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Ist der Ehrliche wieder einmal der Dumme?

 
     
 
Nun liegen sie also auf dem Tisch, die Antragsformulare für das neue Arbeitslosengeld II. Damit tritt die unter dem Namen Hartz IV bekannte Reform aus dem Stadium der Beratung und strittigen Diskussion in das der konkreten Umsetzung - von der Theorie zur Praxis. Und somit kann man auch endlich etwas konkreter sagen, was von diesen Neuerungen zu erwarten ist.

Theoretisch war und ist zu erwarten, daß der Druck größer wird - vor allem auf jenen Teil der Langzeitarbeitlosen, die eher als Langzeit-Arbeitsunwillige zu bezeichnen wären. Es gibt etwas weniger Geld, es wird nahezu jede Arbeit für zumutbar erklärt, es wird bei der Ermittlung der Bedürftigkeit intensiver auch die Leistungsfähigkeit des sozialen und familiären Umfelds einbezogen.

Kurzum: Die Löcher im sozialen Netz werden größer. Aber wer wird durchfallen? Und wer wird es schaffen, es sich in der sozialen Hängematte auch weiterhin bequem zu machen - allenfalls vielleicht etwas weniger bequem als bisher?

Nach Lektüre der 16seitigen Antragsformulare befürchte ich: Es wird wieder einmal die Falschen treffen. Gerade diejenigen, die man erklärtermaßen (und völlig zu Recht) im Visier hatte, die Schmarotzer, die Arbeitsscheuen, die Arbeitslosenhilfe-Profis
, die Ausbeuter des Sozialsystems, die sich bei Vater Staat den Sockelbetrag holen, auf dem sie dann mit Schwarzarbeit Nettoeinkünfte aufbauen, von denen ein ehrlicher Arbeiter oder Angestellter kaum zu träumen wagt - die wird man eben nicht packen.

Die kennen sich aus, die wissen, wie man Behörden austrickst, was man in Formularen wie ausfüllen oder auslassen muß. Die haben unsere Solidargemeinschaft jahrelang, in Extremfällen sogar jahrzehntelang, ausgenommen. Und die werden auch bei Hartz IV genügend Schlupflöcher finden.

Die anderen, die Ehrlichen, die unverschuldet in Arbeitslosigkeit und Not Geratenen, die im Umgang mit Sozialbehörden Unerfahrenen - sie werden wohl am Ende die Dummen sein. Sie zahlen die Zeche für die Raffinierten, die Unverschämten, die Faulen.

Hier stellt sich die Gerechtigkeitsfrage, allerdings in einem anderen Sinne als bei gewissen Gewerkschaftsfunktionären, bei SPD-Linken oder politisierenden Pastoren. Sie sind es doch, deren erbitterter Kampf um "soziale Besitzstände" in Wahrheit der Unantastbarkeit unverdienter und nicht selbsterworbener Sozialprivilegien gilt, deren bevorzugte Klientel jene sind, die alles bestreiten außer den eigenen Lebensunterhalt. Letztlich haben wir es auch ihnen zu verdanken, daß Sozialbetrug als clever gilt und Schwarzarbeit als Kavaliersdelikt.

Der theoretische Ansatz der Reformen ist richtig: Deutschland kann sich die extrem hohen Kosten des Sozialsystems längst nicht mehr leisten. In der praktischen Ausführung aber muß noch intensiv nachgearbeitet werden. Wenn man weiß, daß es hier massenhaften (und milliardenteuren) Mißbrauch gibt, muß man gegen diejenigen vorgehen, die das System ausbeuten - und nicht gegen jene, die dazu zu ehrlich - oder manchmal auch zu dumm - sind.

Solange das Volk den Eindruck hat, die Reformer bekämpften eigentlich nicht die Arbeitslosigkeit, sondern die Arbeitslosen, werden die Regierenden nicht aus dem Stimmungs- und Stimmentief herauskommen. Die notwendigen und für die Zukunft unseres Volkes unverzichtbaren Reformen aber wird keine Regierung (gleich welche Partei sie führt) auf Dauer gegen das Volk durchziehen können.

 
     
     
 
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