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Mehr als kalte Münze

 
     
 
Wieder ein Taler weniger. Seit dem Jahreswechsel gibt es den Slowenischen Tolar nicht mehr. Die Slowenen zahlen nun offiziell in Euro. Vor gerade mal zehn Jahren durfte noch hierzulande kräftig spekuliert werden: Kommt der Euro? Kommt der Euro nicht? Man konnte es an den Knöpfen abzählen. Oder Blütenblätter auszupfen. Oder Politiker fragen. Die Antworten hatten stets den gleichen Wert - totale Unverbindlichkeit. Noch zum Jahreswechsel 1996/1997 wurde die Ankündigung der Euro-Einführung stets mit einem "vermutlich" versehen. Zwei Jahre später ging der Euro dann tatsächlich an den Start, allerdings als eine Art Geisterwährung, die lediglich in den Journalen der Buchhaltung und in Bilanzen
auftauchte. Erst vor fünf Jahren zum Jahreswechsel 2002 wurde es ernst. Da gaben Banken und Sparkassen die sogenannten Starter-Kits aus, kleine Beutel mit den neuen Münzen im Wert von 20 Mark.

Wer die 20 Mark für die fremden Münzen zahlte, spürte nicht selten Trennungsschmerz. Die Deutschen waren zwar neugierig auf die neue Währung, aber überwiegend skeptisch. Sie zeigten ihr mehrheitlich die kalte Schulter. Bei der Mark wußte jeder, was er an ihr hatte (auch wenn es im Regelfall stets zu wenig von ihr war). Wenn im 20. Jahrhundert in Deutschland altes Geld gegen neues ausgewechselt wurde, dann waren immer schlechte Zeiten vorausgegangen: die Inflation nach dem Ersten Weltkrieg, die Hungerzeit nach dem Zweiten Weltkrieg, der Zusammenbruch der DDR. Neue Währung hieß auch immer neue Hoffnung. Eine nur hatte ihre Versprechungen erfüllt: die D-Mark.

Erfolgreicher als die Deutsche Mark war keine Währung im 20. Jahrhundert in diesem Land. Weltweit genoß sie Ansehen, hatte sich aufgeschwungen zur Leitwährung, auf Du und Du mit Dollar, Pfund und Yen. Verläßlich und stabil war sie, manchmal allenfalls vorübergehend ein bißchen schlapp, aber meist härter, als es den Exporteuren lieb war. Wer die Mark in der Tasche hatte, genoß Ansehen rund um den Globus. Noch an der letzten Sanddüne von Timbuktu erscholl der fröhliche Gruß: "Hallo, Neckermann, du Deutsch Mark?"

Wer hätte jemals solche Zuneigung zur Lira erlebt? Oder zur Peseta? Nein, Geld ist nicht Geld, und was für Geld der Euro sein würde, wer wußte das schon? Die Deutschen jedenfalls waren skeptisch. Drei von vier wollten ihre D-Mark behalten. Und selbst wenn der Euro mit Brief und Siegel stabil wie die Mark sein sollte, mochten doch 54 Prozent die Mark nicht hergeben. Da zog auch wenig das Argument, mit dem Euro werde der Urlaub billiger, weil der lästige Umtausch nicht mehr notwendig ist, weil nicht mehr bei jedem Wechsel gegen Bares, bei jedem Scheck und bei jedem Einkauf mit der Kreditkarte automatisch Wechselgebühr fällig ist. So kleine Opfer wurden für die Mark gern gebracht. Da mochten Finanz-Theoretiker noch so beeindruckende Rechnungen aufmachen. Eine von solcher Art beispielsweise: Wer sich vor Einführung des Euros mit tausend Mark in Deutschland aufmacht, um alle Länder der Europäischen Union zu besuchen und jeweils im Lande seine Barschaft vollständig umwechselt, aber nichts einkauft, der kommt nach Hause mit 500 Mark und ein paar Münzen. Aber wer macht schon so etwas? Nein, die Deutschen hingen an ihrer Mark und wollten sie nicht hergeben. Haben sie übrigens auch nicht gänzlich. Noch immer schlummern mehr als 14 Milliarden Deutsch-Mark in irgendwelchen Socken oder nicht aufgeräumten Schubladen. Täglich erreichen zwischen 800000 und einer Million Mark die Deutsche Bundesbank zum Umtausch. Fünf Jahre nach Einführung des Euros rechnen viele Menschen die Preise immer noch in die D-Mark um. Geschichten ums Geld sind eben ganz besondere Geschichten. Wir nehmen deshalb den fünften Geburtstag des Euros zum Anlaß, in einer vierteiligen Serie die Geschichte des Geldes zu erzählen.

Wenn Wirtschaft zur Hälfte Psychologie ist, dann ist es Finanzwirtschaft nahezu ausschließlich. Der große Volkswirt Joseph Alois Schumpeter (1883-1950), an dem heute kein Student der Wirtschaftswissenschaft vorbeikommt, erkannte sehr viel genauer den wahren Wert des Geldes: "Währungspolitik bedeutet mehr als Gestalten, Beeinflussen, Regeln eines Sondergebietes marktwirtschaftlicher Technik. Das oft leidenschaftliche, stets große Interesse, das den praktischen Fragen des Geldwesens und des Geldwertes gilt, erklärt sich ja nur daraus, daß sich im Geldwesen eines Volkes alles spiegelt, was dieses Volk will, tut, erleidet, ist, und daß zugleich vom Geldwesen eines Volkes ein wesentlicher Einfluß auf sein Wirtschaften und sein Schicksal ausgeht. Der Zustand des Geldwesens eines Volkes ist ein Symptom aller seiner Zustände. Nichts sagt so deutlich, aus welchem Holz ein Volk geschnitzt ist, wie das, was es währungspolitisch tut."

Es stand also weitaus mehr zur Disposition als der "rein technische Vorgang Austausch nationalen Geldes gegen eine gemeinsame europäische Währung", wie es Bundesbankpräsident Otmar Issing vor zehn Jahren formulierte.

Die französischen Nachbarn haben diese heimliche Psychologie des Geldes offenbar früher erkannt und verstanden. Seit 1995 heißt der Euro Euro. Vorher hieß er ECU. Der Name Euro ist zweifellos eine Verbesserung. Den Kunstnamen ECU mochten ohnehin beinahe nur die Bürokraten in Brüssel. ECU bedeutete auf gut Esperanto "European Currency Unit". Dahinter steckte eine Recheneinheit des Europäischen Währungssystems. Der ECU strahlt den Charme der Brüsseler Verordnung über die zulässige Krümmung der Salatgurke aus.

Neben den Beamten in Brüssel mochten allerdings auch die Franzosen den Namen Ecu. Sie mochten ihn sogar so sehr, daß sie ihn zur Währung aller Europäer hochschummeln wollten. Listig ließen sie in die französischen Vertragstexte von Maastricht Ecu mit einem großen und zwei kleinen Buchstaben schreiben, im Gegensatz zu dem bürokratisch richtigen ECU. Hätten die Franzosen den Ecu zur europäischen Währung machen können, das Eurogeld wäre altes französisches Geld gewesen. Jedenfalls dem Namen nach. Was das für die Volksseele bedeuten kann, hatte Schumpeter erklärt.

Ludwig der Heilige hatte 1270 in Frankreich Goldmünzen prägen lassen, die er Ecu nannte. Und Philipp IV. ließ davon zwischen 1337 und 1339 so viele herstellen, daß damit der Hundertjährige Krieg gegen England lässig zu bezahlen war. Mit 1,5 Millionen Ecu spickte Philipp seine Verbündeten, den Grafen von Flandern, den Bischof von Lüttich und Johann von Luxemburg. Sein Gegner, der englische König Edward III., mußte sich dagegen hoch verschulden, um seine Verbündeten bei Laune zu halten. Auf seiner Empfängerliste standen der Kaiser, der Herzog von Brabant, der Herzog von Geldern und noch viele andere. Alle wollten sie Geld sehen, das der König aus eigener Produktion nicht hatte. Er besaß nicht genügend Gold, um daraus eigene Münzen prägen zu lassen. Der englische König zahlte mit goldenen Fiorini, die er sich bei den Florentiner Bankhäusern Bardi und Peruzzi lieh. Mit einer halben Million englischen Pfund stand er schließlich in der Kreide. Obendrein hatte er die Königskrone für 50000 Gulden an den Erzbischof von Trier und eine etwas kleinere Krone an Köln verpfändet. Letztere konnte der König nur mit Hilfe deutscher Kaufleute auslösen, als die Kölner ihr Pfand zu verscherbeln drohten. In solche Abhängigkeit waren die Franzosen mit ihrem Ecu nicht geraten. Und deshalb hätte sie ihn ganz gerne an Stelle des Euros gehabt.

Wie das Geld zu dem wurde, was es ist, warum sein Wesen viel mehr ausmacht, als sich in Mark oder Euro ausdrücken läßt, darüber berichten wir den nächsten Folgen unserer Serie.

"Von der Muschel zur Münze"

Foto: Ludwig der Heilige von Frankreich (1226-1270): Er ließ schon einmal Münzen mit
 
     
     
 
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