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Gleichheit im Pech haben

 
     
 
Ob es wirklich rechtens ist, was der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg entschieden und am 30. Juni verkündet hat, daran darf man zweifeln. Aber eines steht fest: Weiter kommen die im Rechtstreit unterlegenen Opfer entschädigungsloser Enteignung durch die Bundesrepublik Deutschland nun nicht mehr, der europäische Rechtsweg ist für sie ausgeschöpft. Als endgültig legal gilt nun, was als legitim
anzuerkennen den Opfern und den ihnen Gleichgesinnten schwerlich gelingen wird. Damit muß der deutsche Fiskus nicht wieder herausgeben, was er ihnen seit 1992 mit Gesetzesgewalt abgezwungen hat, er darf das fremde Eigentum als eigenes behalten. Keine Verletzung des Eigentumsschutzes, keine Verletzung des Diskriminierungsverbots, verstoßen hat der beklagte deutsche Staat gegen die Europäische Menschenrechtskonvention nicht - so lautet der Spruch der Großen Kammer des Straßburger Gerichtshofs im Ergebnis.

Einstimmig ausgefallen ist das Urteil freilich nicht. Sechs der siebzehn Richter sehen den Eigentumsschutz verletzt, zwei das Diskriminierungsverbot. Die Beschwerde geführt haben fünf einstige DDR-Bürger. Hinter ihnen stehen mindestens 70.000 mit dem gleichen Enteignungsschicksal. In allen fünf Fällen geht es durchweg um das sogenannte Bodenreformland von 1945/46. Alle fünf Beschwerdeführer haben das Land von der Elterngeneration geerbt.

Allerdings durften die Empfänger ihr Bodenreformland nicht an andere übertragen, nicht verpachten, nicht verpfänden und es nicht teilen, wohl aber vererben. Und sie unterlagen dem Gebot, es zu bewirtschaften. War der Eigentümer zum Bewirtschaften nicht mehr bereit oder in der Lage, sollte es in den staatlichen Bodenfonds zurückgeführt und gegebenenfalls anderen zugeteilt werden. Doch zufallsbedingt sind solche Rückführungen in der DDR-Realität bei einem erheblichen Teil unterblieben. Als dann das Ende der DDR nahte, hat das "Modrow-Gesetz" mit Wirkung vom 16. März 1990 alle Verfügungsbeschränkungen aufgehoben. Wer das Land noch hatte, konnte es behalten und besaß es nun zum Volleigentum. Andere allerdings, die es zuvor an den Bodenfonds hatten zurückgeben müssen, profitierten davon nicht mehr. Pech gehabt.

Doch der gesamtdeutsche Gesetzgeber scherte sich um das Modrow-Gesetz nicht. Von 1992 an zwang er solche Erben, die nicht am 15. März 1990 oder in den zehn Jahren davor in der Land-, Forst- oder Nahrungsmittelwirtschaft tätig gewesen waren oder keiner LPG angehört hatten, durch Gesetz, das Land sowie alle etwaigen Pachteinnahmen oder Verkaufserlöse ersatzlos an den Fiskus herauszugeben. Dabei hatte sich die DDR bei den Verhandlungen zur deutschen Einheit doch gerade ausbedungen, die DDR-Bürger müßten ihr Bodenreformland behalten dürfen. Doch über ebendiese "DDR-Bedingung" setzte sich der Gesetzgeber in den Fällen der 70.000 hinweg, als habe sie nie existiert.

Nun in Straßburg der letztinstanzliche Entscheid mit dieser Begründung: In der Zeit vor dem Modrow-Gesetz hätten die Beschwerdeführer das Land nur zufallsbedingt nicht zurückgeben müssen, weil von den zuständigen DDR-Behörden unterlassen. Diesen "unzweifelhaften Zufallsgewinn" habe der gesamtdeutsche Staat aus Gründen sozialer Gerechtigkeit korrigieren dürfen - sogar noch zwei Jahre später. Darin kommt zum Ausdruck, es sei den Pechvögeln, deren Land vor dem Modrow-Gesetz an den Bodenfonds zurückgefallen war, nicht zuzumuten, daß die anderen, also nur die Glückskinder, vom Unterlassen der Behörden profitiert hätten. Glücks- kinder darf es nicht geben, sie müssen den Pechvögeln gleichgestellt werden. Glück haben ist sozial ungerecht.

Wer sich auf solche absurden Begründungen für Gleichheit im Pech überhaupt einläßt, übersieht außerdem, daß der Bundesgesetzgeber in Wirklichkeit nur fiskalische Motive im Sinn hatte (und hat). Daß der EGMR sehr wohl auch hätte anders entscheiden können, zeigen die richterlichen Sondervoten. Ebenso zeigt es das Urteil der EGMR-Kammer vom 16. Dezember 2003, das die Beschwerde der Fünf einstimmig für berechtigt erklärt hat, nun aber von der Großen Kammer aufgehoben worden ist. Das (und nicht nur das) erlaubt die Zweifel an dem, was die Große Kammer für rechtens hält.
 
     
     
 
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