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Elternpartei macht mobil

 
     
 
Den beiden Polizisten verschlug es vorvergangenen Donnerstag die Sprache, als sie die Spandauer Wohnung endlich betreten konnten: Alles war voll mit Müll. Unrat, Speisereste und Kleidungsstücke waren auf dem Boden verstreut, den sie nur entlang von "Trampelpfaden" überqueren konnten. Unter anderem fanden sie Lebensmittel, deren Haltbarkeitsdatum längst abgelaufen
war - seit 1996.

Das 13jährige Mädchen, das in diesem Wust mit seiner alleinerziehenden Mutter lebte, hatte sich zuvor bei einem Mitschüler beklagt: es dürfe nie aus der Wohnung, wenn die Mutter zur Arbeit sei.

Der Mitschüler hatte seine Eltern und die Eltern ihrerseits die Polizei informiert. Eine Streife traf das Kind in der verschlossenen Wohnung an. Über den Briefschlitz nahmen die Ordnungshüter Kontakt zu der Schülerin auf. Sie selbst besitzt keinen Schlüssel.

Erst die herbeizitierte Mutter konnte die Tür öffnen. Das Kind wurde dem Jugendamt übergeben. Es lebte zwischen Ungeziefer, Spinnen und Kakerlaken. Der beauftragte Kammerjäger wird wohl eine Woche benötigen, um das Chaos halbwegs zu beseitigen.

Es sind solche Geschichten, die mit Begeisterung von einer skandalsüchtigen Boulevardpresse immer wieder begierig aufgegriffen werden. Wer denkt nicht an das traurige Schicksal der kleinen Jessica aus Hamburg? Oder zuletzt an das Thüringer Pärchen, das zwei Kinder im Kellerboden einbetonierte und Silvester dafür ins Gefängnis wanderte?

Der Wowereit-Senat müsse endlich handeln, fordert deswegen Friedbert Pflüger, Berlins neuer CDU-Spitzenkandidat. "Das Problem läßt sich mit freundlichen Appellen nicht ändern", sagte er gegenüber der "Berliner Morgenpost". Kindeswohl gehe vor Elternrecht, schob er nach.

Konkret geht es um eine Bundesratsinitiative des Saarlands. Die dortige, CDU-geführte Landesregierung möchte Eltern das Kindergeld streichen, wenn sie die Pflicht-Untersuchungen ihrer Kinder verstreichen lassen.

Doch dieser staatliche Aktionismus trifft nicht überall nur auf Zustimmung. Den Ruf nach noch mehr staatlichen Kontrollen teilen längst nicht alle entsetzten Bürger. Manche wollen sich nicht in Haftung für das Versagen Einzelner nehmen lassen, die mit ihrem Leben und ihrem Nachwuchs nicht zurechtkommen.

Andere fühlen sich grundsätzlich als Eltern vom Staat gegängelt. Sie haben jetzt eine "Elternpartei" gegründet - und das unter einer erstaunlichen Anteilnahme der Medien. Im "RBB" (Rundfunk Berlin-Brandenburg) wurde von der Pressekonferenz der neuen Formation berichtet. Am vergangenen Wochenende widmete die "taz" dem Ereignis ihren Lokalteil inklusive Bericht und Kommentar. Und die FDP lud diese Woche sogar zu einer Gesprächsrunde mit dem Parteigründer André Schindler über die Ziele seiner Gruppierung ein. Wo hat es das schon gegeben, daß sich eine Partei mit Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus für die Inhalte einer neugegründeten Splitterpartei interessiert und mit ihr offen diskutiert?

Der Forderungskatalog der Elternpartei (www.berliner-eltern.de) liest sich indes wie der Wunschzettel der Kleinen in der Weihnachtszeit: Lehrer sollen besser bezahlt werden, die Eltern das Recht auf freie Schulwahl haben, Hochschulen sollen mehr Geld bekommen und so weiter. Eine der Maximalforderungen lautet "Rechtsanspruch auf Unterricht".

Nur an einer Stelle ist die neue Elternpartei ziemlich knauserig: Sind im Alter von vier Jahren keine ausreichenden Deutsch-Kenntnisse vorhanden, sollen Deutsch-Kurse (zur Hälfte) von den Eltern bezahlt werden. Es ist offensichtlich, daß sich diese Forderung vor allem auf Einwanderer-Familien auswirken würde.

Bestehen bei Schuleintritt noch immer keine Deutsch-Kenntnisse, dann sollen diese Kinder in sogenannte "Sprachklassen" kommen und erst dann mit den anderen Abc-Schützen am Unterricht teilnehmen, wenn sie die Sprachschwierigkeiten überwunden haben.

Die Furcht der neuen Kleinpartei besitzt einen ernsten Hintergrund, der bereits eine Art Völkerwanderung innerhalb der Region Berlin ausgelöst hat: Seit Jahren registriert Berlin eine Flucht des deutschen Mittelstands in die Außen- und Ostbezirke. Dort ist der Anteil der Schüler aus dem Ausland noch relativ gering. Und die Eltern wollen, daß ihre Kinder in Schulen untergebracht werden, in denen sie als Deutsche noch zur Mehrheitsfraktion gehören.

Der Ruf einer "Elternpartei", der dadurch forcierten Gettoisierung in den von deutschen verlassenen oder gemiedenen Stadtteilen des inneren West-Berlin endlich mittels drastischerer Maßnahmen entgegenzutreten, kommt einem Hilferuf gleich. Es war eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis solche politischen Forderungen erhoben werden.

Statt wegen vereinzelter Skandale von grober Vernachlässigung von Kindern immer neue Kontrollen für völlig "normale" Elternhäuser zu ersinnen, sollte sich die Politik auf die Probleme konzentrieren, welche wirklich breite Massen betreffen - so die Botschaft der neuen Formation in Berlins Parteienspektrum. H. F.

Statt Familien zu fördern, setzt die Politik auf immer mehr staatliche Betreuung: Speisesaal einer Berliner Ganztagsschule
 
     
     
 
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