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Fatal

 
     
 
Nun ist es also amtlich. Das höchste Gericht der Russischen Föderation hat gesprochen. Die deutsche Beutekunst sei rechtmäßig nach Rußland verbracht worden, gelte als Kriegsbeute und Ersatz für die in Rußland während des Zweiten Weltkrieges entstandenen Schäden. Präsident Jelzin hatte seinen Widerstand gegen das Gesetz, das die Kriegsbeute nunmehr zu Staatseigentum erklärt, seinerzeit noch damit begründet, daß es die international
en Verhandlungen torpediere, die auch von Rußland vermißte Kunstschätze zurückführen sollten. Das Völkerrecht bemühte er für seine Argumentation nicht.

Die Sprache des Gerichts scheint eindeutig: "Die Aggressorenstaaten haben keinen Anspruch auf die Rückgabe ihrer Kulturgegenstände, wohl aber Bürger und Organisationen, die Opfer des Holocaust und des Hitler-Regimes wurden." Diese Kunstgegenstände bildeten eine "Kompensation" für die von  der Wehrmacht zugefügten Kriegsschäden. Eine solche Sichtweise verstößt eindeutig gegen die Haager Landkriegsordnung von 1907, die nicht zwischen Opfer und Aggressor unterscheidet, sondern schlicht und ergreifend vorsieht, daß im Krieg keine Kunst geraubt werden darf. Die Landkriegsordnung ist Teil des Völkerrechtes, das auch die Russische Föderation für sich als verbindlich anerkannt hat. Und nicht nur das. Moskau hat auch (wie in allen zivilisierten Staaten üblich) anerkannt, daß das Völkerrecht ihm entgegenstehende nationale Gesetze automatisch außer Kraft setzt. Sollte die Creme der russischen Justiz diese Kleinigkeit übersehen haben? Wenn ja, läßt das Schlimmes ahnen. Wenn nein, auch.

Noch immer lebt leider die alte sowjetische Auffassung, daß die Rechtsprechung Mittel zum Zweck für die Durchsetzung einer bestimmten Politik ist. Noch immer immer scheint die Sichtweise tief verwurzelt zu sein, daß Macht vor Recht geht. Lenin hätte zweifellos seine Freude an diesem Urteil eines höchsten russischen Gerichts gehabt, dessen Rechtsmängel so sehr ins Auge fallen.

Die deutschen Reaktionen fielen recht zwiespältig aus. Das Auswärtige Amt beharrt richtigerweise auf dem Grundsatz, daß Rußland sich an das Völkerrecht, auch an das Völkergewohnheitsrecht, halten müsse. Die Vorsitzende des Kulturausschusses des Bundestages, Elke Leonhard (SPD), merkte völlig zu Recht an, es sei "fatal" gewesen, daß Helmut Kohl im blinden Vertrauen auf seine persönlichen Beziehungen zu Boris Jelzin dieses Thema zur Chefsache gemacht habe. Die FDP-Bundestagsfraktion stellte fest, Rußland sei von Deutschland mit 100 Milliarden Mark unterstützt worden. Jetzt müsse sich die Bundesregierung fragen, wie sie weiterhin zur Vergabe von Krediten an Rußland stehe.

Inzwischen zeichnet sich ab, daß einzelne Teile quasi im "Gnadenwege" doch noch nach Deutschland gelangen könnten – entweder durch Ankauf durch die Deutschen, auf dem Tauschwege, vielleicht als "freundschaftlicher Akt" oder "als Zeichen des guten Willens", wie es im Urteilsspruch der Russen heißt. Einige deutsche Medien meinen, es reiche schließlich aus, wenn die Kunstgegenstände dem Publikum "irgendwo" – und sei es in Rußland – dem Publikum zugänglich gemacht würden. Vielleicht mal eine kleine "Wanderausstellung" mit Beutekunst in Deutschland … – Einmal ganz abgesehen davon, daß dafür in Rußland gar keine Gelder zur Verfügung stehen, läuft eine solche Argumentation darauf hinaus: Macht nicht so viel Aufhebens um eure Rechtsansprüche, das gibt nur Ärger und verdirbt die gute Laune.

Ganz unabhängig von dem schmerzlichen Verlust von Kunstgegenständen stellt sich aber eine noch viel grundsätzlichere Frage: Wie hältst du, Rußland, es mit dem Recht? Ein Volk mit einer großen Rechtstradition, die alten Römer, hat diesen Grundsatz der Rechtlichkeit einmal so zugespitzt: Fiat iustitia, pereat mundus: Es geschehe Recht – und wenn die Welt darüber zugrunde gehen müßte. Soviel wird Moskau kaum abverlangt werden müssen. Rußland sollte sich jedoch im klaren darüber sein, daß Freundschaft und Bündnisfähigkeit sich auch danach richten, für wie zuverlässig man eingeschätzt wird. Wenn Gesetze oder Verträge je nachdem, ob es einem gerade in den Kram paßt, eingehalten oder gebrochen werden, trägt das zweifellos nicht dazu bei, das Vertrauensverhältnis zu schaffen, das für eine künftige Friedensordnung in Europa die notwendige Voraussetzung ist.

 
     
     
 
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