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Geometrie auf der Kaffeetasse

 
     
 
Im Jahr 1875 war es, als Adolph von Menzel sein vielbeachtetes Gemälde "Eisenwalzwerk" schuf. Für diese Arbeit, die später von der Königlichen Nationalgalerie in Berlin erworben wurde, war der Künstler eigens ins oberschlesische Königshütte gereist, um dort Motive zu sammeln. Am Rande des Bildes ist eine Menschengruppe zu erkennen, die trotz des Trubels um sie herum eine Ruhepause einlegt. Einer der Arbeiter hält zwischen seinen Knien einen Bunzlauer Topf ...

Der Name läßt aufhorchen: Bunzlau. Gemeint sind der Ort, aber auch der Kreis Bunzlau mit den Dörfern Naumburg / Queis, Tillendorf und Ullersdorf im westlichen Teil Niederschlesiens, der durch seine Töpferware weit über die Grenzen Schlesiens hinaus bekannt geworden ist.

Hauptabsatzgebiete des Bunzlauer Geschirrs waren der Osten Deutschlands, Österreich, Böhmen und Mähren
. Aber auch nach Rußland und Polen, sogar bis ins damalige Konstantinopel gelangten Waren aus Bunzlau. Ende der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts kamen gar Bestellungen aus Südwestafrika.

1851 zählte man in Bunzlau 18 Töpfereien mit 90 Gesellen, 30 Lehrlingen und 24 Arbeitern. Das kleine Dorf mauserte sich im Laufe der Jahre zu einem wahren Paradies für Töpfer. So gab es 1895 schon 32 Töpfereien mit 260 Gesellen und etwa 50 Lehrlingen sowie 18 Hilfsarbeitern. 1939 gar waren in der keramischen Industrie zusammen fast 3000 Arbeiter und Angestellte beschäftigt.

Nach der Vertreibung gelang es vielen Töpferfamilien, im Westen wieder Fuß zu fassen und einen Neubeginn zu wagen. Auch unter polnischer Verwaltung wurde die Produktion fortgesetzt. So arbeiteten 1946 in Bunzlau, das heute von den Polen Boleslawiec genannt wird, bereits wieder vier Werkstätten.

Betrachtet man das Bunzlauer Geschirr in Vergangenheit und Gegenwart, so fallen vornehmlich acht Muster oder Dekore auf, die typisch für die Ware aus Schlesien sind. Da gibt es den Reliefdekor (weiß auf braun), der zum ersten Mal in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verwandt wurde, oder den ähnlichen aufgelegten Dekor, der seine Blütezeit im späten 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlangte. Der Kerbschnitt und durchbrochene Arbeiten wurden meist im 17. Jahrhundert gefertigt, während der gemalte Dekor im 18. und 19. Jahrhundert Verwendung fand. Da die Kaltbemalung nur schlecht haftete, ist von diesen Arbeiten kaum etwas erhalten geblieben. Anders die eingebrannten Pinselmalereien aus dem späten 19. Jahrhundert oder der eingelegte Dekor aus den Jahren 1909 und 1910, der auf der Keramischen Fachschule in Bunzlau entwickelt wurde. Das berühmte Muster "Pfauenauge" aus dem Schwämmeldekor hat wohl jeder Keramikfreund noch in Erinnerung.

Mitte der 1920er Jahre begann man schließlich auch in Bunzlau aus wirtschaftlichen Zwängen, sich mit dem Spritzdekor auseinanderzusetzen. Man verwandte die Spritzpistole vorerst allerdings nur für die Fond- und Glasurspritzerei. Einfache Muster und Schmuckbänder wurden mit Hilfe von Schablonen erzeugt. Erst als Artur Hennig als Professor für die Abteilung Dekor und Gestaltung an die Bunzlauer Staatliche Keramische Fachschule berufen wurde und dieses Institut binnen kurzer Zeit zu einer der fortschrittlichsten keramischen Schulen machte, hatten auch die Bunzlauer Werkstätten teil am Erfolg des Spritzdekors. Der Katalog zur Ausstellung "Revolution der Muster - Spritzdekor-Keramik um 1900", die derzeit im Badischen Landesmuseum Karlsruhe zu sehen ist, nennt allein fünf Werkstätten aus dem schlesischen Bunzlau, die Gegenstände für den täglichen Gebrauch ebenso wie für die feine Kaffeetafel mit dem unverwechselbaren Spritzdekor verzierten.

Das Bunzlauer Geschirr war für damalige Verhältnisse und Ansprüche übrigens geradezu "modern", galt es doch als feuerbeständig und durch die später bleifreie Glasur als nicht gesundheitsschädlich. Vom 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Bunzlauer Geschirr in der Küche und im Haushalt ebenso benutzt wie bei einer feinen Kaffeetafel. Das braune Geschirr allerdings war vor allem in der Küche gefragt. Erst als um 1850 gußeiserne Töpfe und Pfannen und später emaillierte Blechwaren an Beliebtheit bei der Hausfrau zunahmen, ging die Nachfrage nach Bunzlauer Geschirr zurück. Wegen des vergleichsweise günstigen Preises jedoch blieben die Töpferwaren bei den ärmeren Schichten beliebt.

Eine regelrechte Revolution bedeutete Ende der 1920er Jahre der Einzug des völlig neuartigen Spritzdekors in die deutschen Haushalte. Die Ausstellung zeigt den unerschöpflichen Reichtum an geometrischen Mustern, Farbe und neuen abstrakten Formen der Spritzdekor-Keramik und leistet damit Pionierarbeit, denn noch nie zuvor gab es zu diesem Thema eine umfassende Schau oder eine systematische Veröffentlichung. Die Muster spiegeln charakteristische Strömungen der Zeit wider und vermitteln auch heute noch die künstlerische Aufbruchsstimmung der Weimarer Republik. So zeigt die Ausstellung die Bezüge der Spritzdekor-Keramik zur avantgardistischen Kunst auf, zum Bauhaus, zu Futurismus, Kubismus, De Stijl und Konstruktivismus. Vorbilder waren Werke von Wassily Kandinsky, Paul Klee oder Piet Mondrian. Auch zum Art Déco und zum Heimatstil kann man Verbindungen entdekken. Um die Stimmung jener Zeit einzufangen, wurden für die Ausstellung ein Art Déco-Zimmer, ein bürgerliches Wohnzimmer, eine Küche sowie ein Herrenzimmer nachgebaut und originalgetreu eingerichtet. Spritzdekor ist in jeder Inszenierung der Wohnräume zu finden - als Kakaokanne, Küchenuhr, Lampe, Nudelholz, Likörset, Leuchter, Obstschale, Vorhang oder als Tischdecke. Während der NS-Zeit fand die Revolution der Muster ein Ende. Die geometrischen Ornamente wurden von Heimatmotiven abgelöst. Nur wenige Werkstätten stellten weiterhin abstrakte Spritzdekore her und legten damit trotz der veränderten politischen Lage ein Bekenntnis zur Moderne ab.

Zur Ausstellung ist ein reich bebilderter Katalog mit grundlegenden Aufsätzen zur Spritzdekor-Keramik und zu den bedeutendsten Keramik-Firmen (Hatje Cantz Verlag, Ostfildern, 248 Seiten, 362 Abb., davon 339 farbig, gebunden mit Schutzumschlag, im Museum 29,90 Euro, im Buchhandel 35 Euro) erschienen. Er enthält außerdem einen fundierten Nachschlageteil, in dem rund 50 Hersteller samt Firmenmarken und den prägnantesten Dekorvarianten beschrieben sind. Ein Rahmenprogramm mit einer großen Spritzdekor-Börse (20. Mai), Familiennachmittagen, Themenführungen und Aktionen in der Design-Werkstatt vermittelt die Faszination rund um die "Schablone der Moderne".

Die Ausstellung ist dienstags bis donnerstags von 11 bis 17 Uhr, freitags bis sonntags und feiertags von 10 bis 18 Uhr geöffnet, bis 9. Juli.

Vasen mit Spritzdekor: Anregungen kamen aus der modernen Malerei von Kandinsky oder Klee. Foto: Badisches Landesmuseum Karlsruhe
 
     
     
 
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