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Paul Wegener Kunstverstand - Filmschauspieler Autor und Regisseur

 
     
 
Er zählt zweifellos zu den profiliertesten Bühnen- und Filmschauspielern seiner Zeit. Auch als Autor und Regisseur machte er sich einen Namen; Fachleute rechnen ihn zu den ersten Vertretern des Autorenfilms und den Wegbereitern des frühen deutschen Kinos: Paul Wegener, dessen 50. Todestages wir an dieser Stelle gedenken wollen.

"Der Schauspieler Paul Wegener ist ein Schauspieler aus dem Wirklichen", schrieb einst Paul Fechter über den am 11. Dezember 1874 auf dem Rittergut Arnoldsdorf
in Westpreußen Geborenen. "Aus kleinen Zügen baut er seine Menschenbilder auf – aber zugleich gibt er ihnen die Wucht seines Daseins. Sie stehen auf der Bühne wie er selber im Leben, breit, ruhig, in gesammelter Energie – und alle haben etwas, als ob sie irgendwo oben jenseits der Weichsel geboren sind." Und in der Tat: hat man Paul Wegener einmal auf der Bühne oder im Film bewundern können, so war das ein unvergeßliches Erlebnis, nachvollziehbar auch für jüngere Menschen, werden doch im Fernsehen hin und wieder auch alte Filme mit diesem großen ostdeutschen Mimen ausgestrahlt.

Angefangen hatte alles wohl mit einer Faust-Aufführung, die der junge Wegener in Königsberg sah. Nach der Vorstellung stand sein Entschluß fest: "Den roten Kerl mit der Feder auf dem Kopf werde ich auch einmal spielen!" – Aber selbst vor solche Vorsätze haben die Götter den Schweiß gesetzt, und so mußte der Junge, dessen Familie schon bald nach seiner Geburt auf das Rittergut Bischdorf (im 17. Jahrhundert Sommersitz der ermländischen Fürstbischöfe) im Kreis Rößel gezogen war, zunächst in der Kreisstadt und später in Königsberg auf dem Kneiphöfischen Gymnasium die Schulbank drücken. Mit Freunden gründete er schon als Schüler den dramatischen Verein "Melpomene", schrieb lyrische Gedichte und Balladen und diskutierte bis in den frühen Morgen. In Königsberg dann auch die Begegnung mit dem Theater, dort wirkte er – obwohl für ihn als Schüler verboten – als Komparse am Stadttheater mit. Auch in selbstgeschriebenen Stücken, die sie im Verein "Melpomene" aufführten, trat er auf. Nach dem Abitur 1894 verließ Wegener Königsberg, um in Freiburg und Leipzig pro forma Jura zu studieren. Seine Liebe aber galt der Philosophie, der Kunstgeschichte und natürlich dem Theater. In Leipzig nahm er Schauspielunterricht bei Oscar Borcherdt.

Seine Bühnenlaufbahn begann der Ostpreuße in Rostock; sie führte ihn über Koblenz, Aachen, Magdeburg, Wiesbaden und Hamburg nach Berlin, wo er zu Max Reinhardt, dem legendären Regisseur, kam. Das war im Jahr 1906, und bis zu Wegeners Tod am 13. September 1948 spielte der Ostpreuße auf Bühne und Leinwand große Charakterrollen. "Er wurde der schwere und schwerste Männerspieler bei Reinhardt, der Akteur, der seine Rollen aus der Gegenwart formte, ihnen unverbrauchtes Leben gab; der dem Abseitigen, Widersinnigen, Ungewöhnlichen in der menschlichen Natur nachspürte; der die Zerrissenen spielte, die Schurken, die gespenstisch und tragisch umwitterten Figuren", so Wolfgang Noa 1964 über den Schauspieler. "Und er wurde zu einem der originellsten Darsteller im Reinhardt-Ensemble, weil er neben echter Ursprünglichkeit großen Kunstverstand besaß."

Als er Sudermanns Gutsbesitzer Raschhoff verkörpert, schreibt Julius Bab 1928: "Er ist ein östlicher Typ, der vom slawischen fast ins tartarisch-mongolische reicht: die stark vorspringenden Backenknochen, die breiten Lippen, die gewölbte Stirn, die unter hohen Brauen etwas gekniffenen Augen. (...) So ein Kerl, der lebt und leben läßt, keineswegs zart, aber im Innersten gutartig, jähzornig, aber auch schlau, ein Stück Odysseus, aber auch ein Stück Achill – kurzum ein ganzer Kerl. Das ist wohl Wegener im Grunde, aber eben bloß im Grunde; auf diesem Grund beginnt sein Künstlertum, seine Phantasie und große Intelligenz erst aufzubauen."

Auch als Drehbuchautor und als Regisseur versuchte Wegener sich. Von seinen ersten Gehversuchen in dem noch jungen Medium berichtete er: "Nach einigen mißglückten Films, über die ich lieber schweigen will, hatte ich meine Idee des Golem, dieser seltsam mythischen Tonfigur des Rabbi Löw aus dem Kreis der Prager Ghettosage, und mit ihm kam ich noch mehr in das Gebiet des rein Filmmäßigen hinein ..." Dem "Golem", 1914 fertiggestellt, folgte 1920 der Streifen "Der Golem – wie er in die Welt kam" mit Wegener in der Titelrolle, mit Albert Steinrück, Ernst Deutsch und Otto Gebühr. Die Bauten stammten übrigens von dem Architekten Hans Poelzig. Dieser Film machte Paul Wegener weit über die Grenzen Deutschlands hinaus berühmt.

Schon 1916 hatte Wegener seine Vorstellungen vom Kino formuliert: "Zunächst muß sich unsereiner darüber klar werden, daß man sowohl Theater wie Roman vergessen und aus dem Film für den Film schaffen muß. Der eigentliche Dichter des Films muß die Kamera sein. Die Möglichkeit des ständigen Standpunktwechsels für den Beschauer, die zahllosen Tricks durch Bildteilung, Spiegelung und so fort, kurz, die Technik des Films muß bedeutsam werden für die Wahl des Inhalts. ... Immer klarer wurde mir die eigentliche Bestimmung des Films, die Wirkung allein aus der fotografischen Technik heraus zu suchen. Rhythmus und Tempo, Hell und Dunkel spielen im Film eine Rolle wie in der Musik. Und als letztes Ziel schwebt mir eine Art kinetische Lyrik vor, bei der man auf das Tatsachenbild als solches schließlich überhaupt verzichtet."

Paul Wegener war bald bekannt, in Stadt und Land, im In- und im Ausland. Sogar die amerikanische Filmgesellschaft MGM engagierte ihn für einen Streifen. Aber, so Ludwig Goldstein, Feuilletonchef der "Hartungschen Zeitung": "Er hat über allen seinen Erfolgen nicht die Heimat vergessen und fühlt sich ganz als Ostpreuße. Er ist es auch. Denn in ihm lebt etwas von der verträumten Schwere dieses nordischen Landes und der Lichtsehnsucht seiner Bewohner; etwas von dem wintertagklaren Geiste Kants und etwas von der herbstnebeligen Schwärmerei Hamanns; etwas aber auch von der kosmopolitischen Allbildung Herders ..."

Obwohl Wegener in den dreißiger Jahren auch in Propaganda- und Durchhaltefilmen wie "Mein Leben für Irland" oder "Kolberg" mitwirkte, wird er nach dem Krieg auf Veranlassung der Sowjetischen Militär-Administration zum Präsidenten der "Kammer der Kunstschaffenden" ernannt. Im September 1945 spielt er zum ersten Mal Nathan den Weisen; eine Rolle, die er noch über 60 Mal ausfüllen wird. Seine letzte Filmrolle wird Anfang 1948 die Titelrolle als "Der große Mandarin" sein.

An seinem 50. Geburtstag hat Paul Wegener formuliert, was ihm die Kraft gab, solche Leistungen zu vollbringen: "Ich glaube, daß das, was mich weitergebracht hat, im wesentlichen war, daß ich nicht irgendwelchen Dingen aus Gefallsucht nachlief. Ich glaube, daß es des Ostdeutschland Bestes ist, daß er sich selbst nicht aufgibt, und daß er nicht des Scheines wegen nachgibt, sondern den Mut und die Kraft hat, er selbst zu sein."

Erst kürzlich erregte ein Fund in Fachkreisen großes Aufsehen. Mitarbeiter des Filmmuseums und des Instituts für Filmkunde in Frankfurt/Main waren auf der Suche nach Materialien über den Architekten Hans Poelzig auf den Nachlaß des Wegener-Biografen Kai Möller gestoßen.

Als eine besondere Kostbarkeit dieser Hinterlassenschaft, die von der Witwe Möllers in die gemeinsame wissenschaftlich-konservatorische Obhut des Deutschen Filmmuseums und des Deutschen Instituts für Filmkunde nach Frankfurt/Main gegeben wurde, wertet man das Repertoire-Buch, in dem Wegener seit 1897 täglich handschriftlich eintrug, welche Rollen er zu welchem Zeitpunkt spielte. Auch notierte er, welche seiner Filme wann und wo gedreht wurden.

Der Nachlaß enthält aber noch weitere wertvolle Dokumente zur Filmgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts: mehr als 2000 Fotos von Wegener in Film- und Bühnenrollen (er spielte neben dem "Golem" auch klassische Rolen wie Mephisto, König Ödipus, Macbeth, Othello oder Shylock), Fotos aus verschollen geltenden Filmen, Korrespondenzen, Theaterzettel, zeitgenössische Rezensionen, aber auch Akten der 1923 gegründeten "Paul-Wegener-Aktiengesellschaft". Der umfangreiche Nachlaß wird derzeit wissenschaftlich aufgearbeitet und im Sommer 1999 in Frankfurt erstmals einer bereiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

 
     
     
 
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