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Eine unwirklich schöne Kulisse: Im Flug über das Samland

 
     
 
Neugierde und Heimweh treiben sie ins nördliche Ostdeutschland, ins Königsberger Gebie – abgeschnitten vom Rest des Landes. Sie, das sind Passagiere des Passagierschiffe "Akademik Sergej Vavilov": "1988 in Finnland gebaut, 623 Bruttoregistertonnen groß, 107 Meter lang, 18,2 Meter breit, 45 Besatzungsmitglieder fü 75 Passagiere. Im Frühjahr und Sommer legt das schmucke Schiff von Lübeck-Travemünd aus zu einwöchigen Törns nach Königsberg ab. Das Forschungsschiff wurde zu komfortablen Kreuzfahrer mit Restaurant, Bar, Sauna und Pool umgerüstet.

Am übernächsten Morgen erste Blicke auf Frische Nehrung und Samlandküste. Nach 3 Stunden Seefahrt
kommt vor Pillau der Lotse an Bord. Er bringt das Schiff in vierstündiger Fahrt durch den Seekanal nach Königsberg: vorbei an landseiti abgeschirmten Marineanlagen mit Kriegsschiffen aller Art (gute Fotogelegenheit für Fan der grauen Dampfer), Wracks, rostigen Fischereifahrzeugen, Werften, Fabriken un backsteinernen Speichern aus deutscher Zeit. Dann die "Skyline" Königsbergs au sozialistischen Plattenbauten. Zoll-, Visa- und Paßkontrolle ganz genau.

Ausflugsziele in Königsberg werden organisiert oder können selbst geplant werden: pe Taxi, Bahn – oder sogar Hubschrauber. In die Lüfte mit "Balt Aero". Nac der obligaten Stadtrundfahrt schaukelt uns der Ikarus-(!)-Bus am Nachmittag durch die nordöstlichen Vororte nach Königsberg-Devau. Abgestellte Antonov-Doppeldecker und zwe abgewrackte MiG-Jagdflugzeuge signalisieren "Flugplatz". Die Pist grasüberwuchert. Kühe weiden ungestört darauf. Die blau-weiße Mi-8 vor uns, ehemal Aeroflot-zugehörig wie alles fliegende Gerät, ist heute privatisiert. Ihre Piloten gleichzeitig Gesellschafter, haben den devisenträchtigen Zug der Zeit schnell erkannt.

Sitzanordnung wie in einem Passagierflugzeug. Ich erwische einen Platz a Kunststoffenster, das man sogar öffnen kann. Die Chance für kratzer- und verzerrungslos Luftaufnahmen. Der Rotor peitscht das Flugplatzgras und nebenan die Kleingartenidylle. I großen Bogen schwenkt der Pilot über Königsberg. "Viel ist von unserer alte deutschen Stadt ja nicht übriggeblieben", brüllt mir Siegfried zu, der da tie unten seine alte Straße ausfindig zu machen versucht. Die alliierten Bomberverbänd haben 1945 hier "gründlich aufgeräumt". Was blieb, sind Ruinen wie der Dom un weite Freiflächen. Wo einst architektonisch reizvolle Bürgerhäuser standen, ziehen sic gesichtslos-häßliche Plattenbauten am Pregelufer entlang. Die frühere Schönheit vo Königsberg läßt sich nur noch erahnen an einigen stehengebliebenen Gebäuden wi beispielsweise der Börse. Später behauptet mein Sitznachbar Kurt: "Als die Rot Armee einmarschierte, hatten die Kommandeure zuvor die Villen verschont, denn die wollte sie ja für sich."

Über das stark verschmutzte Frische Haff, den engen Seekanal zwischen Ostsee un Königsberg knattern wir weiter stadtwärts. Unter uns spielzeugklein die "Vavilov" im Handelshafen. Sie besticht gegenüber den übrigen Rostdampfer durch ihr makelloses Weiß.

Wie an einem Ariadne-Faden hangelt sich die Mi-8 über der ehemaligen Reichsstraße 14 nach Nordosten. Für mich eine optimale Orientierungslinie, zusammen mit einer 300 000e Generalstabskarte aus der Vorkriegszeit. In zügigem ICE-Tempo gleiten wir über da Samland. Meine Fensterluke ist geöffnet. Teppiche weiten Wald- und Wiesenlandes breite sich aus – bis hin zur Ostsee, die als schmales blaues Band schon auszumachen ist Nur vereinzelt größere Gehöfte, Güter mit Herrenhäusern – Relikten aus deutsche Zeit. Aus 200 bis 300 Meter Höhe sieht alles recht propper aus, doch wehe man komm näher …

Schlenker von der 143 nach Westen auf Palmnicken zu: eine riesige graue Tagebaugrube a der Küste – das größte Bernsteinwerk der Welt. Aus dem tiefen Loch wird da ostdeutsche Gold vor allem zu industriellen Zwecken wie Chemie und Farbe gegraben Kraxtepellen, Kreis Samland – ein Ortsname, der einige von uns zum Lachen reiz – kenne ich aus den Erzählungen von Siegfried Lenz. Das Nordkap de Samlandes, Brüsterort, bleibt weit an Backbord im Dunst. Parallel zur Küste schrauben wir un Rauschen entgegen. Nicht enden wollender Strand und Steilküste in Augenhöhe. Wanderer kann ich zuwinken. Manch einer reagiert mit Verzögerung – anscheinend erstaunt übe den Arm, der sich da aus der Maschine reckt.

Plötzlich packt der Luftzug meinen Kopfhörer. Der Fahrtwind reißt ihn mit. Zu Glück ist das Gerät an der Decke befestigt. Schreck in der Nachmittagsstunde. Die Ville zeugen vom verblichenen Charme des vormals mondänen Seebades. Mit ihrer Brandung wüte die See gegen ein Fischdampferwrack. Seebad Cranz kommt auch schon in Sicht. Schnelle Vorbeiflug neben der Promenade über Strand und See. Für ein paar Augen-Blick reicht’s zunächst. Per Taxi sollen die vorbeihuschenden Eindrücke am nächsten Ta vertieft werden.

Hinter Cranz nur noch Wald, menschenleer. Der Pilot präsentiert uns die Kurisch Nehrung, dreht über das Haff mit seinem dichten Schilfsaum. Seeseitig Traumstrände, die zum Baden herausfordern. Kaum daran gedacht, setzt die Maschine neben dem Steilufer auc schon zur Landung an. Aussteigen zum Wandern und Baden, wer Lust hat. Durch ein lichte Birkenwäldchen geht’s an den Strand, auf den die Brandung nordseereif donnert Runter mit den Sachen und textilfrei hinein in die Wellen. Die Wald-Steilufer-Strand-Kulisse erscheint fast unwirklich schön, vor allem unzerstört un nicht verbaut. So exklusiv – per Heli – bin ich auch noch nicht Baden gewesen Eine russische Familie, von dem Spektakel angelockt, lädt uns mit großer Herzlichkei zum Grillen ein. Immer wieder beeindruckend, die Gastfreundschaft dieser armen Menschen!

25 Minuten braucht die Mi-8 von unserer Nehrungsbadestelle bis nach Königsberg Lässig überholen wir unterwegs einen Breitspur-Personenzug. Die Flugplatz-Küh galoppieren wieder panikartig davon. Wir dagegen wären gern noch länger geblieben. Ei herrliches Fleckchen Erde, trotz der nicht zu übersehenden Spuren sozialistische Mißwirtschaft.

Die zwei Stunden über Ostdeutschland sind (wie) im Fluge vergangen
 
     
     
 
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