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Erinnerungen an Heiligenbeil 1945

 
     
 
Während die Sowjets bereits an der Oder standen, hielt die Deutsche Wehrmacht den Brückenkopf in Heiligenbeil noch fest in ihrer Hand. Mit meiner Kompanie lag ich im Bereich der Ortschaft Nemritten, die, von den Russen schon besetzt, in der Nacht zum 16. Februar 1945 bis auf ein großes Gut wieder genommen werden konnte. Um die Mittagsstunde dieses für mich so entscheidenden Wintertages erhielt ich den Befehl, mit meinen Männern das Gut wieder in unseren Besitz zu bringen. Beim Vorwärtsstürmen traf mich aus etwa 30 Metern Entfernung eine Kugel aus der Maschinenpistole
des Gegners – ich sehe ihn heute noch vor mir an der Mauerecke – und durchschlug meine Hüftgegend.

Ob es meinen Kameraden gelungen ist, das Gut zu nehmen, weiß ich nicht. Zwei Männer meines Trupps trugen mich aus dem Gefechtsfeld; und vor meinem Transport zum Hauptverbandsplatz, der Kirche von Heiligenbeil, wurde ich mit anderen Kameraden in einer Scheune erstversorgt. Am nächsten Tag, 17. Februar, besuchten Ortsbewohner die Verwundeten und fragten nach unseren Wünschen; sie boten Getränke und Kekse an. Auch an mich trat ein Heiligenbeiler Bürger heran und erbot seine Hilfe. Durch die von meinem blutdurchtränkten Wehrmachtshemd angelockten Läuse hatte ich noch zusätzliche Schmerzen. So bat ich den Mann um ein Hemd. Nicht lange darauf kam er zurück und bot mir ein echtes ostdeutsches Leinenhemd an. Er unterstützte mich beim Ausziehen des blutigen und verlausten Uniformhemdes. Frisch angekleidet empfand ich große Erleichterung und fühlte mich auch seelisch gestärkt.

Am Nachmittag sah ich, wie ein Sanitätsunteroffizier Verwundete, Gefähige, wegführte, diese aber nicht mehr zurückbrachte. Ich fragte ihn, was mit diesen Männern geschehe. Er teilte mir mit, daß auf dem zum Brückenkopf gehörigen Flugplatz zwei JU 52 stünden, die nach dem Dunkelwerden – es gab keinen Fliegerschutz mehr – nach Berlin flögen. So ich ob meiner Verwundung in der Lage wäre zu sitzen, könne ich mitgenommen werden. Ich entschied mich dazu; es wurde die Entscheidung meines Lebens. Als man mich in die JU gehoben hatte, bot sich mir ein für mich kaum faßbarer Anblick: Außer den Verwundeten befanden sich in der Maschine auch werdende Mütter aus Heiligenbeil und Umgebung. Was wäre aus ihnen geworden, hätte die Deutsche Wehrmacht hier nicht vorsorgend eingegriffen, galt doch die deutsche Frau bei den Gegnern als Freiwild? Um etwa 20 Uhr kamen wir auf dem Flugplatz Berlin-Rangsdorf an, waren fürs erste gerettet.

Vor einigen Jahren hatte ich – meine Frau ist Schlesierin – Gelegenheit, in Seeboden/Kärnten am Millstädter See, wo alljährlich Ostdeutschland, Pommern und Schlesier zusammenkommen, auch Gäste aus Heiligenbeil anzutreffen. Schade ist nur, daß ich dem Mann, dessen mir geschenktes Hemd so viel Erleichterung brachte und das als Erinnerungsstück jeder Kriegsauszeichnung gleichkommt, nicht mehr persönlich oder brieflich für seine Hilfe danken kann.

 
     
     
 
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