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Kleine Heimatkunde der besonderen Art

 
     
 
Krieg und Vertreibung, Gefangenschaft und Neubeginn; das Vorher und Nachher um die 30er und 40er Jahre hinterließ ungezählte traumatisierte Menschen, die zudem noch darunter litten, über das Durchlebte kaum sprechen zu können, und nur selten aufmerksame, verständnisvolle Zuhörer fanden. So entstanden zahlreiche persönliche Aufzeichnungen, um sich das Erlebte und Erlittene von der Seele zu schreiben und für Kinder und Enkel festzuhalten. Einige wurden als Buch veröffentlicht. Sie sind notwendige Quelle des Wissens über Flucht und Vertreibung
, authentisches Zeugnis. Eberhard Pautsch hat mit seinem umfangreichen Buch einen anderen Weg gewählt, um Zugang vom Heute ins Gestern zu ermöglichen. Er läßt einen schlesischen Großvater und seinen 15jährigen Enkel mit einer Bus-Pauschalreise in des Alten Grafschafter Heimat fahren. Es ist die autobiographische Spurensuche des Großvaters und die neugierige Aufgeschlossenheit des Schülers, die beide Generationen verbindet. Ein Idealfall!

Der Bericht gliedert sich in drei Kapitel: Die Durchreise (durch die Länder und Landschaften Mitteldeutschlands), die Einreise (nach Schlesien), die Heimreise (in das Bergland der Grafschaft Glatz). Der Großvater vermittelt als Reisepartner seinem Enkel Kenntnisse, die im heutigen Lehrplan der Schulen leider nicht mehr zu finden sind. Er stellt Heimatgeschichte in größere historische Zusammenhänge. Der Reiseweg und die Stationen werden lebendig dargestellt, Kulturgeschichte in allen Verzweigungen nicht vergessen und durch Textproben aus der Literatur ergänzt. Reiseteilnehmer werden in den Dialog einbezogen, besonders Kundige sind regionale Spezialisten. Der Enkel stellt Fragen und führt ein Tagebuch. In dieser Form und Fülle wurden die Grafschaft Glatz und Teile Schlesiens bisher nicht vorgestellt. Insofern ist das Buch, etwas altmodisch ausgedrückt, eine Heimatkunde. Auch tagespolitische Probleme werden nicht ausgeklammert, das deutsch-polnische Verhältnis, die bilateralen Verträge. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts wird erläutert, wie Schlesier der "Erlebnisgeneration" sie sehen. Die Fülle an Fakten hemmt manchmal den Erzählfluß. Eine gewisse Straffung hätte dem Buch nicht geschadet.

Besonders eindrucksvoll und nachvollziehbar wirkt das umfangreichste Kapitel, "Die Heimfahrt". Landschaftsformen, kleine Städte und Dörfer, Heilbäder und Wallfahrtsorte, die barocke Grafschaft rund um das 1000jährige Glatz: Das war des Großvaters Kindheitsparadies. Gute Erinnerungen an die ersten 15 Lebensjahre, dann die Rache der Kriegsgegner, die ihn festnahmen und für neun Jahre auf den Archipel GULag brachten.

Von diesem Einschnitt, der den Großvater die besten Jugendjahre kostete, erzählt er dem Enkel, der nur schwer begreifen kann, was einem Gleichaltrigen damals widerfahren konnte. Sehr eindrucksvoll ist die Begegnung mit dem Heimatdorf und dem Elternhaus beschrieben, die zurückhaltende Kontaktaufnahme mit den jetzigen, polnischen Bewohnern, eine beglückende Entdeckung auf dem Dachboden, ohne materiellen Wert. Hier überzeugt der Autor auch als Erzähler, und die diskutierte Zeitgeschichte und Tagespolitik tritt in den Hintergrund. Von der Grundidee her ist jedoch alles gut verknüpft.

So akribisch der Autor recherchierte - ein paar Fehler haben sich doch eingeschlichen. Sie sind aber nur von geringer Bedeutung. So ist die "Kroatzbeere" natürlich kein Magenbitter, sondern ein Brombeerlikör. Die Glatzer "Graf-Götzen-Schule" (Namensgebung 1938) war keine Oberrealschule sondern ein humanistisches Gymnasium mit neusprachlichem Zweig ab 1937. Prüfungsfragen für aufmerksame Leser. Und Leser möchte ich dem mit viel Fleiß erarbeiteten und zum Teil mit Herzblut geschriebenen Buch wünschen. Wolfgang Thaler

Eberhard Pautsch: "Späte Heimkehr", BoD, Norderstedt, broschiert, 365 Seiten, 21,80 Euro
 
     
     
 
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