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Luisentorte und Liebesknochen

 
     
 
Irgendwie haben wir noch den Duft in der Nase, wenn wir an das weihnachtliche Königsberg denken, diesen lieblichen, süßen, würzigen Duft, der aus den Türen der Konditoreien, wenn sie geöffnet wurden, in unsichtbaren Wolken in die kalte Winterluft strömte. Die Dominante bildete natürlich der Mandel- und Rosenwasserduft des Marzipans, aber es schwangen noch andere Gerüche mit: nach warmer Schokolade, Honig, Vanille, Zitronat, Nelken, Kardamon, Muskat - verlockend wie die Sünde, die aber damals noch keine war. Denn wer sprach schon von "Kalorienbomben", wenn wir vor der Kuchentheke standen, schwer am Überlegen, für welche Torte wir uns entscheiden sollten. Oder für einen Liebesknochen, ein Prinzeßtörtchen oder Napoleon
schnittchen - wobei die typisch ostdeutsche Verkleinerungsform bei den letztgenannten Spezialgebäcken wirklich nicht angebracht war, denn sie hatten beachtliches Format. So war es in jeder Konditorei oder Bäckerei im alten Königsberg, diesem Mekka der Backkunst, die auch in den häuslichen Küchen zur Höchstform auflief.

Denn Hand aufs Herz: Welcher Ostpreuße "schmengert" nicht gern? Die Region war seit uralten Zeiten ein Honigland, Met wurde aus der Gabe der wilden Bienen gebraut, der Bärenfang blieb unser Nationalgetränk - bis heute. Nicht umsonst sah der hochgelehrte Professor Rheticus, ein Schüler des großen Kopernikus, das alte Preußen als ein Land, in dem Milch und Honig flössen und dessen Bienenplätze in den weiten Wäldern von Apollo höchstpersönlich angelegt seien. Das "Beutnertum" hat sich bis in unsere Tage erhalten.

Da hatten die Schweizer Konditoren ein leichtes Spiel, als sie vor 200 Jahren an den Pregel kamen, um die Königsberger mit ihrer süßen Kunst zu verwöhnen. Sie perfektionierten die Feinbäckerei so erfolgreich, daß die Königsberger Konditoreien schon zu Beginn des 19. Jahrhundert berühmt wurden und gleichrangig mit den beliebtesten Berliner Cafés - oder sogar noch höher - angesehen wurden. Eine authentische Quelle über dieses "süße Kapitel" der Königsberger Stadtgeschichte hat ein Sohn der alten Pregelstadt, Rainer Liessem, in der Schweiz gefunden, und es dokumentarisch mit Zeittafel aufbereitet. Herr Liessem stellte uns nun seine Abhandlung "Konditoreien, Cafés und Kaffeehäuser in Königsberg" zur Verfügung, und wir greifen jetzt gerne auf sie zurück, da das Thema so gut in den weihnachtlichen Dezember paßt.

Sie kamen aus Graubünden, vor allem aus dem Engadin, manche aus dem angrenzenden Bergell. Schon 1796 gründete Florian Janatsch, der sich dann Janatzki nannte, als erster Bündner ein Caféhaus in der Junkerstraße. Die Gebrüder Pomatti aus Castasegna übernahmen 1809 die Konditorei Feige - bekannt für ihre Marzipan- und Luisentorten - im alten Posthaus am Schloßhof und wurden Hofkonditoren. Schon zu Zeiten Herzog Albrechts war Marzipan bei Hofe sehr begehrt, zu seiner Hochzeit im Jahre 1526 wurde es als "heilkräftiges Markusbrot" gereicht. Die Pomattis gründeten die erste "Marzipanfabrik" in Königsberg. Ihr Rezept wurde über ihre Nachfolger Sterkau und Petschlies zu Ewald Liedtke weitergereicht, unter dessen Namen diese traditionsreiche Konditorei am Kaiser-Wilhelm-Platz weitergeführt wurde. Seine Frau Hildegard, Tochter von Otto Petschlies, war der erste weibliche Konditormeister.

Im Jahre 1812 kommt die Familie Zappa aus Zernez nach Königsberg und gründet eine Konditorei am Roßgärter Markt, dann am Schloßplatz und schließlich in der Französischen Straße, der Name ist für alte Königsberger noch heute ein Begriff. Diese Straße ist für ihre süßen Genüsse bekannt, denn hier befand sich in Nr. 7 die Konditorei Siegel, "der eigentliche Mittelpunkt aller Konditoreien in Königsberg", wie der Philosoph Karl Rosenkranz 1842 in seinen "Königsberger Skizzen" vermerkt. Er beschreibt sie als Kaffeehaus, in dem diskutiert, debattiert, politisiert wird. "Sie ist für uns, was Stehely für Berlin ist." Das Café Stehely galt damals als politisches Zentrum. Dieser Erwartung ist die Konditorei Siegel wohl gerecht geworden, denn dort verkehrten liberale Professoren der Albertina ebenso wie radikale Abgeordnete. Die Familie Siegel kam aus Silvaplana, Nachfolger wird ebenfalls ein Engadiner, Caspar Sebastiani aus Flan.

Aus diesem Ort kam auch Stephan Plouda, der 1887 die Kallmannsche Konditorei und Marzipanfabrik in der Kneipphöfischen Langgasse übernimmt. Mancher Börsianer ging "zu Plouda", dieser Name wurde für die Königsberger Cafékultur und Konditorenkunst ein Begriff. Wie "Schwermer", 1896 gegründet, und "Gehlhaar" in der Kantstraße, seit 1912, - sie sind es noch immer, denn sie senden auch heute das echte Königsberger Marzipan in alle Welt!

Warum besaßen gerade die Königsberger Konditoren Schweizer Herkunft ein regelrechtes Monopol in der Herstellung von Marzipan? Das hat schon seine Geschichte, und sie führt zurück in das 15. Jahrhundert. Damals wanderten viele Bäcker aus Graubünden nach Oberitalien aus, vor allem in die Republik Venedig, die eine Allianz mit dem Schweizer Kanton einging. Die Lagunenstadt hatte sich mit den Kreuzzügen zum bedeutendsten Mittelmeerhafen entwickelt, dort wurden die Spezereien des Orients gehandelt, auch das süße Mandelgebäck der Haremsdamen, das in Venedig zum "Marzapan", dem Brot des Markus, wurde. Die Bündener Einwanderer errangen bald eine starke wirtschaftliche Position, so waren 1699 von 42 venezianischen Konditoreien nur vier nicht in ihrem Besitz. Als dann 1766 aus wirtschaftspolitischen Gründen die Allianz zerbrach, wurde den Bündnern jede gewerbliche Tätigkeit untersagt. Also wanderten sie aus, wurden in ganz Europa seßhaft - Ende des 19. Jahrhunderts gab es 700 Konditoreien Bündner Herkunft -, und so kamen sie auch nach Preußen, das aufgrund seiner Toleranz große Anziehungskraft besaß und aufbauwillige Menschen brauchte. Königsberg versprach als Königliche Haupt- und Residenzstadt, als Hort des Wissens und des Handels, gute Pfründe und erfüllte die Erwartungen der Einwanderer. Wie auch umgekehrt.

Viele Erinnerungen wird diese kleine "Königsbergensie" bei unseren Leserinnen und Lesern erwecken, so auch bei mir, denn ich denke noch an den Baumkuchen, den ich auf der "Schwermer"-Terrasse am Schloßteich genoß, denke an die Tortenstücke mit den Marzipanrosen, die ich bei "Gelhaar" erstand, wenn ich ein gutes Honorar beim Reichssender Königsberg erhalten hatte - das mußte doch gefeiert werden. Aber ich vergesse auch nicht die kleine Konditorei auf dem Hinterroßgarten, in der meine beste Freundin und ich uns ab und zu den langen Schulweg versüßten - getreu dem Hit der damaligen Zeit: "In einer kleinen Konditorei, da saßen wir zwei bei Kuchen und Tee ..." Wir kamen uns sehr erwachsen vor!

Auch beim Königsberger Landsmann Rainer Liessem hat das Buch "Fast ein Volk von Zuckerbäckern", das er im Frühjahr in seiner Schweizer Ferienwohnung fand, Erinnerungen an seine Königsberger Kindheit mit "Konditern gehen" geweckt, so, daß er sich so eingehend mit diesem Thema befaßte. Und es wird ihn auch weiter beschäftigen, denn Herr Liessem will seine Studie ausweiten. Vielleicht können ihm unsere Leserinnen und Leser dabei helfen. Wer weiß etwas über die folgenden Konditoreien: "Dölitscher", später "Maurizio", dann "Woriener Garten" am Schloßteich - "Bertsch" an der Schmiedebrücke - "Feige" am Altstädtchen Markt - "Caccia" in der Französischen Straße und "Pedotti". Eine Frage kann ich ihm beantworten: Die Kittelstraße, in der sich das Kaffeehaus "Josti" befand, war die spätere Köttelstraße. (Anschrift von Rainer Liessem: Jacobistraße 31 in 79104 Freiburg, Telefon: 0761-33041)
 
     
     
 
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