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Mit Witz und Verstand

 
     
 
Nach dem Zeugnis derer, die mich persönlich näher kennen, bin ich eine heitre, anspruchslose alte Frau, der man im geselligen Umgange die Schriftstellerin gar nicht anmerkt. – Und darauf bilde ich mir etwas ein", schrieb einmal eine Frau, die heute eher als "die Mutter des Philosophen" denn als erfolgreiche Schriftstellerin ihrer Zeit bekannt ist: Johanna Schopenhauer.

Geboren wurde Johanna als Tochter des Senators Trosenier am 9. Juli 1766 in Danzig. Ihre Eheschließung mit dem fast zwanzig Jahre älteren Kaufmann Floris Schopenhauer ist keine Liebesheirat, wie sie selbst bekannte. Dem Paar werden zwei Kinder geboren – Sohn Arthur 1788 und Tochter Adele 1797. Als die Preußen 1793 Danzig besetzen, geht man der Geschäfte
wegen nach Hamburg und unternimmt von dort weite Reisen durch Europa. England, Schottland, Frankreich, Österreich und die Schweiz sind die erwählten Ziele.

Als ihr Mann stirbt – man vermutet einen Freitod –, zieht Johanna Schopenhauer mit ihrer Tochter Adele 1806 nach Weimar, wo sie so illustre Gäste wie Goethe in ihrem Salon begrüßen kann. 1810 erscheint ihre erste Veröffentlichung unter ihrem vollen Namen; es ist eine Biographie des Kunstgelehrten Fernow, eines Freundes des Hauses. Nach einigen Reisebeschreibungen folgt 1819 ihr erster großer Roman "Gabriele", der von Goethe sehr gelobt wird.

Von 1828 bis 1837 lebt sie in Unkel bei Bonn, kehrt dann aber wieder nach Weimar zurück. Als Johanna Schopenhauer am 17. April 1838 in Jena an den Folgen eines Gehirnschlages stirbt, wird sie auf dem dortigen Johannisfriedhof beigesetzt. Sie hinterläßt eine Reihe von Romanen (so- genannte "Entsagungsromane"), Novellen und Reisebeschreibungen, von denen vor allem letztere noch heute lesenswert sind, zeichnen sie doch eindrucksvoll ein lebendiges Bild der damaligen Zeit.

Jugenderinnerungen, Tagebücher und Briefe der Johanna Schopenhauer sind jetzt bei Artemis & Winkler neu herausgekommen: Im Wechsel der Zeiten, im Gedränge der Welt (520 Seiten, sw Abb., geb. mit farbigem Schutzumschlag, 49,80 DM). Da sind neben ihren Briefen an so berühmte Zeitgenossen wie Goethe oder Holtei auch solche an ihren Sohn Arthur zu lesen. Gerade diese Briefe zeigen, wie sehr das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn doch getrübt war. "Daß ich Dich recht lieb habe, daran zweifelst Du nicht, ich habe es Dir bewiesen, solange ich lebe", schreibt die Mutter am 13. Dezember 1807 an den Sohn, der sich entschlossen hat, in Weimar Aufenthalt zu nehmen. "Es ist zu meinem Glücke notwendig zu wissen, daß du glücklich bist, aber nicht ein Zeuge davon zu sein. Ich habe Dir immer gesagt, es wäre sehr schwer, mit Dir zu leben, und je näher ich Dich betrachte, desto mehr scheint diese Schwierigkeit, für mich wenigstens, zuzunehmen. Ich verhehle es Dir nicht: solange Du bist, wie Du bist, würde ich jedes Opfer eher bringen als mich dazu entschließen ... Dein Mißmut ist mir drückend und verstimmt meinen heitern Humor, ohne daß es Dir etwas hilft ..."

Ebenso erfrischend zu lesen sind ihre Jugenderinnerungen. Selbst fast 200 Jahre nach der Niederschrift ist ihnen nichts an Lebendigkeit verlorengegangen. Mit Witz und Verstand beschreibt sie das bürgerliche Leben in Danzig, etwa ihren täglichen Schulbesuch, den sie bereits im Alter von drei Jahren aufnehmen mußte. Beeindruckt war das Mädchen von der düsteren Schulstube mit dem aus vielen kleinen Scheiben zusammengesetzten Fenster: "In der Ecke dieses Fensters thronte in ihrem geräumigen Sorgstuhl eine uralte Frau mit schneeweißem Haar in etwas fremdartiger, sehr sauberer, aber einfacher Tracht ... Deutsch sprach sie wenig und ungern, sie war eine geborne Französin und hatte als Hugenottin ihres Glaubens wegen aus ihrem schönen Vaterlande flüchtig werden müssen, aber sowohl die Tracht als Sitten und Sprache des französischen Bürgerstandes beibehalten ..." Diese alte Dame war keine andere als die Mutter des damals schon berühmten Kupferstechers und Zeichners Daniel Chodowiecki (Beispiele aus seinem Schaffen sind denn auch in dem vorliegenden Band abgebildet). Seine beiden Schwestern waren Lehrerinnen an dieser Schule.

Unvergeßlich auch der Besuch des Künstlers in der Schule: "Der fremde Mann setzte sich inzwischen an seinen Tisch, legte Papier vor sich hin, packte Bleistifte und andere kleine Gerätschaften aus, sah aufmerksam umher, schrieb etwas, wie es mir schien, sah wieder auf, schrieb wieder, ich hielt mich nicht länger... leise, leise wie ein Kätzchen schlich ich zwischen und unter Tischen und Stühlen bis zu ihm hin und sah so bittend ihm ins Gesicht, daß er es nicht übers Herz bringen konnte, mich zu verscheuchen. Freundlich nickte er die Erlaubnis mir zu, neben ihm stehenzubleiben. – Und nun sah ich auf dem kleinen Blättchen die ganze Schulstube vor meinen Augen entstehen; das hatte ich mir nie als möglich gedacht! Der Atem verging mir darüber; ich dachte und empfand nichts als Glück, dergleichen schaffen zu können. Von diesem Augenblick an ging all mein Wünschen und Trachten auf Zeichnen und Malen aus ..."

In das "Gedränge der Welt" schließlich führen ihre Tagebuchaufzeichnungen einer Europareise in den Jahren 1803-1805. Immer versteht es Johanna Schopenhauer, Land und Leute einfühlsam, aber kritisch zu beschreiben und so ein buntes Bild ihrer Zeit zu zeichnen. Das Leben in Weimar hingegen wird wieder lebendig in ihren Briefen, ein Weimar, das auch Johanna Schopenhauer ein wenig mitgeprägt hat. Peter van Lohuizen

 
     
     
 
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