Kleine Monster

Schlimme Kinder gibt es überall auf der Welt. Und es gibt die unterschiedlichsten Methoden, mit ihnen fertig zu werden ... Deutschland etwa versucht es mit ,intensiver Sozialpädagogischer Einzelbetreuung , amtsdeutsch abgekürzt: ISE. Genaue Statistiken fehlen, aber inzwischen tummeln sich deutsche ISE-Teams auf allen fünf Kontinenten. Was allerdings genau passiert zwischen den deutschen Einzelbetreuern und ihren Schützlingen an der Algarve, in Nepal, Norwegen oder Sibirien, es entzieht sich der Kenntnis und dem Urteil der Öffentlichkeit."

Stefan Scholl hat ein Jahr in Sibirien verbracht und an der Resozialisierung der Crashkids aus kaputten Familien, aufgewachsen in Heimen, auf Bahnhofsklos oder in Psychiatrischen Anstalt

en teilnehmen dürfen. Aus erster Hand beschreibt Scholl den nervenzerreibenden Psychokrieg, dem die Pädagogen tagtäglich mit ihren Schützlingen auszufechten haben. "Die erste Schlacht hatte Kai nach allen Regeln intensiver sozialpädagogischer Betreuung gewonnen, aber Jan ging zum Partisanenkrieg über. Er verschwand im eisigen Dschungel des Dorfes ... und kehrte nur zurück um virtuose Scheinangriffe zu führen. Ich saß mit einer Tasse Tee im Sessel, als Jan sich vor mir aufbaute: ,Hab gefälligst Angst vor mir Stefan! Er strahlte, hielt eine Hand hinter den Rücken, dann zog er das große Brotmesser hervor."

Zermürbend und selten von Erfolg gekrönt ist das Leben der Betreuer, die bei teilweise minus 40 Grad versuchen, ihren Zöglingen Werte und soziales Verhalten zu vermitteln. Die Meinung der meisten russischen Einheimischen zu den Erziehungsmethoden der ISE-Projektbetreuer ist jedoch eindeutig: ",Demokratie gibt es auf der Straße ... bei uns herrscht Diktatur ... ihr dürft euch nicht alles gefallen lassen. Ihr seid die Erzieher! ... Oder wie Alexander Strelnikow einmal über einen widerborstigen deutschen Teenager geschimpft hatte: ,Aus dem macht ihr keinen Menschen mehr! "

Die Absicht Scholles, dem Leser "das Niemandsland der deutschen Auslandspädagogik zugänglich zu machen", wird voll und ganz erreicht. Ein lesenswertes Buch zu einer brisanten Thematik.

Stefan Scholl: "Mit deutschen Chrashkids in Sibirien", Hoffmann und Campe, Hamburg 2004, geb., 271 Seiten, 19,95 Euro