. Lassen wir sie nur an die Tür klopfen und läuten. Sie werden keinen Muckser hören!"

"Das möchte ich nur ungern tun. Ich pflege nun einmal möglichst meine Verpflichtungen zu erfüllen!"

"Komm, laß mal gut sein! Ich werde schon für später eine Entschuldigung zurechtbasteln. Denk nur, so ein Wochenende ist viel zu kurz, um es mit unliebsamen Gästen zu vertrödeln!" Und so begab sich Anton Meier bei Anbruch der Dunkelheit nach draußen. Er wollte sich vergewissern, ob auch das Garagentor richtig abgeschlossen sei. Kaum aber hatte er das Tor erreicht, hörte er, wie die Haustür hinter ihm durch einen Zugwind krachend zuschlug. Anton war mächtig erschrocken, denn da stand er nun, hemdsärmelig und ohne Türschlüssel in der Tasche. Er hastete zurück. Sein rechter Daumen verharrte viele Sekunden auf der Klingel. Doch es tat sich nichts.

Zunächst klopfte er zaghaft mit der Hand, dann aber mit dem Knie heftig gegen die Tür. Aber Berta öffnete nicht. Sicherlich meinte sie, die Müllers ständen draußen.

"Berta! Mach doch auf! Ich bin es!" rief er flehentlich. Doch drinnen im Haus blieb es mucksmäus-chenstill. Alles Rufen, Klopfen und Klingeln half nichts.

Da stand er nun frierend, ausgelatschte Pantoffeln an den Füßen, ohne Schlüssel und ohne Geld. Anton fühlte sich elend. Endlich begab er sich in die Kneipe um die Ecke.

"Kann ich mal telefonieren? Die Haustür ist hinter mir zugeschlagen", entschuldigte Anton sein etwas seltsames Auftreten beim Wirt. "Ach, noch etwas - mußt für mich anschreiben, hab nämlich kein Geld dabei!"

"Ist doch selbstverständlich", lächelte der Wirt. "Aber trink erst mal ein Bier! Mein Gott, du bist ja reichlich durcheinander! Fehlt dir etwas?" Anton schüttelte den Kopf und wählte nervös seine Rufnummer. Zwei Minuten ließ er den Apparat läuten.

"Meldet sich niemand?" wollte der Wirt wissen.

"Nein, nein, meine Frau wird - ja, sicherlich wird sie im Bad sein!" suchte Anton nach einer Ausrede. Hastig trank er sein Bier. Und während der Wirt das Glas nachfüllte, griff er wieder zum Telefon.

"Himmel, das darf doch wohl nicht wahr sein!" knurrte er nach weiteren vergeblichen Versuchen. Nun, die gute Berta mußte ja annehmen, daß die Müllers so hartnäckig anläuteten. Was würde nun geschehen?

Anton trank das zweite Bier. Man redete über das letzte Fußballspiel und über den Wasserverbrauch im Haushalt. Dazwischen trank er noch ein weiteres Bier. Als dann die Kneipentür sich öffnete, der Vorhang sich beiseite schob, wurde Anton plötzlich daran erinnert, weshalb er überhaupt hier war.

In Leibesgröße stand Herr Müller vor ihm. Höchstpersönlich. Anton wünschte sich in diesem Augenblick auf den Südpol. "Welch ein Glück, daß ich Sie hier treffe", begann Herr Müller sichtlich erleichtert. "Ich habe schon etliche Male bei Ihnen angeläutet, aber ..."

"Unser Telefon scheint kaputt zu sein, deshalb bin ich auch hier", log Anton ungeniert.

"... und ich wollte Ihnen nur sagen", fuhr Herr Müller fort, "daß wir heute leider nicht kommen können. Morgen abend dann werden wir unseren Besuch nachholen!" Anton nickte nur müde. Zwischen zwei weiteren kleinen Bierchen machte er sich ernsthafte Gedanken, wie er jetzt ins Haus kommen und was er dann seiner Berta erzählen solle.


Sigi Helgard: Die Verlobungsquelle in Allenstein (Öl, 185)


Abend in der Niederung
vonWilli Schepst

Schon die Abendschatten gleiten

leise über Wald und Moor.

Über uferlosen Weiten

leichter Nebel steigt empor;

hüllt in dicke graue Schwaden

Baum und Strauch am Wegesrand;

spinnt den märchenhaften Faden

für das neue Nachtgewand.

Schemenhaft steh n auf der Weide

Schaf und Rind im Dämmerlicht.

Verstummt die Lerche auf der Heide,

kein Laut die Stille unterbricht.

Es ist, als wäre unterdessen

das Land hier zwischen Moor und Wald

von aller Welt schon ganz vergessen,

bis früh der Morgenruf erschallt.
 
     
     
 
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