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Ein seltenes und kostbares Gefühl

 
     
 
Meine Tante Frieda, die mich während meiner Musik-Ausbildung in Königberg unter ihre Fittiche genommen hatte, war eine kluge Frau; von ihr habe ich so einige Lebenshaltungen übernommen. Nicht nur, daß sie mich, als vorzügliche Köchin in ihrem Restaurant, glauben machte, kein Rezept zu brauchen, wenn man Phantasie und dazu einen guten Geschmack hat. Für mich, die ich experimentierfreudig bin, trifft dieses zu. So habe ich schon viele schmackhafte Gerichte auf den Tisch gebracht, die aus den Vorräten, die gerade vorhanden waren, und aus meiner Phantasie entstanden sind.

Äußerst beeindruckt hat mich dann die Haltung Tante Fridas, als beim Staubwischen in ihrem Wohnzimmer das Sahnekännchen aus echtem China-Porzellan in Scherben ging; ich hatte es schwungvoll von der Anrichte gefegt. Heulend beichtete ich ihr dieses Malheur. Zunächst reagierte sie erschrocken, dann aber strich sie mir über das Haar und sagte: "Heul nich, Marjell! Mußt dir mal merken: Nich über Dinge ärgern, die nich zu ändern sind." Das habe ich mir sehr wohl gemerkt und genauso handele ich auch. (Sehr zur Nachahmung
zu empfehlen!)

Dann erinnere ich mich noch sehr gut an einen linden Mai-abend, als ich mit Tante Frida einen Spaziergang rund um den Oberteich in Königsberg machte. Die ersten Faulbäume blühten und verströmten ihren Duft, um uns pralles Grün, in mir ein ebenso pralles Glücksgefühl. Diese meine Empfindung tat ich Tante Frida kund, und wir beide begannen laut nachzudenken, was wohl das Wort "Glück" bedeutete. "Glück wünschen", das "Glück teilen", "Glück haben", sein "Glück machen" ... - Solches fiel mir dazu ein, aber das erklärte nicht, was Glück bedeutete. Schließlich sagte meine kluge Tante: "Glück ist ein Zufriedensein mit dem, was man hat, und ein Maßhalten im Streben", und sie fügte hinzu: "Ich weiß nich mehr, wer das gesagt hat, aber das muß ein weiser Mann gewesen sein." Daraufhin waren wir still.

Beinhaltete Glück Zufriedenheit? Oder war es umgekehrt, grübelte ich. Gewiß kann man ein Glücksgefühl empfinden, wenn man zufrieden ist. Vielleicht, wenn man eine schwer zu bewältigende Arbeit geschafft oder ein bereits länger belastendes Problem aus der Welt geschafft hat. Ich meine, der erste Teil des Zitates ist mehr im Sinne des Begehrens nach irdischen Gütern anwendbar, wohl weniger auf Personen bezogen. (Obwohl - auch das soll es geben!) Beim "Maßhalten im Streben" liegt die Bedeutung im "Maßhalten", es heißt nicht, daß wir nicht streben sollen. Schon ein Sprichwort sagt: "Es strebt der Mensch, so lang er lebt." Es gilt also, seine Grenzen zu erkennen und sich nicht zu überschätzen, nur so kann man zufrieden und - vielleicht - auch glücklich sein.

Wie oft sagen wir: "Ich bin glücklich." Aber - sind wir es wirklich? Ein tiefes Glücksgefühl ist selten und sehr kostbar. Es ist tief im Innern zu verspüren und kann Tränen in die Augen treiben, ein Kribbeln im Bauch erzeugen oder den Körper erschauern lassen. Je nach Temperament hat man auch den Drang, laut zu jubeln oder still zu verharren und sich dieses Glücksmomentes voll bewußt zu werden.

Zu letzteren gehöre ich. Vielleicht habe ich - unbewußt - als Kind einen Spruch aufgesogen, der aufgestickt auf einem Wandbehang neben unserer Chaiselongue hing: "Im Glück nicht jubeln, im Leid nicht klagen, das Unvermeidliche mit Würde trage."

Freude beim Spiel: Bleibt es nur den Kindern vorbehalten, sich auch an kleinen Dingen zu erfreuen?
 
     
     
 
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