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Nicht lieb aber teuer

 
     
 
Reimer Böge und Georg Jarzembowski sind tapfere Männer, was unter Politikern heutzutage eher selten vorkommt. Mutig greifen sie in die aktuelle Europa-Debatte ein und verkünden, Brüssel müsse bei den EU-Mitgliedsstaaten nicht weniger, sondern mehr abkassieren. Die beiden Europa-Abgeordneten, beide der norddeutschen CDU entstammend, wissen natürlich genau, daß dies nur zu Lasten der Nettozahler, vor allem also der Bundesrepublik Deutschland, gehen kann. Sie wissen aber auch, daß sie gerade erst wiedergewählt worden sind und erst in knapp fünf Jahren dem wahlberechtigten Steuerzahler
fern in der Heimat erklären müssen, warum ihnen Europa, wenn schon nicht lieb, so doch recht teuer sein soll.

Genau dagegen laufen die meisten anderen deutschen Politiker - zum Beispiel jene, die in wenigen Wochen in die Landtage von Sachsen oder Brandenburg gewählt werden wollen - Sturm. Auslöser der parteiübergreifenden Empörung war die Ankündigung des neuen EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso, den Brüsseler Haushalt ab 2007 auf 1,14 Prozent der Brutto-Wirtschaftsleistung anzuheben, im Klartext: von derzeit 100 auf mindestens 143 Milliarden Euro jährlich. Die Leidtragenden wären vor allem die deutschen Steuerzahler.

Die jüngste Zahlungsbilanzstatistik der Deutschen Bundesbank weist für 2003 deutsche EU-Beiträge in Höhe von 21,6 Milliarden Euro aus; davon flossen 7,9 Milliarden zurück, macht netto 13,8 Milliarden. Um einen Betrag in dieser Größenordnung würden nach ersten Hochrechnungen die deutschen Bruttobeiträge steigen, sollte die Kommission sich mit ihren Plänen durchsetzen. Verschärft wird das Problem noch dadurch, daß immer weniger Geld zurück-fließt, da Fördermaßnahmen für die Neuen Länder auslaufen.

Nettobeiträge von deutlich über 20 Milliarden Euro, zahlbar an eine Institution, die den Zahler zugleich wegen zu hoher Defizite kritisiert - wie will man das einem Volk vermitteln, daß nahezu täglich mit neuen schmerzlichen Einschnitten ins soziale Netz konfrontiert wird? Da die EU ja vorrangig eine gigantische Agrarsubventions-Verteilungsmaschine ist, sei ein Vergleich aus dem Landleben gestattet: Da wird die deutsche (Steuer-)Kuh immer kräftiger gemolken, zugleich werden ihr die Futterrationen drastisch gekürzt, und am Ende wird sie bestraft, weil die Milch immer dünner wird. Das hat man wohl unter fortschrittlicher Agrarpolitik zu verstehen...

Das bedrohlichste Damoklesschwert ist dabei noch gar nicht berücksichtigt: die im Oktober drohende, vom deutschen Kanzler herbeigesehnte Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Ankara. Allerdings scheint EU-Erweiterungskommissar Verheugen weniger optimistisch zu sein als sein Parteifreund Schröder. Dies wohl erst recht, wenn er die jüngste Studie der Brüsseler Denkfabrik "Friends of Europe" liest. Danach würde die Türkei als EU-Vollmitglied jährlich 17,4 Milliarden Euro einkassieren, bei einem Beitrag von nur 3,4 Milliarden. Und in den EU-Institutionen wäre das überwiegend asiatische Land dank seiner 90 Millionen Einwohner das einflußreichste, während sein Anteil an der Wirtschaftsleistung nicht einmal zwei Prozent ausmachte. Deutschland wäre an den Beitrittskosten mit jährlich 2,4 Milliarden Euro beteiligt.

Trotz allem haben die beiden eingangs zitierten EP-Abgeordneten nicht ganz Unrecht, wenn sie sagen: "Man kann Europa nicht immer mehr Aufgaben übertragen, gleichzeitig aber nicht sagen, wie die finanziert werden sollen." Man muß aus dieser im Prinzip richtigen Erkenntnis eben nur die richtigen Konsequenzen ziehen: Wenn das Geld nicht ausreicht, muß man eben weniger ausgeben, statt immer nur nach neuen Einnahmequellen zu Lasten anderer zu schielen.

Verheugen könnte hier mit gutem Beispiel vorangehen, indem er Ankaras Freunden - vor allem denen unter seinen eigenen Parteifreunden - klarmacht, daß die EU sich auf lange Sicht einen Beitritt der Türkei finanziell überhaupt nicht leisten kann. Damit wäre das Thema vom Tisch, und man bräuchte auch nicht mehr mit allen möglichen geistigen und sprachlichen Verrenkungen zu versuchen, die Türken nicht spüren zu lassen, daß man sie eigentlich aus ganz anderen, politischen Gründen nicht beitreten lassen will. Aber so weit reicht wohl auch der Bekennermut frisch gewählter Europa-Abgeordneter nicht. Juliane Meier

 

Bei Geld hört die Freundschaft auf: Der neue EU-Kommissionspräsident Barroso fordert vor allem von Deutschland höhere Nettobeiträge zur EU, doch inzwischen weiß selbst Schröder, daß die Zeiten von großen Geschenken vorbei sind. Denn während Hartz IV die Deutschen auf die Barrikaden treibt, ist Freigibigkeit gegenüber der ungeliebten EU unangebracht.
 
     
     
 
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