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Rekord: Leipziger Buchmesse meldet 77.000 Besucher

 
     
 
Die Vorzeichen für die diesjährige Leipziger Buchmesse vergangene Woche waren recht durchwachsen. Der Buchmarkt stöhnt unter bedenklich sinkenden Umsätzen. Vor allem der zuvor schwungvolle Verkauf von Ratgebern und Reiseführern sei unter Druck geraten, so Dieter Schormann, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, zu Beginn der Messe.

Leipzig sollte das Ruder herumreißen, den Betrieb in Deutschlands Buchläden wieder auf Trab bringen. Das Großereignis versteht sich im Kontrast zum großen Konkurrenten, der Frankfurter Herbstmesse, vor allem als "Lesermesse". Wo am Main die Profis
aus den Verlagen den Ton angeben, ihre Geschäfte machen oder Kontakte knüpfen, stellen die Sachsen den unmittelbaren Kontakt zum Leser in den Mittelpunkt. Und nimmt man ihre Bücherschau als Gradmesser für die Lesefreude der Deutschen, dann sollte sich der gebeutelte Markt bald erholen: Mit 77.000 Besucher (nach 65.000 im Vorjahr) kamen mehr als je zuvor.

Eine Besonderheit ist seit Mitte der 90er Jahre die Aktion "Leipzig liest". Aus der Idee heraus, die Messe ins Leben der Stadt zu tragen, wurden zunächst ein paar Dutzend Autorenlesungen an verschiedene Stellen der einstigen deutschen Verlagsmetropole verlegt. Heute ist "Leipzig liest" mit 1.200 Lesungen an 900 verschiedenen Orten "das größte Lesespektakel der Welt", wie Messedirektor Werner Dornscheidt stolz feststellt.

Aufgeschreckt durch die verheerenden Ergebnisse der "PISA-Studie" über deutsche Schulen hatten es sich die Leipziger 2002 zum Ziel gesetzt, vor allem junges Publikum fürs Lesen zu begeistern. Indes, die Frucht ihrer Bemühungen ähnelte dem, was leider nicht selten herauskommt, wenn 50jährige sich "der Jugend" nähern. "Bist du aber groß geworden!" werfen etliche selbst noch 17jährigen entgegen und vermeinen, ein Kind vor sich zu haben, das sich darob geschmeichelt fühlt. Die Betroffenen empfinden das als penetrante Onkelei und wollen gefälligst ernst genommen werden.

Die 50jährigen Messemacher nun stellten den Komplex "Comic" in den Mittelpunkt, um die Großgewordenen auf diesem Umwege zum guten Buch zu leiten. Eine merkwürdige Vorstellung von der Lesekarriere eines Jugendlichen. Als verführte ausgerechnet die Lektüre von "Fix und Foxi" dazu, es auch einmal mit "Romeo und Julia" zu versuchen.

Da führt der Weg doch schon eher über anspruchsvolle Kinder- und Jugendliteratur. Oder gleich in den Olymp ernster Belletristik. Das meinten offenbar auch die Angesprochenen. Bei den tatsächlich in Scharen übers Messegelände und zu dem "Leipzig liest"- Ereignis strömenden Heran- wachsenden fand die Comic- Abteilung kaum die erhoffte Resonanz. An den "erwachse- nen" Verlagsständen, Lesungen und Diskussionen hingegen waren sehr junge Gesichter häufiger anzutreffen als kaum irgendwo sonst bei hochkulturellen Veranstaltungen.

Allerdings waren manche nicht ganz freiwillig dort waren, sondern wurden von ihren Lehrern geschickt. Um sicherzustellen, daß ihre Schützlinge auch wirklich zur Messe fahren, läßt eine Lehrerin die Schüler einzelne S-Bahn-Stationen zum Messegelände und das Areal selbst später in einem Aufsatz beschreiben. Gemein! - so dürften einige der Teenager das wohl gesehen haben. Aber lehrt es nicht gerade PISA, daß ein bißchen Zwang und Finesse zu besseren Resultaten führen als jene Erlebnis-Pädagogik nach dem Muster: "Die Kinder müssen ihre Persönlichkeit selbstbestimmt entfalten"? Die rege jugendliche Teilnahme an den Messeveranstaltungen spricht dafür, daß die Rechnung der listigen Lehrerin aufgegangen ist.

Nicht bloß die neue Comic-Begeisterung erschien einigermaßen krampfig. "Marketing" und Verkaufszahlen wurden derart in den Mittelpunkt gerückt, eigens Preise für Leistungen in diesen Feldern vergeben, daß der Eindruck von Aktionismus kaum zu vermeiden war. Der "deutsche Bücherpreis" beispielsweise soll allein hohe Auflagenzahlen belohnen, der "BuchMarkt-Award" zeichnet Marketing-Konzepte aus. ("Award" ist das englische Wort für Preis. Botschaft: Wir sind jetzt richtig weltoffen, weshalb die Messe auch voll war von "Events". Eine Vokabel, mit der sich mittlerweile jede Dorfkirmes dem anglifizierten Globus empfiehlt). Dem Hauptsponsor dankten die Verantwortlichen bei jeder sich bietenden Gelegenheit - der nutzte sie alle, um sich trefflich ins Licht zu rücken. Und künftig will man auch im Fernsehen mehr tun. Einen (faden) Vorgeschmack bot die "TV-Gala" zur Messe.

Auf Länderschwerpunkte verzichtet die Leipziger Buchmesse schon seit einigen Jahren. Nichtsdestotrotz bleibt Leipzig das Tor zum Osten. Das besondere Augenmerk galt diesmal Südosteuropa. "Schwierige Nachbarschaft" lautete passend das Motto. Verstörend war in den 90er Jahren die Erfahrung, wie gerade Schriftsteller Öl in die Brandherde des lodernden Balkan geschüttet hatten - man denkt spontan an den serbischen Literaten Radovan Karadzic! Ein Schriftsteller solle darauf achten, daß "das, was er schreibt, auch von Angehörigen anderer Nationen als Literatur begriffen werden kann", konterte der ungarisch-jüdische Schriftsteller György Konrad solche Entgleisungen in seiner Eröffnungsrede. Rußland war mit einem außergewöhnlich großen Stand in die Stadt an der Pleiße gekommen. Litauen, das offizielle Gastland auf der Frankfurter Buchmesse im Herbst, lief sich in Leipzig mit mehreren Veranstaltungen schon mal warm.

Das Resümee der Messeveranstalter fiel positiv aus - wen wundert´s. Doch auch der einfache Besucher ging mit einem guten Gefühl vom Veranstaltungsgelände. Die Rekordzahl von 77.000 verkauften Karten stimmt optimistisch für den Messestandort Leipzig. Seinen alten Rang als die deutsche Buch- und Verlagsstadt wird die sächsische Metropole wohl nie wieder erlangen. Doch schon in zwei Jahren, so hofft ihr Direktor Dornscheidt, werde die Leipziger Messe wieder schwarze Zahlen schreibe
 
     
     
 
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