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Indvidueller Geist bewahrt

 
     
 
Weitgehend unbemerkt sind in den vergangenen Jahren in Königsberg vier Gedichtbände erschienen, in denen hauptsächlich ostdeutsche Dichter zusammen mit einer russischen Übersetzung dem lesefreudigen Publikum der Russen erstmals zugänglich gemacht sind: Du mein einzig Licht ... Gedichte Königsberger Dichter. Zusammengestellt und übertragen von Sem Simkin. Kaliningradskoje knizhnoje izdatel’stvo, 1993. 319 Seiten (ISBN 5-85500-324-8). Agnes Miegel, Heimkehr. Zusammengestellt und Nachdichtung von Sem Simkin, "Jantarnyj Skaz"-Verlag, 1996, 199 Seiten (ISBN 5-7406-0134-7). Ernst Wiechert
, Noch tönt mein Lied. Zusammengestellt und Nachdichtung von Sem Simkin, "Jantarnyj Skaz"-Verlag 1999, 206 Seiten (ISBN 5-7406-0131-2). "... Du, Königsberg, nicht sterblich bist!" Gedichte aus und über Königsberg. Zusammengestellt und Nachdichtung von Sem Simkin, Kaliningrad 1999, 187 Seiten.

Die Reihe der meist aus Ostdeutschland stammenden Dichter reicht von Simon Dach im 17. bis zu Johannes Bobrowski im 20. Jahrhundert. Die Bände haben kurze Einführungen, nur der erste auch kurze biographische Angaben, der letzte nur ein sehr knappes Nachwort von Horst Glaß.

Die Arbeit des Übersetzers kann nicht einfach gewesen sein. Vieles hat er in erhaltenen Archiv-Bänden im heutigen Königsberg gefunden, anderes in Moskau und in Deutschland zusammengesucht. Besondere Zuwendung erfuhr zum Beispiel Agnes Miegel mit ihren sehnsuchtsschweren Versen, die sie vor und nach 1945 schrieb. Ehrfürchtig wird ihre Biographie gegeben und die Namen "Tochter Königsbergs" und "Mutter Ostdeutschland" wiederholt. Wir finden Simon Dachs "Kürbislaube" und Heinrich Alberts "Ännchen von Tharau"; ein Faksimile der plattdeutschen Fassung mit Noten unterlegt den inneren Einband. Wir finden Verse von Gottsched und Kant – wer weiß bei uns, daß der Philosoph Gedichte schrieb? Von Theodor Gottlieb v. Hippel, Zacharias Werner, Schenkendorfs Freiheitsklänge, Kleists Huldigung an Königin Luise, Scherzverse von Siegfried Sassnick. Und immer wieder Verse voller Heimatsehnsucht der Vertriebenen in Westdeutschland und der DDR.

Wer ist der Übersetzer? Sem (Samuil Chaimowitsch) Simkin lebt im heutigen Königsberg, wo er geboren ist. Er hat nicht nur, wie manch anderer Russe dort, Königsberg entdeckt, sondern mehr: das geistige Ostdeutschland in den Gedanken und Versen seiner Dichter. Er ist, was es in Rußland in all den sowjetischen Jahrzehnten immer gegeben hat und selten woanders anzutreffen ist: ein individualistischer Partisan der Dichtung. Seine Übersetzungen wollen in "maßvoller Freiheit" nachdichten, den "individuellen Geist" der Dichter bewahren und dabei passende russische Entsprechungen finden. Er schöpft aus dem riesigen Schatz russischer Poesie und Übersetzungserfahrung, mehr der modernen als der klassischen, auf die er sich auch beruft. Nicht selten sind seine Übersetzungen besser als das deutsche Original, ausführlicher oder knapper, dabei aber formgewandter, mit sorgfältig durchdachten Akzenten in Gedankenführung und Aufbau. Nur Weniges ist nicht recht geglückt, so gerade das "Ostdeutschlandlied", die große dritte Strophe. Die deutschen Texte sind leider nicht sorgfältig gesetzt. Für eine wünschenswerte neue Auflage ist die Korrektur eines Deutschen zu empfehlen. N. N.

 
     
     
 
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