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Folgenschwere Gesinnungstreibjagd

 
     
 
Damit dürfte zum ersten Mal eine üble Schikane gegen Lehrer mit der Falschbehauptung, sie hätten sich im Unterricht rassistisch oder sonst politisch inkorrekt geäußert, auf die Urheber zurückgefallen sein.

Dem Urteil zugrunde liegen Vorkommnisse an der Flensburger Ramsharder Grundschule im Spätsommer 1991. Damals hatte ein Lehrer, der bereits zwanzig Jahre seinen Beruf ausgeübt hatte, die 4. Klasse im Heimat- und Sachkundeunterricht übernommen. Kurze Zeit darauf wandten sich einige Eltern an die Zeitung der dänischen Minderheit
, "Flensborg Avis", und behaupteten, der Lehrer habe türkische Schüler schikaniert und rassistische Äußerungen getan. So habe er einen kleinen Türken vor die Tür geschickt. Die Zeitung machte aus diesen Behauptungen offenbar ungeprüft eine knallige Hauptüberschrift. Sofort veranlaßte der zuständige Schulrat, daß der Pädagoge versetzt wurde. So war der Schulrat erst einmal aus der Schußlinie, ein Verfahren, wie es in unseren Tagen immer üblicher wird. Der betroffene Lehrer aber hatte das Nachsehen.

Die Flensburger Zeitungen spannen den Faden fort: da konnte man von den bösen Taten des Lehrers lesen, etwa daß er an neunjährige Schüler den Text des Deutschland-Liedes mit allen drei Strophen verteilt und daß er angeblich die Kinder angeschrien und geschubst habe.

Die Veröffentlichungen in der Presse über ausländerfeindliche Äußerungen des Lehrers sollen, wie man dann hörte, bei Eltern der Schüler und den Lehrern des Kollegiums "größte Verblüffung" ausgelöst haben. Sehr schnell solidarisierten sich nicht nur viele Eltern mit dem angegriffenen Lehrer, sondern auch seine Kolleginnen und Kollegen. Nur wenige Wochen nach der ersten Veröffentlichung des "fremdenfeindlichen Skandals" erschien im Flensburger Tageblatt ein Leserbrief, unterschrieben von der Personalrätin der Ramsharder Schule, in dem mitgeteilt wurde, das Kollegium der Schule erkläre sich "aus folgendem Grunde mit seinem Kollegen solidarisch: jede Lehrerin, jeder Lehrer kann, aus welchen Gründen auch immer, ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Gut wäre es gewesen, vor der öffentlichen Diskussion den Ausgang der Untersuchungen abzuwarten..."

Nun ist dieses nicht der einzige Fall in Deutschland, bei dem in den letzten Jahren Lehrer wegen angeblicher oder wirklicher politisch inkorrekter oder gar rassistischer Äußerungen angeschwärzt, unter Druck gesetzt, aus dem Amt gedrängt, gerügt oder auf andere Weise verfolgt wurden. Fast immer wandten sich unverzüglich vorgesetzte Stellen und Zeitungen gegen den Beschuldigten, ohne die Vorwürfe ernsthaft zu prüfen. Und in den meisten Fällen blieben die angegriffenen Lehrerinnen und Lehrer die Unterlegenen.

So wäre es auch fast dem Flensburger Pädagogen gegangen. Unter dem Druck der Öffentlichkeit – inzwischen hatte sich sogar ein Fernsehsender des Falles angenommen – brach der Angegriffene zusammen. Er erkrankte so schwer, daß er dienstunfähig wurde und neun Monate nach den angeblichen Vorkommnissen in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden mußte.

Da kam das für den Lehrer günstige Ergebnis der Untersuchungen zu spät. Es stellte sich heraus, daß der Rassismusvorwurf ganz und gar unberechtigt war. Der Schulrat: "Es gab keinerlei Bestätigung für irgendeine Form ausländerfeindlichen Verhaltens." Tatsächlich hatte der Lehrer Erziehungsprobleme mit einem der größten Störenfriede der Klasse, einem zehnjährigen türkischen Jungen aus einem Heim. Es mag sein, daß der Lehrer pädagogisch dem Problem nicht gewachsen war; keinesfalls handelte es sich jedoch um Maßnahmen gegen den Störenfried, die darin begründet lagen, daß er Türke war.

Inzwischen muß der im vorzeitigen Ruhestand befindliche Lehrer mit einer Pension auskommen, die niedriger ist als jene, die er erhalten hätte, wenn er bis zur Altersgrenze tätig geblieben wäre. Nun hat der 57jährige Pädagoge vor Gericht Recht bekommen: die Verursacher der Kampagne müssen ihm, der heute noch unter Schlafstörungen, Angstzuständen und Selbstmordgedanken zu leiden hat, sämtliche Einkommenseinbußen ersetzen. Und das sind etwa 320 000 Mark. Die Verurteilten wollen beim Bundesgerichtshof Revision einlegen.

 
     
     
 
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