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Milosevic - der historische Präzedenzfall

 
     
 
Diktatoren haben ein besonderes Verhältnis zur medialen Vermittlung der Wahrheit, vor allem zum bewegten Bild. Für Lenin war der Film „die wichtigste Kunst“, und einer seiner Nachfolger, Andropow, richtete im KGB sogar eine eigene Hauptabteilung für Desinformation ein, in der die Manipulation mit audiovisuellen Medien höchste Priorität genoß.

Auch die europäischen Jünger Lenins
außerhalb Rußlands, zu denen man gewiß den Slawen Milosevic zählen darf, haben diese Kunst der Instrumentalisierung der Wahrheit im Dienst der eigenen Ideologie und Sache besonders gepflegt. Zu den Meisterstückchen gehörte es immer, Fremdleistungen als Zeugnisse für die Schuld der anderen und die eigene Unschuld heranzuziehen. Das hat Milosevic mit einem Streifen aus der Werkstatt des WDR probiert.

Aber hier hat er in eigener Selbstüberschätzung den Bogen überspannt - und zwar gleich zweimal. Zum einen war der vom TV-Magazin „Monitor“ als Dokumentation, also mit dem Gütesiegel besonderer Wahrhaftigkeit, versehene Film „Es begann mit einer Lüge“ hierzulande äußerst umstritten. Kenner der Verhältnisse im ehemaligen Jugoslawien warfen den Filmemachern schlicht Fälschung vor.

Zum anderen hat der Streifen mit den 66 konkreten Anklagepunkten gegen Milosevic nichts oder allenfalls nur am Rande zu tun. Milosevic täuscht sich, wenn er glaubt, daß er die Welt auch von Den Haag aus an der Nase herumführen kann. Und das hat auch mit dem besonderen Verhältnis von Diktatoren zur Wahrheit zu tun: Auf Dauer verlieren sie jeden Bezug zur Wirklichkeit und glauben sogar, was sie verkünden. Vielleicht gelingt es dem Gericht in Den Haag, Milosevic aus seiner Trugwelt auf den Boden nachweislicher und nicht nur kunstvoll gefilmter Tatsachen herunterzuholen.

Das dürfte nicht so einfach sein. Es gibt kaum einen Diktator, auf den die scharfsinnige Unterscheidung zwischen Totalitarismus und Demokratie, die der Nestor der deutschen Politikwissenschaft, Karl-Dietrich Bracher, aufgestellt hat, so sehr paßt wie auf Slobodan Milosevic: Totalitarismus bedeute Selbstüberhöhung, Demokratie dagegen Selbstbeschränkung. Selbst im Gerichtssaal von Den Haag fühlt sich der Ex-Diktator vom Balkan den Richtern und dem Recht überlegen. Man verfälsche historische Tatsachen, behauptet er einfach. Da fälscht er lieber selbst. Solche Machthaber enden meist mit einer Lüge. Hegel hat einmal geschrieben: „Es muß einer nicht sehr weit gekommen sein in seiner Bildung, wenn er nicht für das Schlechteste gute Gründe hätte. Was in der Welt seit Adam Böses geschehen ist, ist durch gute Gründe gerechtfertigt worden.“ Die glaubt Milosevic beim WDR gefunden zu haben.

Aber es geht nicht nur um Milosevic und seine „mittelalterliche Barbarei“, wie die Chefanklägerin del Ponte seine Taten bezeichnet. Es geht auch nicht um Genugtuung für die Opfer der serbischen Diktatur oder für das unterdrück-te Volk in Serbien selbst. Es geht um nichts Geringeres als die Herrschaft des Rechts in der zivilisierten Welt. Deshalb ist dieser Prozeß historisch. Er schafft einen Präzedenzfall, an dem jeder Diktator gemessen werden kann.

Natürlich ist auch das Recht kein Selbstzweck, schließlich gibt es ja reichlich schlechte Gesetze. Das Recht muß selber gemessen werden an der Menschenwürde und an den Grundrechten des Menschen. Hier können sich manche Politiker auch in Demokratien fragen, ob sie diesen Katalog immer so uneingeschränkt befürworten. Man denke nur an die massenweise Tötung von ungeborenen Kindern. Mit der Formel „rechtswidrig, aber straffrei“ hat man dieses Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch in den meisten Ländern des Westens gebilligt.

Das hört man in Europa nicht gern. Solche Hinweise sind politisch nicht korrekt. Ebenso war die Stammzellenentscheidung im Deutschen Bundestag bei allem Lob über das Niveau der Debatte ein Srebrenica unserer Demokratie. Der Mensch, sein Grundrecht auf Leben wurden wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Zwecken untergeordnet. Selbst das ist eine Form von Diktatur, wenn auch nicht die Diktatur eines einzelnen, sondern die einer Mehrheit. Mehrheit ist nicht gleich Recht und garantiert auch nicht den Primat des Rechts. Diese Erkenntnis läßt sich auch aus dem Prozeß gegen den legal gewählten Milosevic ableiten. Die Herrschaft des Rechts muß sich an der Wahrheit der Verhältnisse orientieren. Auch deshalb ist dieser Prozeß historisch.

 
     
     
 
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