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Ebenso unnütz wie grausam

 
     
 
Etatsminister Samuel von Cocceij war entsetzt. Der junge König, ers vier Tage im Amt, nahm am 3. Juni 1740 mittels einer Kabinettsordre eine Eingriff in das Strafprozeßrecht vor, dessen Folgen in keiner Weis absehbar erschienen: Im Königreich Preußen durfte fortan das Geständni des Beschuldigten grundsätzlich nicht mehr mittels der Folter erzwunge werden. "S.K.M. in Preußen haben aus bewegenden Ursachen resolviret" so lautete Friedrichs Ordre, "in Dero Landen bei denen Inquisitione die Tortur gänzlich abzuschaffen, außer bei dem crimine laesa majestatis und Landesverrätherei, auch bei denen großen Mordthaten, w viele Menschen ums Leben gebracht oder viele Delinquenten deren Connexio herauszubringen nöthig, impliciret sind. ... Höchstdieselben befehle also Dero Wirklichen p. von Cocceji allergnädigst, das nöthig dieserhalb zu besorgen."

Dem Etatsminister blieb nichts anderes übrig, als die Kabinettsordr an alle Collegien und Schöppenstühle in Preußen zu expedieren. Da Berliner Criminalcollegium trug denn auch umgehend seine Bedenken vor: E müsse näher bezeichnet werden, was unter das crimen laesae majestati falle, ob es also auch Gotteslästerung, Meineid, Falschmünze
rei ode Landfriedensbruch umfasse. Auf jeden Fall müsse die Folter bei Straßenraub Brandstiftung, Meuchelmord, Kindesmord und Sodomie beibehalten werden Insgesamt gestand man zwar zu, daß die Tortur ein trügliches Mittel sei die Wahrheit herauszubringen, aber mehr in dem Sinne, daß es nicht imme gelinge, hartnäckige Personen zum Geständnis zu bewegen.

In der Tat bedeutete die Abschaffung der Folter einen Bruch mi wesentlichen Grundsätzen des Strafprozeßrechtes, dessen Grundlage auc in Preußen immer noch die Constitutio Criminalis Carolina von 1532, die "Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karl V." bildete. Eine Beschuldigten lediglich aufgrund von Indizien zu verurteilen erlaubte die Carolina nicht. Die Verurteilung war nur dann möglich, wenn de Beschuldigte ein glaubwürdiges Geständnis abgelegt hatte oder wenn sein Schuld durch zwei Augenzeugen bewiesen wurde. War trotz starken Verdacht ein freiwilliges Geständnis nicht zu erlangen, so erschien die Anwendun der Folter geboten. Der hohe Stellenwert, den man im Inquisitionsproze dem Geständnis, und sei es zwangsweise herbeigeführt, beimaß, lag in der Auffassung begründet, daß ein Verbrechen nicht nur Auflehnung gege die staatliche Ordnung, sondern stets auch eine Sünde wider Gott sei. Da Bekenntnis der Sünde aber war Voraussetzung für deren Vergebung un damit für die mit dem Inquisitionsprozeß intendierte Rettung de Verbrechers vor der ewigen Verdammnis.

Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts hatten sich allerdings de Naturrechtslehre verpflichtete Denker, vor allem Christian Thomasius kritisch mit der Folter auseinandergesetzt. Ein Thomasiusschüler leitet 1705 seine "Dissertatio de tortura" mit den Worten ein "Unerschrocken spreche ich es aus, daß diese gewaltsame Folte unrecht, unbillig, trügerisch, durch Förderung der Übel gekennzeichne und schließlich jedes Anschein göttlichen Zeugnisses entblößt un daher aus den christlichen Gerichten zu verbannen ist." .. "Unter den schrecklichsten, mehr als viehischen Qualen werden si (die Beschuldigten) so sehr zu Tode gemartert, daß sie lieber lügen irgendein Verbrechen begangen zu haben, an das sie vielleicht überhaup niemals gedacht haben, und so bereiten sie durch eine erfolterte Lüg ihren Qualen ein Ende."

Es war Friedrichs II. Prägung durch die Vertreter de naturrechtlich-aufklärerischen Strafrechtswissenschaft, u. a. durch de Philosophen Christian Wolff, die ihn bewog, als eine der ersten un dringendsten Maßnahmen seiner Regierung den Gebrauch der Folter zu untersagen, wenn auch weiterhin bestimmte Ausnahmen zugelassen bleibe sollten. An die Stelle der theokratischen Strafrechtsauffassung Friedric Wilhelms I. trat damit nun Friedrichs Strafrechtsreform, die sich mit de Schlagworten Säkularisierung, Humanisierung und Rationalisierun charakterisieren läßt. So erfolgte fast gleichzeitig mit dem Verbot de Folter die Abschaffung des Säckens, einer bei Kindermord angewandte Bestrafung, bei der die Mörderin in einem ledernen Sack, den sie zuvo selbst hatte nähen müssen, ertränkt wurde. Friedrichs Vater hatte dies Strafe 1720 statt der Schwertstrafe eingeführt. Es folgten die Abschaffung der Galgenstrafe bei einfachem Diebstahl, die der Todesstraf bei Sodomie und das Verbot der öffentlichen Kirchenbuße.

Mit Kabinettsordres vom 27. Juni und 4. August 1754 wurde auch mi letzten Reservatrechten der Folter aufgeräumt. Preußen nahm damit ein Vorreiterstellung in Deutschland ein. So enthielten der Codex juri Bavarici criminalis von 1751 und die Constitutio Criminalis Theresiana vo 1768 mit Hexerei und Zauberei immer noch Delikte, denen mit Folter un Todesstrafen entgegenzutreten sei. Erst 1772 wurde die Folter in Österreic beseitigt.

Friedrich setzte mit seinen in der Form von Kabinettsordres ergehenden von aufgeklärtem Geist geprägten Reformen Signale im Hinblick auf die Überwindun des überkommenen Strafprozeßrechts, wenn auch eine grundlegende Refor des Justizwesens zunächst unterblieb. Er war zwar inkonsequent, denn e genehmigte noch 1772 und 1777 den Einsatz des sogenannten Foltertroges in Strafverfahren gegen eine Räuber- und Brandstifterbande. Dennoch bleib die Abschaffung der Folter, die Friedrich 1749 als einen Brauc bezeichnete, "der für christliche und kultivierte Völker entehrend ja ebenso unnütz wie grausam sei, sein unbestrittenes Verdienst diejenige Tat, die nach dem Urteil des  Strafrechtslehrers  Eberhar Schmidt Friedrich dem Großen "allein seinen Beinamen hätte sicher können". Ernst Gierlich

 
     
     
 
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