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PSYCHOPHYSISCHE KORRELATIONEN

 
     
 
Das Kernstück einer anthropologischen Konstitutionsforschung sind die Beziehungen zwischen körperlichen und seelischen Merkmalen. Das größte Material (8100 Fälle nach W e s t p l i. a 1) liegt für die Korrelation zwischen Körperbau und Geisteskrankheiten vor, die für E. Kretschmer der Ausgangspunkt seiner Konstitutionslehre war. Statistisch gesichert (H o f s t ä t t e r) ist eine Disposition der Leptosomen zu Schizophrenie, der Pykniker zu manisch-depressivem Irresein, der Athletiker zu Epilepsie. Kretschmer faßt die Psychosedispositionen als Extremvarianten normaler Wesensarten auf. Die von ihm gezeichneten Charakterbilder der Körperbautypen wurden z. T. unterbaut durch Testuntersuchungen an ausgesuchten Typenvertretern. Für die schizothyme Wesensart, die dem leptosomen Körperbau zuzuordnen ist, ergab sich dabei u. a. ein Überwiegen der Form- über die Farbbeachtung, eine analytische Auffassungsweise, die Teilinhalte gut vorn Gesamtwahrnehmungsinhalt abzuspalten vermag, und die Tendenz, eingeschlagene Denk- und Erlebnisbahnen zäh beizubehalten (Perseverationstendenz). Schizothyme schließen sich gern ab, sie sind oder wirken gefühlskühl. Die dem pyknischen Körperbau entsprechende z y k 1 o t la. y m e Wesensart zeigt die Gegenmerkmale: mehr Farb- als Formbeachtung, mehr komplex-ganzheitliche Auffassung, geringere Perseverationstendenz. Der Zyklothyme ist umweltaufgeschlossen und gemütswarm. Die normalen Wesenszüge des Athletikers wurden auf den gemeinsamen Nenner des viskösen (schwerflüssigen) Temperaments gebracht.

Zu ähnlichen Ergebnissen gelangte S h e 1 d o n. Er sonderte drei Gruppen untereinander korrelierter Charakterzüge aus: Zum viszerotonen Eigenschaftskomplex gehören vor allem Bedürfnis nach menschlichem Kontakt, nach Zuneigung und Anerkennung, ferner eine gewisse körperliche Bequemlichkeit und Langsamkeit. Im somatotonen Komplex stehen Aktionsbereitschaft und Bewegungsfreude im Vordergrund. Die Vertreter des cerebrotonen Komplexes reagieren schnell, sind aber gehemmt in ihren Ausdrucksbewegungen, schwer anpassungsfähig und geselligkeitsfeindlich. Ebenso wie bei den Körperbaukomponenten werden für die Temperamentskomponenten sieben Grade der Ausprägung unterschieden. Zur Kennzeichnung der getesteten Individuen dient wieder eine dreiziffrige Zahl: so bedeutet 225 schwache Ausprägung der viszerotonen und somatotonen, starke Ausprägung der cerebrotonen Komponente. Die endomorphe Komponente zeigt eine hohe Korrelation mit Viszerotonie, die mesomorphe mit Somatotonie und die ektomorphe mit Cerebrotonie. Ebenso zeigen drei psychiatrische Komponenten Korrelationen mit den Körperbaukomponenten: der manisch-depressive Komplex vor allem mit Endomorphic, der paranoide mit Mesomorphie und der heboide (schizoide) mit Ektomorphie. Die viszeroton-cerebrotone Variationsreihe bezeichnet N y m a n als Stabilität und findet sie deutlich mit dem Fettfaktor von Lindeg trd korreliert.

Conrad zeigte, daß auch im Psychischen die Merkmale der Primärvarianten entwicklungsbiologisch gedeutet werden können: Kinder unterscheiden sich von Erwachsenen in derselben Richtung wie Pyknomorphe von Leptomorphen. Dementsprechend sind Leptosome auch in der Schulbegabung Pyknikern leicht überlegen (Just, Müller, S c h. zu i d e t z k y); es besteht auch eine allerdings wiederum nur schwache Korrelation zwischen Körperhöhe und Intelligenzquotienten (Husen, Schreider u. a.) sowie zwischen Ektomorphie und Intelligenz (S h e l -d o n).

Auch die Geschlechteranthropologie fand gesicherte psychologische Korrelationen. Sie unterbauen und ergänzen die intuitiven Schilderungen, die von zahlreichen Autoren von männlicher und weiblicher Wesensart gegeben und häufig auf polare Leitmerkmale zurückgefiihrt wurden (z. B. Homo faber und Homo curativus nach B u y t e n d i j k; stärkeres Sachinteresse beim Mann, stärkeres Personeninteresse bei der Frau nach K 1 a g e s; Verhalten mehr durch den noetischen Oberbau beim Mann, mehr durch den endothymen Grund bei der Frau geprägt, nach L e r s c h u. a.). Eine besonders umfangreiche Untersuchung über geschlechtsspezifische Persönlichkeitsunterschiede führten T e r in a 11 und M i l e s durch; sie ermittelten zunächst eine VieIzahl von Testfragen, deren Beantwortung deutliche Geschlechtsunterschiede ergab; eine Individualdiagnose wird sodann durch Summierung der maskulinen und femininen Antworten und Differenzbildung gewonnen.

Männer und Frauen unterscheiden sich gesichert in den Mittelwerten und in der Verteilung des M-F-Index; doch besteht, ebenso wie bei den sekundären Geschlechtsmerkmalen des Körperbaus, eine Überschneidungszone der Variationsbereiche. Die Faktorenanalyse der Testbatterie lien einen emotionalen und einen Interessen-Grundfaktor erkennen (Ford und T y 1 e r). Geschlechtsunterschiede der intellektuellen Begabung bestehen dagegen nicht. Die Streuungsbreite der Begabung ist jedoch bei Frauen geringer, sowohl nach der genialen wie nach der schwachsinnigen Seite; auch bestehen Unterschiede in Spezialbegabungen; so zeigen Knaben im Durchschnitt eine bessere mathematische, Mädchen eine höhere Sprachbegabung. Innerhalb der Geschlechter ergaben sich nur schwache Korrelationen zwischen dem M-F-Index und Körpermerkmalen, so eine etwas höhere Maskulinität bei Männern mit großer Körperhöhe und solchen mit tiefen Stimmen. Dagegen fand Schlegel relativ hohe Korrelationen zwischen dem Leitmerkmal der andromorphgynäkomorphen Variationsreihe, nämlich dem Querdurchmesser des Beckenausgangs, und der Beantwortung bestimmter Testfragen, so bei den gynäkomorphen Männern stärkere Farb-, geringere Formbeachtung als bei den andromorphen; mehr ganz- heitliche, weniger analytische AufinerksamkeitsverteiIung, stärkeres Geselligkeitsgefühl und leichtere Kontaktnahme, größere Einfühlsamkeit, stärkere Hinwendung zu Lebewesen. »Für den Gynükomorphen steht der Mensch, für den Andromorphen die Sache im Vordergrund des Interesses.«

Den durch Testuntersuchungen ermittelten ebenso wie den intuitiv erfaßten psychischen Geschlechtsunterschieden liegen sicherlich zu einem erheblichen Anteil Konstitutionsunterschiede zugrunde. Im Gegensatz zu den psychischen Korrelationen der anderen Körperbautypen ist hier jedoch auch mit einer sozialen, kulturabhängigen Formung zu rechnen: Knaben und Mädchen werden schon vom Kleinkindalter an zu bestimmten sozialen Rollen erzogen. Eine exakte Scheidung der beiden Komponenten des geschlechtsspezifischen Verhaltens ist noch nicht möglich.

Einen Schlüssel für das Verständnis der psychophysischen Korrelationen gibt die Endokrinologie und besonders die Hormon -p a t h o l o g i e. Über- und Unterfunktion endokriner Drüsen äußern sich sowohl in körperlichen wie in seelischen Symptomen. Überproduktion des Thyroxins der Schilddrüse beschleunigt alle Lebensvorgänge, sowohl Stoffwechsel wie Gefühlser- regbarkeit und ist mit hagerem Körperbau verbunden (Basedowsche Krankheit), Unterproduktion führt zu Entwicklungsstörungen, zu untersetzten kindlichen Proportionen, geistiger Trägheit und sogar Schwachsinn; Behandlung mit Testosteron (männlichem Keimdrüsenhormon) normalisiert Entwicklungsretardationen körperlicher und seelischer Art und beseitigt Altersmelancholie. Das sehr verwickelte Zusammenspiel der Hormone untereinander und mit dem nervösen Steuerungsapparat ergibt eine große Mannigfaltigkeit endokriner Formeln und damit psychophysischer Habitusformen, von denen ein Teil durch die Konstitutionstypologien erfaßt wird.

In der Gesamtheit der von der Konstitutionsforschung erarbeiteten psychophysischen Korrelationen lassen sich ebenso wie bei den Körperbauvarianten gemeinsame Grundrichtungen des Variierens erkennen: das Kind unterscheidet sich vom Erwachsenen in derselben Richtung wie die Frau vom Mann, der gynäkomorphe vom andromorphen Mann und der Pykniker vom Leptosomen. Die Art der Welterfassung mehr ganzheitlich oder mehr analytisch und der sozialen Kontaktnahme leicht und positiv gefühlsbetont auf der einen Seite, schwerer und weniger erwünscht auf der anderen sind die Grundmerkmale, die zahlreiche Einzelzüge und Verhaltensweisen prägen. PLASTIZITAT. Da der Konstitutionsbegriff den gesamten Phänotypus in seiner Erb- und Umweltgeprägtheit umfaßt, kann sich die individuelle Konstitution mit der Umweltsituation ändern (- Humangenetik, Modifikation). Werden ganze Bevölkerungen oder Teilbevölkerungen von solchen Modifikationen (K o 1l e k t i v rn o d i f i k a t i o n e n) betroffen, so ändert sich ihre Durchschnittsbeschaffenheit; genetisch gleiche Bevölkerungen in verschiedener Umwelt können sich dann phänotypisch unterscheiden. Diese Plastizität ist für eine Reihe somatischer Merkmale gut belegt, und zwar durch verschiedene Vergleichsreihen. I. In Kolonialbevölkerungen unterscheidet sich häufig die zweite Generation von den Einwanderern oder von der Herkunftsbevölkerung. Untersuchungen dieser Art wurden zuerst von Boas an Einwanderern nach den USA durchgeführt; spätere Untersuchungen konnten aber besser Wandersiebung (-4- Sozialanthropologie) und Modifikation trennen; badische Auswanderer nach Venezuela wiesen in der zweiten Generation in physiognomischen Merkmalen und Rassentypus so große Ahnlichkeit mit der Bevölkerung der badischen Herkunftsdörfer auf, daß wesentliche Erbunterschiede unwahrscheinlich sind und die Größen- und Proportionsänderungen (insbesondere größere Körperhöhe, geringere Kopf- und Gesichtsbreite) als Modifikationen angesehen werden müssen (Haus c h i l d); Japaner auf Hawaii zeigten in der zweiten Generation keine signifikanten Abweichungen von ihren aus Japan eingewanderten Eltern in Form- und Farbmerkmalen, wohl aber in den Größen- und Proportionsmaßen (S h a p i r n). In beiden Fällen und bei zahlreichen ähnlichen Untersuchungen (vgl. Kap 1 a n und S c h zv i d e t z k y) betrafen die Abänderungen also nur die relativ umweltlabilen metrischen Merkmale. 2. In den Städten unterscheiden sich die Stadtgeborenen häufig von den Zugezogenen (Berlin: Dorn f eld; Breslau: Schwidetzky; Freiburg: S c h a e u b l e) bzw. die stadtgeborenen Kinder von den landgeborenen Eltern (Hannover: P e s s l e r), und zwar zeigen sie in erster Linie geringere Kopf- und Gesichtsbreite. 3. Rassengleiche Bevölkerungen zeigen Größen- und Proportionsunterschiede in Gebirge und Ebene (Neue Hebriden: S p e i s e r; Schlesien: K l i e g e l) bzw. auf Löß- und Sandboden (Schlesien: Hahn, K l e n k e), und zwar jeweils kleinere und schmalwüchsigere Formen in den weniger begünstigten Landschaften. 4. In vielen Ländern hat die Körperhöhe im letzten Jahrhundert beträchtlich zugenommen (k Wachstum). 5. Eine V e r r u n d u n g der Kopfform (Brach ykephalisation) läßt sich in vielen Ländern Europas (Dänemark, Deutschland, Frankreich, Österreich, Schweiz), aber auch in außereuropäischen Ländern (Japan) seit dem frühen Mittelalter, zum Teil auch schon seit dem Neolithikum beobachten, und zwar auch dort, wo nicht mit einem Rassenwechsel zu rechnen ist. In der neuesten Zeit, nach den am weitesten zurückreichenden Daten (Bretagne) etwa seit der Mitte des 19. Jhs., vollzieht sich der umgekehrte Vorgang, nämlich eine Abnahme des Längenbreitenindex des Kopfes, also eine Entrundung (Debrachykephaiisation; Deutschland, Frankreich, Italien, Schweden, Schweiz).

Eine Ursachenanalyse ist in den meisten Fällen nicht eindeutig möglich, doch kommen folgende Faktoren in Frage: a) Unterschiede der Ernährung; bessere Ernährung und insbesondere höherer Fett- und Fleischverzehr fördern das Größen- und Breitenwachstum (-÷ Wachstum); b) durch das allometrische Wachstum verändern sich mit der Körpergröße auch die Proportionen; so sind alle absoluten Längen- und Höhenmaße positiv allometrisch, die Breitenmaße negativ allometrisch in bezug auf die Körperhöhe, Die Entrundung der Kopfform im letzten Jahrhundert dürfte daher eine Begleiterscheinung der Körperhöhenzunahme sein. c) Auch klimatische Faktoren spielen eine Rolle. Bei niedrigeren Durchschnittstemperaturen und stärkeren Temperaturschwankungen werden Mäuse größer als die Vergleichsserien, die bei höherer Temperatur und geringeren Temperaturschwankungen aufgezogen wurden (M i l l s). d) Haus- und Zootiere zeigen häufig andere Proportionen als ihre wilden Stammeltern; u, a. wurde bei Zootieren eine Verkürzung und Verrundung des Kopfes beobachtet (H e r r e u. a.). Ob dabei über Ernährungs- und Klimafaktoren hinaus z. B. die Beschränkung der Bewegungsfreiheit eine Rolle spielt, ist bisher unklar. Es ist danach aber möglich, daß beim Menschen die Selbstdomestikation zu Größen- und Proportionsänderungen führte; so wurde die Brachykephalie als Kulturform des Schädels (E. Fischer) bezeichnet.

Außenfaktoren wie Ernährung und Klima wirken über das System der endokrinen Drüsen auf den wachsenden Organismus ein (W. Lenz). Bei Erwachsenen besteht daher nur noch eine geringe Plastizität der Körperform, die auf Unterschieden im Fett-und Wassergehalt der Gewebe, unter Umständen in Verbindung mit veränderten Bewegungsweisen und Haltungen, beruht. So wurden während der Hungersnot 1922/22 in der Ukraine auch bei Erwachsenen (mehrfache Messung derselben Individuen) die Kopfmaße kleiner, und zwar nahm die Breite stärker ab als die Länge, so daß eine Entrundung der Kopfform eintrat. Durch körperliches Training können sich auch noch bei Erwachsenen u. a. Muskeldicke und Muskeltonus, Vitalkapazität und damit Brustumfang, Handbreite und Armlänge ändern, doch stehen diese Abänderungen in ihrem Ausmaß hinter denen zurück, die im Wachstumsalter möglich sind.

Weniger als über die Körperform ist über Kollektivmodifikationen bei physiologischen Funktionen und Verhaltensweisen bekannt. Das Menarchealter zeigt eine Beziehung zum Klima, und zwar sowohl zur Temperatur wie zum Feuchtigkeitsgehalt der Luft (Wachstum). Der G r u n d u nI s a t z (gemessen an der Wärmeabgabe des Körpers nach vielstündiger Ruhe und Nüchternheit) ist bei verschiedenen Bevölkerungen verschieden; er hängt außer von Größe, Alter und Geschlecht auch von Ernährung, Temperatur und. Beschäftigung ab. Bei den meisten außereuropäischen Bevölkerungen liegt er unter dem europäischen Durchschnitt; er sinkt bei Europäern in den Tropen und nähert sich dem der Negriden.

Als Kollektivmodifikation des Verhaltens sind möglicherweise die größere Arbeitsaktivität und -stetigkeit von Bevölkerungen in gemäßigtem Klima im Vergleich mit denen in heißem Klima anzusehen (Hellpach, Hutntington).
 
     
     
 
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