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Kunst und Kommerz

 
     
 
Vor mehr als 150 Jahren wurde das Kunsthaus Math. Lempertz gegründet und hat sich im Laufe der Jahre zu einer international bedeutenden Stätte der Versteigerung von alter und moderner sowie ostasiatischer Kunst, Kunstgewerbe und neuerdings Fotografie entwickelt. Die Frühjahrsauktionen, nach Branchen gegliedert, wurden mit zeitgenössischer Kunst, begleitet von einem reich illustrierten Katalog
mit 550 Angeboten, abgeschlossen.

In unserer kapitalistischen Gegenwart liegen Kunst und Kommerz nahe beieinander. Zwar hängen die "Börsenwerte" der Kunst nicht nur von der ästhetischen Qualität ab, so spielen auch die Höhe der Auflagen bei Grafiken und Bronzeplastiken eine Rolle und nicht zuletzt modische Fragen. Insofern wirken Galerien, Kunstmessen und Auktionen bei der Gestaltung der Kunstszene mit. Das wurde in den letzten Jahrzehnten deutlich, als die Bundesrepublik Deutschland vom Amerikanismus (etwa Pop Art und Stilarten, deren Freiheiten bisweilen im Chaos endeten) überschwemmt wurde. Auch deutsche Epigonen und Extravagantes fanden Eingang. Der Rheinländer Josef Beuys wurde durch Filz, Fett und Abfallprodukte in seinen Exponaten bekannt. Der Lausitzer Georg Baselitz stellte seine Modelle auf den Kopf und bildete sie mit unkontrollierten vehementen Strichen ab und brachte es damit, im Westen seßhaft geworden, zu Popularität und Wohlstand. Unter den zwanzig Posten des Josef Beuys auf der jüngsten Lempertz-Auktion erzielte eine seiner Bronzeplastiken den Rekordpreis von einer Million DM! Hingegen bestand für die Arbeiten von Baselitz kein Interesse, auch nicht für die Kohlezeichnung aus der Serie der auf den Kopf gestellten Leute.

Was die einst in Deutschland hoch gehandelten Werke aus den USA anbetrifft, so gewährte die Kölner Lempertz-Auktion interessante Einblicke. Donald Judd, Robert Rauschenberg, Jasper Johns, Sam Francis und Roy Lichtenstein waren nur mit je einer bis drei Arbeiten auf Papier vertreten, Andy Warhol mit sechs Posten, u. a. mit Zuschlägen von 9500 DM und 17 000 DM. Zur selben Zeit wurde ein Siebdruck Warhols bei Christie’s in New York für 8,4 Millionen Dollar (umgerechnet 18,6 Millionen DM) erworben. Ist die Nachfrage nach amerikanischer Kunst in der Bundesrepublik also im Abflauen?

Überraschend groß war die Anzahl von Werken ost- und mitteldeutscher Künstler; die meisten der im Osten geborenen Maler, Grafiker und Bildhauer wurden allerdings wegen der politischen Ereignisse im Westen seßhaft. Von jenen, die die DDR nicht verließen, seien Max Uhlig mit einer Tuschpinselzeichnung von 1984 ("Sitzende Frau") genannt, die aber keinen Abnehmer fand, und Werner Tübke, dessen Vorzeichnung zum Panorama in Bad Frankenhausen (1975) den Schätzpreis von 1800 Mark leicht überstieg.

Die Namen der aus dem Osten stammenden Künstler, die im Westen leben oder hier verstarben, fanden in die deutsche moderne Kunstgeschichte Eingang: Bernhard Heiliger aus Stettin, Paul Wunderlich aus Eberswalde, Günter Uecker aus Mecklenburg, Georg Baselitz aus der Lausitz, Otmar Alt aus Wernigerode, Johannes Grützke aus Berlin, Johannes Gecelli aus Königsberg. Die von ihm angebotene Zeichnung "Stilleben" (1955) wurde nicht ersteigert; doch wer mehr von diesem in Berlin lebenden Ostdeutschland sehen wollte, dem bot sich im Mai-Juni seine Einzelausstellung (Aquarelle und Gemälde) im Museum der Alten Post im nahen Mülheim an der Ruhr an.

Bei Lempertz gab es ferner Werke von Künstlern aus Schlesien (Johnny Friedlaender, Raimund Girke, Sigmar Polke) und Sachsen (Hans Hartung, A. R. Penck, Gerhard Richter). Von den zehn Posten des Dresdners Richter wurden Ölgemälde und Lithos bei 10 000, 18 000 und 22 000 DM zugeschlagen. Doch welch enormer Abstand zu den 4,9 Millionen Dollar (umgerechnet 11 Millionen DM), die sein Ölgemälde vor einem halben Jahr bei Christie’s in New York erzielte! Aus den zehn Angeboten von Gemälden und Zeichnungen des gegenstandsfreien Künstlers Ernst Wilhelm Nay (1902 Berlin – Köln 1992) ragte sein großformatiges Ölbild "Feuerblau" (1961) heraus, das für 708 000 DM an den deutschen Handel ging.

Eine hervorragende Stellung in der informellen Kunst bzw. dem abstrakten Expressionismus – und bei Lempertz vorzüglich vertreten – nehmen Rolf Cavael (1898 Königsberg – München 1979), Fred Thieler (1916 Königsberg – Berlin 1999) und Bernhard Schultze (geb. 1915 in Schneidemühl, lebt in Köln) ein. Von den vier sensiblen Kompositionen Cavaels erhielten eine Filzstiftzeichnung (1800 DM) und eine Gouache (2600 DM) Zuschläge. In Anlehnung an die Musik bezeichnete der ostdeutsche Maler seinen Stil lieber als absolut, um – wie er sich einmal äußerte – das "schreckliche Wort abstrakt" nicht zu gebrauchen.

Von den dynamischen Gemälden Thielers wechselte eines für 7500 DM die Besitzer. Schultze war mit elf Farbplastiken, Ölgemälden, Gouachen und Zeichnungen vertreten. Zwei Plastiken wurden für 8000 DM und 17 000 DM zugeschlagen, ein Gemälde für 40 000 DM.

Eine Auktion ist natürlich ein Unternehmen für Käufer. Doch auch die Besucher der Vorschau und der Versteigerung selbst kamen auf ihre Rechnung, konnten sich an den Exponaten erfreuen und erhielten Einblick in die Kunst- und Marktszene von heute in Deutschland. Unverkaufte Werke können übrigens noch in den nächsten Monaten im Kunsthaus Lempertz, 50667 Köln, Neumarkt 3, besichtigt und auch anhand des reich illustrierten und mit Daten und Schätzpreisen versehenen Kataloges (Preis 35 DM) erworben werden.

 
     
     
 
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