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Notwendiges Kriterium

 
     
 
Jetzt werden Check-Listen erstellt. Als ob man die Stelle der Nummer eins im Staat, die des Bundespräsidenten, ausschreiben könnte. Und natürlich entsprechen diese "Ausschreibungen" nach außen objektiven Kriterien und nach innen politischem Kalkül. Die SPD zum Beispiel hat vor allem ein Kriterium: Eine Frau soll es sein. Bei der Union ist es komplizierter, aber je nach Interesse des Autors der Liste läßt sich der Kreis der potentiellen Bewerber damit eingrenzen, bis nur noch ein Kandidat ins Raster paßt. So macht man es auch bei Unternehmen, wenn man eine bestimmte Bewerbung favorisiert.

Natürlich muß es Kriterien geben. Persönliche Integrität, innen- wie außenpolitisch
e Sachkompetenz, würdevolles Auftreten, überzeugende Rhetorik, Fähigkeit zur Überparteilichkeit - all das gehört dazu, wenn man Notar Deutschlands werden will. Bei der Gewichtung der Kriterien sollte man freilich nicht nur die Person des künftigen Amtsinhabers im Auge haben, es geht auch um das Amt selbst. Das steht in einem historischen Kontext. Heute brauchen wir weniger einen "Papa Heuss", der die Politikerkaste liebenswürdig und würdevoll vertritt, sondern eher einen Kandidaten, der den Parteipolitikern aus Exekutive und Legislative die Leviten lesen kann. Das Wort bleibt die Waffe des Präsidenten, und deshalb sollte er vor allem schonungslos Klartext reden. Dazu gehört, daß er keine Rücksicht nehmen muß, etwa auf die Frage seiner Wiederwahl. Der Vorschlag, die Amtszeit zu verlängern und dafür die Wiederwahloption fallen zu lassen, ist in diesem Sinn durchaus bedenkenswert. Ein Präsident, der einmal auf sieben Jahre gewählt ist und weder Parteien noch Wähler fürchten braucht, kann Wahrheiten aussprechen, die sonst im trüben Klima der derzeit herrschenden politischen Korrektheit mit ihren Feigheiten und Verlogenheiten verschwiegen werden.

In diesem Sinn gab der scheidende Präsident jüngst in China ein Beispiel des Muts, als er über Menschenrechte im Reich der Mitte sprach. Das schmeckte weder der Wirtschaft noch der Regierung, die Opposition schwieg. Weitere Beispiele waren seine Reden über Bioethik und über die Verletzungen der Vertriebenen am Tag der Heimat. Auch die schmeckten den rot-grünen Genossen nicht. Aber sie werden in Erinnerung bleiben. Denn sie haben eins gemeinsam: Sie sprechen Wahrheiten aus. Sie reißen den Schleier der interessengeleiteten Korrektheiten herunter. Nichts anderes ist ja die Wahrheit als die "Enthüllung der Wirklichkeit" (Josef Pieper). Das ist die vornehmste Aufgabe des Präsidenten heute. Sie weist über ihn hinaus.

Wer auf den Appell der Wirklichkeit antworten will, der zeigt Verantwortung vor dem Schöpfer dieser Wirklichkeit. Deshalb sollte der Präsident auch ein gläubiger Mensch sein. Nicht plakativ, aber im Herzen. Eine so verstandene Leidenschaft für die Wahrheit - man wundert sich, daß die Kirchen hier so stumm sind - ist als Forderung vielleicht nicht konsensfähig, schafft aber einen Konsens gesellschaftlicher Grundwerte jenseits persönlicher und parteilicher Interessen. Von ihm lebt die Demokratie. Leidenschaft für die Wahrheit - das ist sicher kein einfaches Kriterium in einer heidnischer werdenden Gesellschaft, aber heute so notwendig wie nie. 

 
     
     
 
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