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Ekelhaft und gemein

 
     
 
An einem Montag verlor einer der beiden berühmtesten Zwillinge Polens, Lech Kaczynski, bei der täglichen Lektüre die Fassung - die deutsch-polnischen Beziehungen sind seitdem nicht mehr, was sie wahren. Die Fassade mühsam abgerungener Normalität ist eingefallen wie das Gesicht des Präsidenten, als er im Pressespiegel seines Außenamtes von Deutschlands kleinster überregionaler Zeitung "Ekelhaftes und Gemeines" über sich las. Frei geworden ist die Sicht auf Polens zutiefst eingekerbten Minderwertigkeitskomplex: Polens Regierungsspitzen fordern das Eingreifen, zumindest aber eine Stellungnahme der deutschen Bundesregierung. Zu was? - zu einem linkspublizistischen Satirebeitrag der Tageszeitung "taz".

Selbst Polens nach Umfragen beliebtesten Politiker und frisch zurückgetretenen Premier Marcinkiewicz fiel nichts anderes ein, als dem beleidigten Parteifreund und Karrierehindernis Kaczynski beizustehen: "Es wäre gut, wenn sich in der Sache jemand zu Wort melden würde." "Skandalös" sei der Artikel, das Staatsoberhaupt beleidigt worden. Auch Polens Außenministerin schäumte. Kaczynski selbst sagte das eigentlich für den 3. Juli, ebenfalls ein Montag, in Weimar
anberaumte Gipfeltreffen mit Bundeskanzlerin Merkel und dem französischen Präsidenten Chirac ab. Offizieller Grund: Magenverstimmung. In drei bis acht Wochen sei er genesen, hieß es aus Regierungskreisen. Am Freitag den 7. Juli zeigte er sich allerdings wieder in der Öffentlichkeit und kritisierte lautstark die Satire.

Unter der Rubrik "Schurken, die die Welt beherrschen wollen" hatte sich das alternative Sprachrohr "taz" den Frust über die konservative Regierung der K-Zwillinge von der Seele geschrieben. "Polens neue Kartoffel" wurde mit deren konsequenter Abneigung gegen öffentliche Homosexualität verhöhnt ("Rußland hatte Polen schließlich den Daumen des Kommunismus in den After gedrückt"). Die Defizite im Deutschlandbild Kaczynskis ergänzten das Bild der Lächerlichkeit: "Sogar der Mond ist ihm näher."

Die polnischstämmige "taz"-Chefredakteurin Bascha Mika stellte sich nach dem Aufschrei aus Warschau vor ihre Berliner Satiremannschaft, sattelte drauf, Polens Politiker verhielten sich "vordemokratisch". Pressefreiheit statt Majestätsdenken sei ihr Credo. Ähnlichkeiten zum dänischen Karikaturenstreit hebt sie hervor, Entschuldigungen gebe es nicht, versprochen. Damit ist die wahre Stoßrichtung klar: Nicht Aufmerksamkeit für eine dümpelnde Auflage, auch nicht die geäußerte "taz"-Kritik an der Einstellung der Kaczynski-Partei gegenüber deutschen Vertriebenen ist die Herzensangelegenheit der Redaktion, sondern der Kampf gegen Konservative, die "Antimoderne".

Dumm für "Katsche" ("taz"): Er gibt derzeit zu gern die ideale Angriffsfigur.

Unterstützt wird er dabei weitgehend von der Landespresse - das gedruckte Wort hat in Polen noch eine andere Wirkung als in Deutschland. Während polnische Medien bei jeder Gelegenheit zu NS-Vergleichen gegen Deutsche ausholen, zeigen polnische Politik wie Medien in Reaktion auf die bissige Print-Satire überwiegend wenig Nerven. Politische Fragen müssen hinten anstehen. Zur europäischen Integration, dem Thema des traditionellen Weimarer-Dreiecks, hatte Kaczynski bisher sowieso noch nie ein gutes Bauchgefühl.

Derart überreiztes Verhalten billigen Erwachsene höchstens Kindern zu. Und in der Tat erinnern die Ereignisse, von polnischen Politikern erst zu solchen gemacht, ein wenig an Paul Maars Kinderbuchklassiker "Eine Woche voller Samstage" - an einem Donnerstag muß es zwischen Marcinkiewicz und "Katsche" mächtig gedonnert haben, Freitag nahm Marcinkiewicz sich vom Amt frei, insofern immerhin stimmt das Drehbuch.
 
     
     
 
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