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Enttabuisierung auf Samtpfoten

 
     
 
Zum Thema "Behindert das Zentrum gegen Vertreibungen den deutsch-tschechischen Dialog?" hatte der Bund der Vertriebenen am 23. Januar drei Gesprächsteilnehmer geladen, die in der Münchner Residenz von Dr. Johannes Grotzky, dem Chefredakteur des BR-Hörfunks, befragt werden sollten.

Es waren Dr. Bohumil Dolezal, Dozent für Politikwissenschaften an der Karls-Universität Prag, Erika Steinbach
, MdB, CDU, Präsidentin des BdV, und Prof. Dr. Peter Glotz, SPD, vom MCM-Institut der Universität St. Gallen – alle drei als Kämpfer für die Menschenrechte und für einen gerechten Umgang mit der Geschichte bekannt. Kontroversen waren also nicht zu erwarten. Daher und wohl auch wegen der geringen Streuung der Einladungen war der ca. 250 Personen fassende Max-Joseph-Saal der Residenz kaum zu einem Drittel gefüllt.

Weshalb aber eine solche Diskussion? Für eine Werbeveranstaltung waren weder Rahmen noch Beteiligung geeignet. Es ging wohl in erster Linie darum, die Grenzlinien der "political correctness" im Umgang mit jenen Verbrechen an Deutschen abzustecken, die unter dem Begriff "Vertreibung" zusammengefaßt werden. Schließlich gilt dieses Thema, im Gegensatz zu deutschen Verbrechen, als ein "ewig gestriges", moralisch minderwertiges, denn man hat ja nur vor der eigenen Tür zu kehren, gleichgültig was andere tun.

Ein solches "Tabu light" würde durch ein Zentrum gegen Vertreibungen gebrochen. Es galt also klarzustellen, wie letzteres aufzufassen sei, was draußen bleiben und was aufgenommen werden müsse, um den Bruch des sanften Tabus möglichst geräuschlos zu vollziehen.

So verlief denn alles gediegen und ernsthaft. Das Publikum wurde nicht mit einbezogen, denn man wollte, vielleicht mit Recht, den Verlauf unter Kontrolle haben. Schließlich soll das Ganze ja auch noch gesendet werden. Auch auf dem Podium gab es keine Diskussion zwischen den Teilnehmern. Grotzky ließ sie einzeln zu verschiedenen Punkten Stellung nehmen.

Eingeleitet wurde die Veranstaltung durch ein Grußwort des bayerischen Landtagspräsidenten Dr. Johann Böhm, der in einer mit zahlreichen klugen Zitaten gespickten Rede über Geschichte, Erinnern und Gerechtigkeit eigentlich schon alles zum Thema sagte. Dann folgte das Frage- und Antwort-Spiel, bei dem neben vielen, sich immer wiederholenden Selbstverständlichkeiten doch einige interessante Stellungnahmen aufhorchen ließen.

Frau Steinbach bekam als erste die Gelegenheit, das geplante Zentrum vorzustellen, das seit September 2000 bereits als Stiftung existiert. Als Begründung verwies sie auf die weitgehende Unkenntnis in Deutschland, beruhend auf jahrzehntelangem Verschweigen. Erst die Vorgänge in Bosnien und im Kosovo hätten in der Öffentlichkeit wieder Interesse an Vertreibungen geweckt. Die Vertreibung der Deutschen aus Ostmitteleuropa müsse in die Geschichte der Vertreibungen des 20. Jahrhunderts eingeordnet werden. Es sei ein europäisches Zentrum, allerdings mit seinem Platz in Berlin.

Auf eine entsprechende Frage betonte Peter Glotz, Vertreibungen seien Genozide und hätten daher mit Parteipolitik nichts zu tun. Die SPD habe das Thema nur wegen der Gegnerschaft der Vertriebenen zur Ostpolitik Brandts fallengelassen. Auch er habe deren "Agitation" nie akzeptieren können. Da die Mehrheit der Tschechen noch immer der Meinung sei, man habe gut daran getan, die Deutschen loszuwerden, bestehe Diskussionsbedarf.

Auf die zentrale Frage, ob mit dem Zentrum die Vergangenheit der Gegenwart im Wege stehe, antwortete Bohumil Dolezal, dies sei nicht der Fall. Würde das Zentrum aber den deutsch-tschechischen Dialog stören, wäre das nur gut, denn dann hätte dieser die Vergangenheit zu sehr ausgeblendet.

Nach einer Abqualifizierung der deutsch-tschechischen Erklärung, die der Regierung in Prag erlaubt habe, den Dialog abzuwürgen, bezeichnete er das Dialogforum als "Potemkinsche Veranstaltung", denn das Gespräch müsse eigentlich zwischen Tschechen und Sudetendeutschen geführt werden. Die Einmischung der "Deutschen" vermittle den Tschechen den Eindruck, man müsse sich um die Vergangenheit nicht kümmern. Er schloß mit dem lapidaren Satz, eigentlich hätten alle Völker und alle Menschen Gründe, sich zu schämen – "es kommt nur so, daß die einen es können und die anderen nicht".

Auf die Frage, ob an tschechischen Hochschulen ein Interesse an der Aufarbeitung der Vertreibung bestehe und was Studenten über diese erführen, sagte Dolezal, die Vertreibung sei kein Thema. Es gebe nur wenige Ausnahmen wie die Prager Gruppe "Antikomplex".

Zum Stichwort "Aufarbeitung der Vergangenheit" in der Bundesrepublik Deutschland stellte Glotz fest, junge Wissenschaftler, vor allem aus Polen, würden nur mit viel Mühe kompetente Partner zu diesem Thema finden. Auch der Lehrstuhl, den er selbst in Erfurt dafür durchgesetzt habe, sei ständig in Gefahr umfunktioniert zu werden.

Mit der Frage, ob ein Standort Berlin nicht die Relativierung der Verbrechen des Dritten Reiches beabsichtige, stieß Grotzky ins Zentrum der "political correctness" vor. Steinbach wandte ein, daß Menschenrechte unteilbar seien und man sich um deren Verletzungen, egal von welcher Seite, mit gleicher Intensität kümmern müsse.

Glotz ging noch weiter: "Wir müssen dafür sorgen, daß die Relativierung nicht stattfindet." An der Tatsache, daß der Holocaust das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte sei, werde nicht gerüttelt, dafür sei auch die unterschiedliche Dimension der Gedenkstätten ein Zeichen. Dolezal betonte, für ihn aus "neutraler" Position, gebe es keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Leiden der Juden und der Sudetendeutschen. Beide gehörten zu dem großen Haufen des Leides, das der Krieg gebracht habe. Sobald man sage, dies oder das sei schlimmer, habe man schon ein Alibi. Zu möglichen Ängsten in Tschechien meinte er, ja, es gebe sie. Man müsse sich dem Problem jedoch stellen. Jeder müsse im eigenen Herzen ein Zentrum gegen Vertreibungen entwickeln.

Solle das Zentrum, wie Steinbach betonte, einen kontinentalen Rahmen haben, wären dann nicht die Nachbarvölker mit einzubeziehen? Glotz antwortete darauf, daß zwar die Deutschen das Zentrum wohl selbst bezahlen müßten, denn vom tschechischen Premier Zeman würde man kaum etwas bekommen. Die Wissenschaftler der Nachbarn müsse man allerdings einbeziehen, auch wenn man dann wohl nur die "Dolezals" bekomme, die sich am weitesten vorwagen.

In seinem Schlußwort betonte Grotzky, das Zentrum würde seinen Zweck am besten erfüllen, wenn es zu einem guten Zusammenleben aller Menschen, egal welcher Nationalität, also zu einer Zivilgesellschaft beitrage. Damit war das Zauberwort gefallen. Geschichte dient nur einem guten Zweck; keinesfalls sollen die Leiden Teil der nationalen Geschichte werden.

In diesem Sinne wäre dem Zentrum das Wohlwollen unserer etablierten Politik sicher, zugleich aber dem Thema Vertreibung der Übergang vom Dornröschenschlaf zu gähnender Langeweile. Vielen Vertriebenen stand beim Heimweg der Unmut ins Gesicht geschrieben.

Das Gespräch wird am 5. Februar um 19 Uhr im Politischen Forum in Bayern 3 gesendet.

 
     
     
 
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